Insolvenzverfahren - Der DGB-Rechtsschutz kommentiert

Arbeitnehmer in Elternzeit müssen Kündigung trotz Nachteilen hinnehmen

12. März 2014

Einer Arbeitnehmerin in Elternzeit steht kein Schadensersatzanspruch zu, wenn ihr insolvenzbedingt frühzeitiger als vertraglich vereinbart gekündigt wird und sie hierdurch die Möglichkeit verliert, sich weiter beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern.

Der Fall

Die Klägerin war im Versandhandel als Einkäuferin beschäftigt. Über das Vermögen ihrer Arbeitgeberin wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.

Der Insolvenzverwalter kündigte ihr Arbeitsverhältnis wegen Betriebsstilllegung zum 31.05.2010. Nach § 113 Satz 2 InsO kann der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis mit einer verkürzten Frist von höchstens drei Monaten ordentlich kündigen. Die Ansprüche des Arbeitnehmers wegen der insolvenzbedingten vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses beschränken sich nach § 113 Satz 3 InsO auf einen verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch.

Hätte der Insolvenzverwalter hingegen die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist eingehalten, wäre das Arbeitsverhältnis der Einkäuferin erst einen Monat später beendet worden. Die Frau, die sich im Zeitpunkt der Kündigung in Elternzeit befand, verlor hierdurch die Möglichkeit, sich weiter beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern (§ 192 SGB V). Dies war dem Insolvenzverwalter bekannt.

Die Klägerin meint, der Insolvenzverwalter habe ermessensfehlerhaft von der Möglichkeit, die Kündigungsfrist nach § 113 Satz 2 InsO abzukürzen, Gebrauch gemacht. Sie habe unter Berücksichtigung der Wertentscheidung des Art. 6 GG Anspruch auf Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist.

Die Entscheidung

Wie bereits in den Vorinstanzen, hatte die Frau mit diesem Argument auch vor dem BAG keinen Erfolg. Der Insolvenzverwalter muss den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht an den sich aus § 192 SGB V ergebenden sozialversicherungsrechtlichen Folgen ausrichten.

§ 113 InsO ist insoweit eine in sich geschlossene Regelung, die dem Arbeitnehmer keinen Anspruch darauf gewährt, dass der Insolvenzverwalter von der Höchstfrist keinen oder nur eingeschränkten Gebrauch macht, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sozialversicherungsrechtliche Nachteile nach sich zieht.

Das Gesetz sieht insoweit allein den Schadenersatzanspruch nach § 113 Satz 3 InsO vor.
Dies steht auch im Einklang mit Art. 6 GG, so die Richter.

Quelle:
BAG, Urteil vom 27.02.2014
Aktenzeichen 6 AZR 301/12

Folgen für die Praxis

Anmerkung von Matthias Bauer, ehemals DGB Rechtsschutz GmbH

Für die klagende Arbeitnehmerin war es aus nachvollziehbaren Gründen unverständlich, dass der Insolvenzverwalter mit der »insolvenzrechtlichen Sense« über die Arbeitsverhältnisse ging und auch ihr Arbeitsverhältnis ohne Rücksicht auf ihre persönliche Lage mit der verkürzten Frist beendete.

Dabei befand sie sich in Elternzeit, so dass die Insolvenzmasse in keiner Weise belastet worden wäre. Die Klägerin wäre aber für die Zeit von nur vier Monaten bis zur Mitversicherung bei ihrem Ehemann aus eigenem Recht krankenversichert gewesen, hätte sich der Insolvenzverwalter für ihr sozialversicherungsrechtliches Problem einsichtig gezeigt und die Kündigungsfrist nur um diese wenigen Monate verlängert.

Insolvenzverwalter ist zur Kündigung in der Elternzeit berechtigt

Das LAG Nürnberg sah hierin eine Grundsatzfrage, die das BAG bisher noch nicht entschieden habe, und ließ die Revision zu. Die Vorinstanz wies dabei darauf hin, dass zwar sowohl nach der Rechtsprechung des BAG (BAG Urteil v. 20.01.2005 – 2 AZR 500/03), als auch der des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG Urteil v. 30.09.2009 – 5 C 32/08), die Stilllegung eines Betriebs grundsätzlich als besonderer Ausnahmefall nach § 18 BEEG anzusehen sei, der die Kündigung während der Elternzeit rechtfertige. Die Frage, ob das aber auch für den Fall gelte, dass die Verlängerung der Kündigungsfrist keine weiteren Kosten für die Gläubiger des Insolvenzverfahrens mit sich bringe, sei noch vom BAG zu beantworten.

Nachteile in der Krankenversicherung machen die Kündigung nicht unwirksam
Das BAG hat seine Linie beibehalten, möglicherweise auch mitbeeinflusst durch das BVerwG, das sich in der erwähnten Entscheidung bereits darauf festgelegt hatte, das das BEEG nur vor Kündigungen in der Elternzeit schütze, nicht aber vor sozialversicherungsrechtlichen Nachteilen, die durch eine nach § 18 BEEG zulässige Kündigung verursacht werden.

Für die Beschäftigten in vergleichbarer Situation ist der Rechtsweg damit nicht mehr begehbar. Auch insofern nicht, als die verfassungsrechtliche Frage mitentschieden wurde, dass ein durch die Kündigung entstandener Schaden nur dem Insolvenzschuldner (dem alten Arbeitgeber) gegenüber geltend gemacht werden kann. Dieser liegt aber nicht in der unterbundenen Versicherung und würde im Übrigen auch nur entsprechend der Quote im Insolvenzverfahren abgegolten werden, was das BAG mit Art. 6 GG (Ehe und Familie) für vereinbar hält.

Der Gesetzgeber ist gefordert

So ruht die Hoffnung auf dem Gesetzgeber. Seine Aufgabe ist es, den unverschuldeten und durch die INSO ermöglichten vorzeitigen Verlust der Krankenversicherung für die Beschäftigten in Elternzeit durch eine Erweiterung der Tatbestände für das Fortbestehen der Mitgliedschaft in der KV im Rahmen von § 192 SGB V zu erweitern. Schließlich haben die Beschäftigten in Elternzeit keine rechtliche Möglichkeit, den Schutz auf anderem Wege zu erreichen, als durch freiwillige Versicherung auf eigene Kosten. Dem Gesetzgeber sollte seine familienpolitische Zielsetzung, wie sie im BEEG zum Ausdruck kommt, diese zusätzliche Versicherungsleistung wert sein.

Lesetipp der AiB-Redaktion:
»Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestalten« von Johanna Wenckebach in »Arbeitsrecht im Betrieb« 5/2013, S. 296-300.

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