Sexuelle Belästigung

So können Betriebsräte die Beschäftigten schützen

21. April 2015

Jede(r) zweite Beschäftigte hat am Arbeitsplatz schon Verhaltensweisen erlebt, die rechtlich sexuelle Belästigung darstellen. Nur jede(r) Fünfte weiß, dass der Arbeitgeber sie oder ihn davor schützen muss. Was können Betriebsräte tun, um die Lage zu verbessern? Unser Reporter Mirko Stepan klärt auf.

Viele Arbeitnehmer kennen ihre Rechte nicht

Zwei aktuelle Umfragen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes unter Beschäftigten sowie unter Personalverantwortlichen und Betriebsräten fördern erschreckende Ergebnisse zu Tage. Demnach hat jede(r) zweite Beschäftigte am Arbeitsplatz Verhaltensweisen erlebt, die als sexuelle Belästigung zu werten sind. Und nur jede(r) Fünfte weiß, dass der Arbeitgeber sie oder ihn davor schützen muss.

Und hier liegt eines der Hauptprobleme: denn 60 Prozent der Befragten Vorgesetzten und Betriebsräte sind keine Maßnahmen im eigenen Betrieb bekannt, die sexuelle Belästigung verhindern beziehungsweise sanktionieren sollen.

Wo fängt sexuelle Belästigung an?

Wer glaubt, dieses Problemfeld habe etwas mit unerwünschten Berührungen – etwa dem berühmt-berüchtigten Klaps auf den Po – zu tun liegt falsch. Anzügliche Aussagen oder dass Zusenden von Mails mit eindeutigen sexuellen oder gar pornografischen Inhalten fällt genauso unter diese Begriffsbestimmung.

Ganz konkret: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet ausdrücklich sexuelle Belästigung. Laut § 3 Abs. 4 AGG handelt es sich dabei um »sexuell bestimmtes Verhalten, das die Würde der betroffenen Person verletzt«.

Zu diesem Verhaltenweisen gehören dem Gesetz nach:

  • unerwünschte sexuelle Handlungen,
  • die Aufforderung zu unerwünschten sexuellen Handlungen,
  • sexuell bestimmte körperliche Berührungen,
  • Bemerkungen sexuellen Inhalts,
  • unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen.  

Die Antidiskriminierungsstelle rät:
Wichtig: wer mit oben genannten Verhaltensweisen konfrontiert wird, soll sich unbedingt seinem Arbeitgeber anvertrauen – am besten, sofern vorhanden, über den Betriebsrat. Denn der Arbeitgeber ist verpflichtet, seine Mitarbeiter vor sexuellen Belästigungen zu schützen.

Das Problem: Opfer suchen die Schuld bei sich selbst

Viele Betroffene suchen die Schuld bei sich und sehen davon ab, sich anderen anzuvertrauen.Nach Angaben der EU-Grundrechteagentur schätzen etwa ein Drittel der Frauen eine erlebte Belästigung selbst als »nicht schwerwiegend« ein und redet deshalb mit niemanden darüber.

»Leider deckt sich dieser Befund mit unseren Beratungserfahrungen. Ich appelliere an alle Opfer von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz: Sprechen Sie darüber!«, sagt Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Wie kann der Arbeitgeber reagieren?

Mehrere Reaktionen des Arbeitgebers sind denkbar. Das kann vom klarstellenden Gespräch bis hin zur Umsetzung, Abmahnung oder gar fristlosen Kündigung reichen – je nach Schwere der Tat (vgl. etwa BAG, Urteil vom 9.06.2011 - 2 AZR 323/10).

Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen zeigt dies deutlich: Im dort entschiedenen Fall hatte ein Mitarbeiter eine Auszubildende auf die Größe ihrer Oberweite angesprochen und der jungen Frau an den Busen gefasst. Die klare Entscheidung des LAG: So nicht!

Auch langjährige Mitarbeiter müssen bei sexuellen Belästigungen damit rechnen, dass sie ihren Job verlieren. Das LAG bestätigte die fristlose Kündigung als rechtmäßig (LAG Niedersachsen, Urteil vom 06.12.2013 - 6 Sa 391/13).

