Mindestlohngesetz

Experten-Meinung zum Mindestlohn

10. März 2017

Seit zwei Jahren gilt in ganz Deutschland ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn. Er ist im Januar 2017 erstmals erhöht worden: von 8,50 € auf 8,84 € brutto pro Stunde. Wir haben Thomas Lakies, Autor unseres Kommentars zum Mindestlohngesetz , gefragt, wie er die Erhöhung beurteilt und welche Entscheidungen des BAG jeder Betriebsrat unbedingt kennen sollte.

Seit zwei Jahren gilt das Mindestlohngesetz. Wie ist die bisherige Bilanz?

Thomas Lakies:

Durch das Mindestlohngesetz (MiLoG) wurde erstmals in Deutschland die Lohnhöhe gesetzlich reguliert. Das MiLoG hat sich – allen Unkenrufen zum Trotz – als erfolgreiche Regulierung zugunsten der Niedriglohnbeschäftigten erwiesen. Die Arbeitgeber haben sich ganz überwiegend darauf eingestellt. Die von manchen prognostizierten Arbeitsplatzverluste sind nicht eingetreten. Zwar hat sich die Zahl der Mini-Jobs (Arbeitsverhältnisse bis zu 450 Euro im Monat) reduziert, andererseits die Zahl der regulär sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erhöht.

Der Mindestlohn wurde zum Januar 2017 erstmalig erhöht. Wie kam es dazu?

Thomas Lakies:

Die Höhe des Mindestlohns wurde zunächst zum Januar 2015 durch das Mindestlohngesetz in Höhe von 8,50 Euro brutto pro Stunde festgelegt. Auf Vorschlag einer ständigen »Kommission der Tarifpartner« (Mindestlohnkommission) wird der Mindestlohn durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung alle zwei Jahre angepasst. Dabei soll sich die Kommission »nachlaufend an der Tarifentwicklung« orientieren (§ 9 Abs. 2 Mindestlohngesetz).

Die Mindestlohnkommission hatte in ihrer Geschäftsordnung festgelegt, dass sie den Mindestlohn »im Regelfall gemäß der Entwicklung des Tarifindex des Statistischen Bundesamtes ohne Sonderzahlungen auf Basis der Stundenverdienste« festlegen will. Die Mindestlohnkommission hat im Juni 2016 einstimmig, also mit den Stimmen der Gewerkschaftsvertreter, beschlossen, den Mindestlohn ab Januar 2017 auf 8,84 Euro brutto pro Stunde zu erhöhen. Nach Mitteilung des Statistischen Bundesamtes erhöhten sich die Tarifverdienste seit Januar 2015 um vier Prozent. Daraus errechnete sich die Erhöhung des Mindestlohns um 34 Cent. Der Beschluss der Mindestlohnkommission wurde durch die »Mindestlohnanpassungsverordnung« der Bundesregierung vom 15.11.2016 in verbindliches Recht umgesetzt.

Wie ist die Anpassung zu beurteilen? Wann findet die nächste Anpassung des Mindestlohns statt?

Thomas Lakies:

Das Gesetz schreibt vor, dass die Anpassung des Mindestlohns alle zwei Jahre erfolgt. Die nächste Anpassung der Mindestlohnhöhe erfolgt also zum Januar 2019. Wegen der gesetzlich vorgeschriebenen Orientierung an der »Tarifentwicklung« hängt die Höhe des Mindestlohns auch zukünftig in erster Linie davon ab, welche Tariferhöhungen die Gewerkschaften in den Tarifrunden der verschiedenen Branchen durchsetzen können. Man muss allerdings sagen, dass aufgrund der Ausgangshöhe (8,50 Euro) der Mindestlohn sich auch künftig unterhalb der Niedriglohnschwelle bewegen wird. Die Niedriglohnschwelle liegt bei 60 Prozent des nationalen Durchschnittslohns. In Deutschland entspricht der Mindestlohn derzeit nur 43 Prozent des Durchschnittslohns eines Vollzeitbeschäftigten. In anderen Ländern wie Luxemburg, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Irland liegt der Mindestlohn bei über neun Euro, in Frankreich bei 9,76 Euro. Wollte man in Deutschland den Mindestlohn deutlich erhöhen, müsste das Gesetz geändert werden. Ob es dazu kommt, wird der nächste Bundestag entscheiden. Im September 2017 ist bekanntlich die Bundestagswahl.

Gilt die neue Mindestlohnhöhe tatsächlich für alle Arbeitnehmer?

Thomas Lakies:

Der Mindestlohn gilt nach wie vor nicht für Jugendliche, für Auszubildende (unabhängig vom Alter), für ehrenamtlich Tätige und auch nicht für Selbstständige (auch nicht für Solo-Selbstständige). Für Langzeitarbeitslose gilt der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung nicht, aber ab dem siebten Monat. Für Praktikanten gilt eine Sonderregelung. Für Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller gilt eine gesetzliche Übergangsregelung: diese erhalten ab Januar 2017 8,50 Euro pro Stunde; ab Januar 2018 gilt auch für diese der erhöhte Mindestlohn in Höhe von 8,84 Euro.

Und was ist mit Mindestlöhnen in Branchen-Tarifverträgen?

Thomas Lakies:

Es gibt eine Übergangsregelung für Tarifverträge. Diese sieht vor, dass allgemeingültige Branchen-Mindestlohntarifverträge bis zum 31.12.2017 vom allgemeinen Mindestlohn abweichen dürfen. Tatsächlich gibt es nur wenige Branchen, die im Jahr 2017 unter dem neuen Mindestlohnniveau in Höhe von 8,84 Euro liegen: so bei Wäschereidienstleistungen (8,75 Euro), in der Fleischwirtschaft (8,75 Euro) und in der Land- und Forstwirtschaft/Gartenbau (8,60 Euro; ab 1.11.2017 Erhöhung auf 9,10 Euro). Die allermeisten allgemeingültigen Branchen-Mindestlöhne liegen, teilweise deutlich, oberhalb von 8,84 Euro, so zum Beispiel in der Gebäudereinigung, im Baugewerbe, im Elektrohandwerk, im Maler- und Lackiererhandwerk, in der Pflegebranche.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat zum Mindestlohn beim Bereitschaftsdienst entschieden. Wie ist die Rechtslage?

