Digitalisierung

DGB-Expertin Helga Nielebock zum Weißbuch Arbeiten 4.0

03. März 2017
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Quelle: © Syda Productions / Foto Dollar Club

Wie geht es weiter in der digitalen Arbeitswelt? Ideen dazu lieferte Ende letzten Jahres das Bundesarbeitsministerium mit dem Weißbuch Arbeiten 4.0. Was drin steht und warum sich Betriebspraktiker in die Diskussion einmischen sollten, sagt DGB-Expertin Helga Nielebock in der »Arbeitsrecht im Betrieb« (AiB) 2/2017.

Ende November hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ein Weißbuch – also eine Sammlung mit Vorschlägen zum Vorgehen beim Arbeiten 4.0 vorgelegt. Die im Weißbuch ausgewählten Themen sind praxisrelevant und hochaktuell: Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und Weiterbildung, Arbeitsschutz und Arbeitszeitgestaltung, Datenschutz und Mitbestimmung.

Beschäftigungsfähigkeit und Weiterbildung

Hierzu ist eine weitere Verzahnung des Weiterbildungssystems in zwei Punkten vorgesehen: Zum einen soll die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung mit Beratungsangeboten und der Absicherung der Erwerbs- und Einkommensrisiken im Wandel weiterentwickelt werden. Dazu sollen Qualifizierungsmaßnahmen von Beschäftigten und Arbeitslosen gefördert werden und zwar sowohl für Erhalt, Entwicklung und Aufstieg. Neu ist auch ein – wo notwendig – Unterhaltszuschuss und die Übernahme der Kosten für die soziale Sicherung während einer Qualifizierung. Hervorzuheben ist der Vorschlag, ein Recht auf Weiterbildungsberatung »anzustreben« und staatliche Förderung durch tarifliche Vereinbarungen zu ergänzen. Beides geht in die richtige Richtung. Offen bleibt allerdings, wer jeweils die Finanzierung der Weiterbildung beziehungsweise der Maßnahme und des Lohnersatzes übernimmt und wie die Freistellung erfolgen soll.

Arbeitszeit und Arbeitsschutz

Beschäftigte sollen vor Entgrenzung und Überforderung geschützt werden. Zudem ist nach dem Weißbuch angedacht, Wahlarbeitszeiten zur Zeit- und Ortssouveränität zu ermöglichen. Besonders zu begrüßen, ist der Ansatz, die individuellen Arbeitszeitansprüche durch ein anlassunabhängiges Recht auf Teilzeit (mit Aufstockungsanspruch) zu stärken. Dies ermöglicht den Beschäftigten lebensphasenorientierte Arbeitszeiten und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.

Allerdings reicht der erwähnte Erörterungsanspruch auf Ortssouveränität – also freie Wahl des Arbeitsortes – nicht aus, weil die Ablehnung des Arbeitgebers nicht vom Gericht überprüft werden kann. Hinzu kommt, dass er ohne weitere flankierende Schutzmaßnahmen und Rechte auskommen soll. Zudem wird mit keinem Wort erwähnt, dass es notwendig ist, das – weit verbreitete – digitale Arbeiten von unterwegs gesetzlich zu regeln.

Die Vorschläge, Langzeitkonten stärker zu fördern, machen Sinn sowohl hinsichtlich des Aufbaus eines persönlichen Erwerbstätigenkontos als auch in der verbesserten Übertragbarkeit (Portabilität) von angesparten Wertguthaben bei Arbeitgeberwechsel.

Flexibilitätskompromisse

Anreize für sozialpartnerschaftliche Kompromisse für eine innovative Arbeitsorganisation sollen durch Flexibilitätskompromisse erfolgen. Hier sollen betriebliche und tarifliche Vereinbarungen dafür sorgen, passgenaue Lösungen zu ermöglichen, ohne die Zeitsouveränität und den Gesundheitsschutz zu beeinträchtigen. Dennoch ist laut BMAS eine allgemeine Öffnung des Arbeitszeitgesetzes wie eine Abkehr von der Norm des 8-Stunden-Tages zugunsten nur noch einer Wochenhöchstarbeitszeit mit dem Arbeitsschutz und der Zeitsouveränität nicht vereinbar.