Sexuelle Belästigungen verletzen den Arbeitsvertrag

Denn: Sexuelle Belästigungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG stellen nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie sind „an sich“ als wichtiger Grund nach für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB geeignet, heißt es in den Entscheidungsgründen.

Und noch etwas findet sich in den Entscheidungsgründen, was als richterliche Einschätzung sexueller Belästigungen ganz besonders hervorgehoben werden sollte – und sowohl Betroffenen als auch Betriebsräten Mut machen, entsprechendes Verhalten auf keinen Fall zu dulden:

Das Gericht führt nämlich aus, dass sich verbale Belästigungen nicht generell in einem weniger gravierenden Bereich des durch § 3 Abs. 4 AGG aufgezeigten Spektrums bewegen, also beispielsweise als Berührungen.

Jeder Einzelfall ist anders

Klar ist aber: es handelt sich immer um eine Abwägung des Einzelfalls, bei dem das möglicherweise pflichtwidrige Verhalten in seinem Gesamtzusammenhang betrachtet werden muss. Nichts anderes hat übrigens das BAG in einem Fall gemacht, der bundesweit in den Medien für Aufsehen gesorgt hatte (BAG, Urteil vom 20.11.2014 - 2 AZR 651/13).

Hier hatte das Gericht nach einem »Busengrapscher« eine Abmahnung für ausreichend gehalten – vor allem allerdings deshalb, weil sich der Täter bei der Betroffenen entschuldigt, ein Schmerzensgeld gezahlt und diese daraufhin von einer Anzeige abgesehen hatte, was zur Einstellung des Strafverfahrens führte. Das Urteil ist also alles andere als ein Freibrief für sexuelle Belästigungen, sondern eine Würdigung des Einzelfalles.

Welche Aufgabe kommt dem Betriebsrat zu?

Der Betriebsrat sollte unbedingt dafür sorgen, dass alle Mitarbeiter immer - das heißt unbedingt schon vor dem Bekanntwerden von Fällen sexueller Belästigung – umfassend informiert sind.

Interessanterweise liefert die oben genannte Umfrage klare Ergebnisse: mehr als 80 Prozent sowohl der Personalverantwortlichen als auch der Betriebsräte sehen es als ihre Pflicht an, Beschäftigte entsprechend zu informieren. Dennoch sind relativ wenigen darunter entsprechende Betriebliche Maßnahmen bekannt.

Betriebliche Maßnahmen

  • Flyer, Plakate, Handlungsanweisungen und Seminare können die Mitarbeiter für das Thema sensibilisieren.
  • Aufklärung über mögliche arbeits- und strafrechtliche Konsequenzen für Täter.
  • Bauliche Maßnahmen (Frauenparkplätze, ausreichend Beleuchtung) können präventiv wirken.

Wichtig:
Der Betriebsrat sollte immer auch im Rahmen seines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unbedingt dafür sorgen, dass er entsprechende Möglichkeiten wahrnimmt – etwa ganz gezielt Regeln zum Umgang mit schriftlichen/bildlichen Anzüglichkeiten aufstellt.

Hilfe finden Betroffene auch hier:

Antidiskriminierungsstelle des Bundes

  • Telefonische Beratung: 030 18555-1855
    • juristische Erstberatung: Mo 13-15, Mi und Fr 9-12 Uhr
    • allgemeine Anfragen: Mo-Fr 9-12 und 13-15 Uhr)
  • E-Mail Beratung: beratung@ads.bund.de
  • E-Mail für allgemeine Anfragen: poststelle@ads.bund.de


Lesetipp der AiB-Redaktion:
»Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz - Vom »Kavaliersdelikt« zum Tatbestand des AGG« in »Arbeitsrecht im Betrieb« 4/2013, S. 224-230.

Autor:
Mirko Stepan
Freier Journalist

Telefon: 030-67962551
Mobil: 0176-20646837
Mail: mirko.stepan@googlemail.com

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