Massenentlassung - Der DGB-Rechtsschutz kommentiert

Kein Sozialplan unter Vorbehalt

17. August 2015

Ein von der Einigungsstelle beschlossener Sozialplan ist unwirksam, wenn darin die finanziellen Leistungen für die Mitarbeiter von der Entscheidung eines anderen Unternehmens abhängen – so das Arbeitsgericht Berlin.

Die Arbeitgeberin fertigte im Auftrag eines zum gleichen Konzern gehörenden Unternehmens auf dem Flughafen Berlin-Tegel Passagiere ab. Dabei wurden die entstandenen betriebswirtschaftlichen Verluste stets konzernintern ausgeglichen. Nach einer Kündigung aller Aufträge kündigte sie die Arbeitsverhältnisse aller Arbeitnehmer.

Die Arbeitgeberin verhandelte mit dem Betriebsrat in einer betrieblichen Einigungsstelle über einen Sozialplan. Am 21.01.2015 beschloss die Einigungsstelle einen Sozialplan. Darin war vorgesehen, eine Transfergesellschaft zur Fort- und Weiterbildung der Arbeitnehmer zu bilden. Das Volumen des Sozialplans und die Leistungen für die Beschäftigten sollten zum Teil von Vorgaben eines Konzernunternehmens abhängen.

Einigungsstelle muss selbst über Leistungen entscheiden

Auf Antrag des Betriebsrats hat das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin den Sozialplan für unwirksam erklärt. Das Gericht entschied, es sei unzulässig, die Dotierung des Sozialplans von der Entscheidung eines Dritten abhängig zu machen; vielmehr müsse die Einigungsstelle selbst entscheiden, ob und wie die den Arbeitnehmern entstehenden Nachteile ausgeglichen oder gemildert werden.

Die vorgesehenen Leistungen seien zudem unzureichend. Die Einigungsstelle habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass die aufgetretenen Verluste bislang konzernintern ausgeglichen wurden und deshalb zu erwarten gewesen sei, dass auch angemessene Abfindungen innerhalb des Konzerns finanziert werden würden.

Kündigungen bleiben dennoch wirksam

Die Regelungen zur Transfergesellschaft unterlägen teilweise nicht dem zwingenden Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats und könnten daher nicht durch einen Spruch der Einigungsstelle getroffen werden. Es sei auch zweifelhaft, ob durch die erfolgte Ausgestaltung der Transfergesellschaft eine Arbeitslosigkeit der Arbeitnehmer wirklich vermieden werden konnte.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig; sie kann mit der Beschwerde an das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg angefochten werden. Sollte die Entscheidung rechtskräftig werden, muss die Einigungsstelle erneut über die Aufstellung eines Sozialplans entscheiden; die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen hängt nicht von der Entscheidung über die Wirksamkeit des Sozialplans ab.

Quelle:
ArbG Berlin, Beschluss vom 07.07.2015
Aktenzeichen 13 BV 1848/15
Pressemitteilung Nr. 19/15 vom 07.07.2015

Folgen für die Praxis

Mit Anmerkungen von Matthias Beckmann, DGB Rechtsschutz GmbH

Ein Sozialplan (§ 112 BetrVG) hat den Zweck, die infolge von Betriebsänderungen (§ 111 BetrVG) entstehenden wirtschaftlichen Nachteile für die Belegschaft abzumildern oder auszugleichen. Werden wie im hiesigen Fall sämtliche Beschäftigten gekündigt, liegt immer eine solche Betriebsänderung vor.

Können sich Betriebsrat und Arbeitgeber nicht auf einen Sozialplan verständigen, können sie die Einigungsstelle anrufen. Dort erfolgt dann ein weiterer Versuch der Einigung. Kommt diese nicht zustande, entscheidet die Einigungsstelle durch Spruch über die Aufstellung eines Sozialplans. Dieser Spruch ist in (eingeschränktem) Umfang gerichtlich überprüfbar.

Parteien müssen Volumen des Sozialplans festlegen

Ein wesentlicher Punkt bei Sozialplanverhandlungen besteht darin, das Volumen des Sozialplans festzulegen. Die Einigungsstelle muss die durch die Betriebsänderung entstehenden Nachteile für die Arbeitnehmer möglichst konkret ermitteln, um sie durch entsprechende Regelungen im Sozialplan ausgleichen zu können.

Dabei sind die Aussichten der Arbeitssuchenden auf dem Arbeitsmarkt nach Lebensalter, Ausbildung, Fähigkeiten, besonderen Qualifikationen, besonderen Merkmalen wie Schwerbehinderung usw. unterschiedlich zu berücksichtigen.

Im hiesigen Fall hatte die Einigungsstelle das Volumen des Sozialplans aber von der Entscheidung eines anderen Konzernunternehmens abhängig gemacht, was nach Ansicht des Gerichts unzulässig war.

Es kommt auf Leistungsfähigkeit der Konzernunternehmen an

Ein zweiter Kritikpunkt war, dass die Leistungen des Sozialplans unzureichend waren. Zwar hat die Einigungsstelle nach dem BetrVG auch die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das Unternehmen zu berücksichtigen.

In Konzernunternehmen kann es bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit jedoch, insbesondere wenn es Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträge gibt, auch auf die anderen Konzernunternehmen ankommen.

Im vorliegenden Fall hatte es stets einen konzerninternen Ausgleich der Verluste des Arbeitgebers gegeben, so dass das Arbeitsgericht richtigerweise auch moniert hat, dass die Einigungsstelle nicht die finanzielle Leistungsfähigkeit der Konzernunternehmen berücksichtigt hat. Der Betriebsrat hat daher völlig zu Recht den Spruch der Einigungsstelle gerichtlich angegriffen.

Lesetipp der AiB-Redaktion:
»Transfergesellschaft mal ganz anders« von Neumann-Cosel/Kraemer in »Arbeitsrecht im Betrieb« 4/2015, S. 42 – 45.

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