Thomas Lakies:

Alle Zeiten, die rechtlich als Arbeitszeiten gelten, sind in voller Höhe mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu bezahlen – das gilt vor allem für die Arbeitsbereitschaft und den Bereitschaftsdienst. Bei der Arbeitsbereitschaft sind die Arbeitnehmer an der Arbeitsstelle anwesend und müssen jederzeit bereit sein, die Arbeit aufzunehmen oder in den Arbeitsprozess einzugreifen. Das gilt zum Beispiel für die Standzeiten bei Taxifahrern oder für Zeiten, in den Verkäufer/innen oder Berater/innen auf Kunden warten. Von Bereitschaftsdienst spricht man, wenn sich die Arbeitnehmer an einer vom Arbeitgeber vorgegebenen Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufzuhalten haben, um die Arbeit aufzunehmen, sobald es notwendig ist. Der Arbeitgeber bestimmt den Aufenthaltsort der Arbeitnehmer und kann sie jederzeit einsetzen. Die Arbeitnehmer können nicht frei entscheiden, wo und wie sie die inaktiven Zeiten verbringen.

Anders ist es bei der Rufbereitschaft. Rufbereitschaft setzt – in Abgrenzung zum Bereitschaftsdienst – voraus, dass die Arbeitnehmer nicht gezwungen sind, sich am Arbeitsplatz oder einem anderen vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten, sondern (unter freier Wahl des Aufenthaltsorts) lediglich jederzeit erreichbar sein müssen, um auf Abruf des Arbeitgebers die Arbeit alsbald aufnehmen zu können. Die Rufbereitschaft ist, soweit die Arbeitnehmer nicht zur Arbeit gerufen werden, keine Arbeitszeit. Werden die Arbeitnehmer zur Arbeit herangezogen, ist die Zeit, in der sie Arbeitstätigkeiten ausüben, selbstverständlich Arbeitszeit.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat ausdrücklich entschieden, dass die gesetzliche Vergütungspflicht des Mindestlohngesetzes nicht nach dem Grad der tatsächlichen Inanspruchnahme unterscheidet. Leistet der Arbeitnehmer vergütungspflichtige Arbeit, gibt das Mindestlohngesetz einen ungeschmälerten Anspruch auf den Mindestlohn. Werden Bereitschaftszeiten nach Tarifverträgen oder dem Arbeitsvertrag nur anteilig als Arbeitszeit berücksichtigt, ändert dies nichts daran, dass jede so erbrachte Zeitstunde mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten ist. Der gesetzliche Mindestlohn ist zwingend und kann nicht durch den Arbeitsvertrag oder einen anwendbaren Tarifvertrag gemindert oder ausgeschlossen werden.

  • Wichtig: In allgemeingültigen Tarifverträgen oder Verordnungen zu Branchen-Mindestlöhnen kann das anders geregelt werden. Eine solche Sonderregelung gibt es für Bereitschaftsdienste in der Pflegebranche.

Es gibt weitere Urteile des Bundesarbeitsgerichts zum Mindestlohngesetz – was sind die wichtigsten Aussagen?

Thomas Lakies:

Das BAG betont in seinen ersten Urteilen zum Mindestlohngesetz, dass der Anspruch auf den Mindestlohn ein gesetzlicher Anspruch ist, der eigenständig neben dem Vergütungsanspruch besteht, der sich aus einem anwendbaren Tarifvertrag oder aus dem Arbeitsvertrag ergibt. Erreicht die vom Arbeitgeber tatsächlich gezahlte Vergütung nicht den gesetzlichen Mindestlohn, begründet dies von Gesetzes wegen einen Anspruch auf die Differenzvergütung. Der Arbeitgeber hat den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllt, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit dem gesetzlichen Mindeststundenlohn ergibt.

Zusammenfassend ergeben sich aus den ersten Urteilen folgende Schlussfolgerungen: Geldleistungen, die der Arbeitgeber unwiderruflich gewährt, sind ausgehend von der tatsächlichen Arbeitsleistung des einzelnen Arbeitnehmers in Stundenlöhne umzurechnen und auf den Mindestlohn anzurechnen, wenn sie Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung sind. Anzurechnen sind auch Zuschläge für Schichtarbeit und Zuschläge für Überstunden, Sonn- und Feiertagsarbeit. Das wurde von manchen anders beurteilt. Die Tendenz des BAG geht jedoch dahin, alle Zahlungen des Arbeitgebers, die in irgendeiner Weise Gegenleistung für die Arbeitsleistung sind, auf den gesetzlichen Mindestlohnanspruch anzurechnen.

Nicht anzurechnen, also zusätzlich zum Mindestlohn zu gewähren, sind Zuschläge für Nachtarbeit, vermögenswirksame Leistungen und Aufwendungsersatz/Aufwandsentschädigungen. Die genannten Leistungen sind aber nur dann zusätzlich zum Mindestlohn zu zahlen, wenn es eine entsprechende Regelung im Arbeitsvertrag oder in einem anwendbaren Tarifvertrag gibt. Auf Zuschläge für Nachtarbeit besteht ein gesetzlicher Anspruch (§ 6 Absatz 5 Arbeitszeitgesetz).

© bund-verlag.de (ls)

 

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