Betriebsübergang - Der DGB-Rechtsschutz kommentiert

Betriebserwerber ist an nachwirkende Tarifverträge gebunden

24. Oktober 2014

Bei einem Betriebsübergang muss der Erwerber nicht nur die Rechte und Pflichten aus den Tarifverträgen übernehmen, die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs unmittelbar gelten. Er ist auch an Tarifverträge gebunden, die zum Übergangstermin bereits gekündigt sind, aber noch eine Nachwirkung entfalten.

Streit um die Nachwirkung von Tarifverträgen
Ein österreichischer Arbeitgeberverband hatte mit der Gewerkschaft für die Muttergesellschaft des Konzerns einen günstigeren Tarifvertrag abgeschlossen als für eines seiner Tochterunternehmen. Um Kosten zu sparen, hat die Muttergesellschaft einen Teil ihres Betriebs an die Tochtergesellschaft im Wege eines Betriebsübergangs übertragen. Zuvor hatte der Arbeitgeberverband den Tarifvertrag mit der Muttergesellschaft gekündigt.

Als Reaktion hierauf hat die Gewerkschaft den Tarifvertrag mit der Tochtergesellschaft gekündigt.
Nach dem Betriebsübergang wandte die Arbeitgeberin nun keinen Tarifvertrag mehr an, sondern gab die Bedingungen einseitig vor. Die zuständige österreichische Gewerkschaft machte vor Gericht geltend, dass der gekündigte Tarifvertrag der Muttergesellschaft für alle übergegangenen Arbeitnehmer gelten müsse, da die Tochtergesellschaft an keinen geltenden Tarifvertrag mehr gebunden sei.

EuGH setzt fortgeltende und nachwirkende Tarifverträge gleich
Europarechtliche Grundlage für die österreichischen Vorschriften zum Betriebsübergang ist die europäische Betriebsübergangs-Richtlinie (2001/23/EG vom 12.03.2001). Artikel 3 Abs. 3 der Richtlinie bestimmt, dass der Erwerber die in einem »Kollektivvertrag«, also einem Tarifvertrag, vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrags« oder bis zum Inkrafttreten eines neuen Tarifvertrags aufrecht erhalten muss.

Der Erwerber muß die Arbeitsbedingungen »in dem gleichen Maße« aufrechterhalten«, wie dies zuvor auch der Veräußerer tun mußte, und zwar mindestens für ein Jahr. Der Oberste Gerichtshof Österreichs setzte das Verfahren legte dem EuGH die Frage vor, ob Artikel 3 Abs. 3 der Richtinie 2001/23 auch kraft nationalen Rechts nachwirkende Tarifverträge erfasst. Dies hat der EuGH bejaht. Artikel 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23/EG gelte auch für zu diesem Zeitpunkt nur noch nachwirkende Kollektivverträge.

Vergleichbare Situation in Deutschland
Im deutschem Arbeitsrecht besteht mit § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ebenfalls eine solche, auf der Richtlinie beruhende Regelung. Folglich kann die Entscheidung auf Deutschland übertragen werden, so dass nun feststeht, dass ein Erwerber nach einem Betriebsübergang einen Tarifvertrag auch anwenden muss, wenn dieser zwar vor dem Betriebsübergang gekündigt ist, aber noch nachwirkt. Allerdings gilt dies nicht, wenn der Erwerber selbst tarifgebunden ist, und deshalb bei ihm ein eigener Tarifvertrag gilt.

Quelle:
EuGH, Urteil vom 11.09.2014
Aktenzeichen C-328/13

Folgen für die Praxis

Anmerkung von Carsten Schuld, DGB Rechtsschutz GmbH

Tarifverträge gelten für die Arbeitgeber und die Gewerkschaftsmitglieder zwingend wie gesetzliche Vorschriften („normativ“). Wenn der Tarifvertrag durch Zeitablauf oder Kündigung endet, gelten seine Bestimmungen weiter, der Tarifvertrag „wirkt nach“. Wer z.B. als Gewerkschaftsmitglied Anspruch auf 30 Tage Urlaub hatte, behält diesen zunächst, auch wenn der Arbeitgeber den Tarifvertrag gekündigt hat.

Nachwirkung auch bei Betriebsübergang
Geht diese Nachwirkung nun bei einem Betriebsübergang mit über? Der EuGH hat dies bejaht und das BAG beantwortet die Frage ebenso. Die Richter des zuständigen 8. Senats haben das Bild vom Rucksack geprägt. Der Arbeitnehmer hat in seinem Rucksack alle Rechten und Pflichten, die sich aus dem Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarungen, den geltenden Tarifverträgen und eben auch nachwirkenden Tarifverträgen ergeben. Beim Betriebsübergang geht er mit diesem Rucksack zum Betriebserwerber über. Nach diesem Bild gelten auch die nachwirkenden Tarifbestimmungen fort.

Änderung nachwirkender Tarifverträge möglich
Die nachwirkenden Tarifbestimmungen können jedoch geändert werden. Wenn bei dem neuen Arbeitgeber ein aktueller Tarifvertrag gilt, löst dieser den nachwirkenden Tarifvertrag ab. In dem österreichischen Fall war der Tarifvertrag beim Erwerber auch gekündigt, wirkte auch nur nach. Deshalb verdrängte er den übergegangenen, nachwirkenden Tarifvertrag nicht. Betriebsvereinbarungen dagegen können wegen des Tarifvorbehalts in § 77 Abs. 3 BetrVG Tarifnormen nicht ablösen, auch wenn diese nur nachwirken.

Vorsicht bei Vertragsänderungen!
Aber durch eine einfache Vertragsänderung kann die Nachwirkung von Tarifnormen beendet werden. Willigt der Arbeitnehmer in die Änderung ein, kann er sich nicht mehr auf den nachwirkenden Tarifvertrag berufen. Eine freiwillige Vertragsänderung hinsichtlich der nachwirkenden Bestimmungen ist auch innerhalb eines Jahres nach Betriebsübergang möglich. Die Schutzfrist von einem Jahr verhindert nur, dass der Arbeitgeber eine Änderungskündigung in diesem Zeitraum aussprechen kann.

Lesetipp der AiB-Redaktion:
»Betriebsübergang- Ein Problemaufriss anhand aktueller Entscheidungen« von Norbert Schuster in »Arbeitsrecht im Betrieb« 12/2012, S. 713-718.

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