Mitbestimmung - Der DGB-Rechtsschutz kommentiert

Streitschlichtung im Betrieb hat Vorrang

24. Oktober 2014

Der Betriebsrat kann eine betriebsverfassungsrechtliche Meinungsverschiedenheit nicht im Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht klären, wenn sich die Betriebsparteien verpflichtet haben, in einem solchen Konfliktfall zunächst ein innerbetriebliches Schlichtungsverfahren zu versuchen.

Orientierungssätze des Gerichts:

  1. Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass für auftretende Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung und die Anwendung einer Betriebsvereinbarung zunächst ein innerbetriebliches Schlichtungsverfahren durchzuführen ist und erst nach dessen Scheitern ein Beschlussverfahren eingeleitet werden kann. Ein ohne Beachtung eines solchen obligatorischen Schlichtungsverfahrens erhobener Antrag ist von den Arbeitsgerichten als unzulässig abzuweisen.

  2. Die zivilprozessualen Vorschriften über das schiedsrichterliche Verfahren und den dort bestimmten Ausschluss des Rechtswegs zu den staatlichen Gerichten (§ 1029 Abs. 1, § 1032 Abs. 1 ZPO) sind auf eine zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat getroffene Vereinbarung über ein obligatorisches innerbetriebliches Schlichtungsverfahren nicht anzuwenden.


Quelle:
BAG, Beschluss vom 11.02.2014
Aktenzeichen 1 ABR 76/12

Folgen für die Praxis

Anmerkung von Matthias Bauer, ehemals DGB Rechtsschutz GmbH

Einigungsstelle oder Arbeitsgericht?

Der Antrag des Betriebsrats im Beschlussverfahren richtet sich gegen sein Unternehmen, das Schienenfahrzeuge herstellt und neben den 2000 Stammarbeitnehmern noch 450 Leiharbeitnehmer beschäftigt. Er will damit erreichen, dass das Unternehmen eine Betriebsvereinbarung über Gleitzeit und den Zeitausgleich auch auf die Leiharbeiter anwendet.

Wenn sich Betriebsrat und Arbeitgeber über etwas streiten, ist oft das Anrufen der Einigungsstelle (§ 76 BetrVG) das Mittel der Wahl. Das gilt aber eben nur bei Regelungsstreitigkeiten, wie z.B. ob Nichtraucherschutz durch ein striktes Verbot des Rauchens oder durch Raucherzonen erreicht werden soll. Da streitet man sich nicht über die Frage der Mitbestimmung, die über § 87 Abs.1 Nr.1 BetrVG zweifelsfrei gegeben ist, sondern über die Regelung als solche.

Die Parteien dieses Verfahrens stritten sich nicht um eine Reglung im vorerwähnten Sinne, sondern um eine Rechtsfrage, ob nämlich die Betriebsvereinbarung (BV) auf Leiharbeitnehmer ausgedehnt werden kann. Insofern schien der Betriebsrat formal den richtigen Weg gewählt zu haben; denn über Rechtsfragen entscheiden die Gerichte.

Vorrang hat das von den Parteien selbst vereinbarte Verfahren

Das LAG Berlin-Brandenburg hatte auch zu Gunsten des Betriebsrats entschieden und die BV auf die Leiharbeiter für anwendbar erklärt. Das BAG aber stellte fest, die BV selbst eine Vorschrift über das Vorgehen zur Klärung von Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung der Vereinbarungen enthält: Dazu ist zunächst eine paritätische Kommission zu bilden und bei Nichteinigung die Einigungsstelle anzurufen.

Diese Vorschrift hatten weder die Parteien noch die Vorinstanzen gesehen und in ihrer Bedeutung erkannt. So konnte das BAG auf mehrere seiner Entscheidungen verweisen, die sich mit der Frage des Vorrangs einer Schlichtungsvereinbarung in einer BV vor der Einschaltung von Gerichten beschäftigen (zuletzt BAG vom 16.08.2011 – 1 ABR 22/11).

Schiedsvereinbarung galt auch für Betriebsparteien

Es stellt heraus, dass es sich hierbei nicht um eine nach zivil- und zivilprozessualen Vorschriften zu behandelnde Schiedsvereinbarung handelt, sondern um eine solche der Betriebsparteien zur Lösung von Konflikten auf kollektivrechtlicher Ebene. Sie hat auch dann Vorrang vor der Anrufung der Gerichte, wenn es um eine reine Rechtsfrage zur BV geht, wie im vorliegenden Fall.

Lesetipp der AiB-Redaktion
»Mediation auf Initiative des Betriebsrats Wer trägt die Kosten« von Schwinkowski/Neumaier in » Arbeitsrecht im Betrieb« 1/2012, S. 36-39.

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