Dieser Aussage wird der im Weißbuch unterbreitete konkrete Vorschlag allerdings nicht gerecht: Danach sei mittelfristig die Einführung eines auf zwei Jahre befristeten »Wahlarbeitszeitgesetzes« als Rahmen für »mehr Wahloptionen« der Beschäftigten denkbar. Das Wahlarbeitszeitgesetz soll den Beschäftigten das Recht geben, die Dauer ihrer Arbeitszeit zu wählen und die Lage der Arbeitszeit sowie des Arbeitsortes mit dem Arbeitgeber zu verhandeln.

Unter diesen Bedingungen kann dann vom Arbeitszeitgesetz in Tarifverträgen bei Ruhezeiten und der täglichen Höchstarbeitszeit abgewichen werden. Voraussetzungen dafür sind: Das Bestehen eines Tarifvertrages, eine Betriebsvereinbarung über Wahlarbeitszeit (mit Aufzeichnung der Arbeitszeit und Durchführung von Gefährdungsbeurteilung) sowie die individuelle Zustimmung durch die einzelnen Beschäftigten.

Bewertung: Arbeitsschutz und Zeitsouveränität werden nicht sichergestellt

Durch die Erlaubnis, dass das gesetzliche Niveau durch Tarifverträge unterschritten werden darf, wird die Gestaltungspflicht auf Gewerkschaften oder – mittelbar durch tarifliche Zulassung von Betriebsvereinbarungen – Betriebsräte verlagert, ohne wirklich gute Rahmenbedingungen zu haben. Diese müssten dann nämlich noch zusätzlich ausgehandelt werden: Gewerkschaften müssten Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und geänderte Ausgleichszeiträume aushandeln und Betriebsräte die konkrete Aufzeichnungspflicht und eine besondere Gefährdungsbeurteilung, ohne das ihnen hierzu entsprechende Mitbestimmungsrechte zustehen. Dass Arbeitgeber dieses Mehr an Verhandlungsspielraum gerne nutzen und dabei möglichst wenige Einengungen durch einen mit dem Tarifpartner oder Betriebsrat geschaffenen Schutzrahmen wollen, liegt auf der Hand. Das mehrfach bemühte Beispiel einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch das frühere Ende der täglichen Arbeit, der zwischenzeitlichen Betreuung der Kinder mit späterer zweiter »Schicht«, unter Missachtung der täglichen Ruhezeit von 11 Stunden, stellt nicht die bessere Vereinbarkeit in den Mittelpunkt, sondern eine Ausweitung der Arbeitszeiten zulasten der Gesundheit. Den gesetzlichen Rahmen als äußerste Grenze aufzugeben und den Tarifvertragsparteien zu überlassen, ist jedenfalls mit Vereinbarkeits- oder Gesundheitszielen nicht vereinbar.

Tageshöchstdauer soll zugelassen werden

Den Forderungen von Arbeitgeberverbänden nach einer Ausweitung der Tageshöchstarbeitszeit werden im Weißbuch entsprochen. Auch hiervon soll mit Tarifvertrag abgewichen werden können. Der schon jetzt zulässige 10- Stunden-Tag (bei einem Ausgleich innerhalb von sechs Monaten) kann dann noch ausgeweitet werden. Die Beschränkung auf nur eine Wochenarbeitszeithöchstgrenze bekommen die Arbeitgeber dann wunschgemäß. Bereits jetzt zeigen sich die Folgen viel zu langer Arbeit durch Überstunden oder ständiger Erreichbarkeit: Eine Zunahme von psychischen Erkrankungen. Gefährdungsbeurteilung und Arbeitszeiterfassung helfen im Kern dann auch nicht mehr weiter.

Zukunft mitgestalten

Angesichts dieser Faktenlage ist es wichtiger, denn je, dass sich Praktikerinnnen und Praktiker in diese Zukunftsdiskussion einmischen!

Was es mit den im Weißbuch vorgeschlagenen Experimentierräumen auf sich hat und wie mit Crowdworking und Datenschutz umzugehen ist, erfahren Sie in dem AiB-Beitrag von Helga Nielebock in der Ausgabe 2/2017 auf den Seiten 17-20. Noch kein Abonnent der »Arbeitsrecht im Betrieb« (AiB)? Jetzt zwei Ausgaben kostenfrei testen!

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