Grundsicherung

Spätaussiedler erstreiten Hartz IV-Leistungen

04. Juni 2014

Hilfesuchende behalten ihren Anspruch auf Grundsicherungsleistungen unter Umständen auch dann, wenn sie sich weigern, einen aussichtsreichen Antrag auf Rente im Ausland zu stellen. Die Antragsbefugnis geht dann auf den Träger der Grundsicherung über. So das Sozialgericht Dresden im Falle eines aus Russland gebürtigen Spätaussiedler-Ehepaares.

Hilfsbedürftige, die sich weigern, einen Rentenantrag in Russland zu stellen, verletzen ihre Mitwirkungspflichten nicht unbedingt so gravierend, dass sie ihren Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) verlieren.

Die 1951 und 1952 in der ehemaligen Sowjetunion geborenen Hilfesuchenden sind miteinander verheiratet. Beide besitzen sowohl die deutsche als auch die russische Staatsbürgerschaft. Sie kamen 1997 als Spätaussiedler nach Deutschland und sind arbeitslos.

Versagung der Regelleistung

Das Jobcenter Sächsische Schweiz-Osterzgebirge forderte die Hilfesuchenden auf, einen Antrag auf Gewährung einer russischen Rente zu stellen. Dem kam der Ehemann nicht nach, da die Beantragung der Rente in Russland sehr kompliziert und kostenaufwändig sei. Außerdem hätten sie die Entlassung aus der russischen Staatsbürgerschaft beantragt. Daraufhin bewilligte das Jobcenter nur die Kosten der Unterkunft und versagte die Regelleistung.

Die Behörde argumentiert, dass der Ehemann seine vorrangigen Rentenansprüche in Russland nicht beantragt und damit seine Mitwirkungspflicht verletzt habe. Das Ehepaar wollte das nicht einsehen und wandte sich per Eilantrag an das Sozialgericht (SG) Dresden.

Leistungsversagung rechtswidrig

Das Gericht gab dem Antrag statt und verpflichtete das Jobcenter zur Zahlung der Regelleistung.

Zwar sei es richtig, dass Hilfesuchende alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen hätten, also durchaus auch eine etwaige Rente beantragen müssten. Kommen sie dem nicht nach, kann sich das Jobcenter aber nur der vom Gesetz vorgesehenen Reaktionsmöglichkeiten bedienen. Die gänzliche Versagung ist hier jedenfalls keine gesetzlich vorgesehene Reaktionsoption.

Existenzsicherung vorschnell verweigert

Die Behörde hätte die russische Rente selbst beantragen oder Sanktionsmöglichkeiten und Erstattungsansprüche prüfen können. Auf jeden Fall sei es rechtswidrig gewesen, die Leistungen ohne weitere Prüfung zu versagen und dem Ehepaar damit die Existenzsicherung vorzuenthalten.

O-Ton der Entscheidung: Die "ersichtlich rechtswidrige Verwaltungsentscheidung macht umso mehr betroffen, wenn man sich vor Augen führt, dass hier den hilfebedürftigen Antragstellern Leistungen in Höhe von monatlich 706 € vorenthalten werden sollen, weil der Antragsgegner [das Jobcenter] vielleicht 70 €/Monat sparen könnte, wenn überhaupt ein Rentenanspruch besteht."

Die Richter kritisieren außerdem, dass aufgrund der Bedarfsgemeinschaft auch die Ehefrau von der Versagung betroffen war, obwohl sie sämtliche Mitwirkungspflichten einwandfrei erfüllt hatte.

Quelle:

SG Dresden, Beschluss vom 25.03.2014
Aktenzeichen: S 40 AS 1666/14
PM des SG Dresden vom 26.03.2014

© bund-verlag.de - (jes)

Lesetipp der Online-Redaktion:

»Wie die Hartz-IV-Sätze klein gerechnet wurden – Das Grundsicherungsniveau als Ergebnis von normativen Setzungen und Empirie« von Irene Becker in »Soziale Sicherheit« Ausgabe 3/2014 S. 93 - 102

Linktipp:

Grundsicherung – Jobcenter muss höhere Mietkosten zahlen : BSG, Beschlüsse vom 02.04.2014 – Aktenzeichen B 4 AS 17/14 B und B 4 AS 18/14 B

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