Arbeit 4.0

Neun Fragen an DGB-Chef Reiner Hoffmann

24. September 2015

Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann erklärt in der neuen Ausgabe der Zeitschrift »Arbeitsrecht im Betrieb«, was der Begriff »Arbeit 4.0« für Beschäftigte bedeutet. Außerdem skizziert er seine Ideen für die Zukunft der Arbeit. Das ganze Interview lesen Sie hier exklusiv und in voller Länge.

Arbeiten wird vernetzter, digitaler, flexibler. Der Begriff »Arbeit 4.0« bezeichnet in der aktuellen Diskussion die vierte industrielle Revolution (Industrie 4.0) und befasst sich mit den zukünftigen Arbeitsformen und Arbeitsverhältnissen.

Was ist mit dem Begriff Arbeit 4.0 genau gemeint und wie soll die Arbeit der Zukunft aussehen?

Mit Arbeit 4.0. ist gemeint, dass Arbeit zunehmend mit digitalen Mitteln wie Computern oder digital gesteuerten Robotern verrichtet wird. In der industriellen Produktion geht es darum, dass Menschen, Maschinen und Werkstücke vom Auftrag bis zum fertigen Produkt über die Kommunikationstechnologie in Echtzeit miteinander verbunden werden und der Prozess sich selbst steuert. Der komplette Wertschöpfungsprozess einschließlich der damit verbundenen Dienstleistungen wird so auf eine neue, digitale Grundlage gestellt. Industrie und Dienstleistungen sind immer mehr miteinander verflochten. Dieser Prozess verändert Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsverhältnisse, nicht nur in der Industrie, sondern auch in den Dienstleistungen oder in den öffentlichen Verwaltungen.

Bisher ist vieles unwägbar, die Branchen sind unterschiedlich betroffen. Welche Chancen gibt es und welche Risiken?

Sicherlich wird die menschliche Arbeit auch in der digitalisierten Arbeitswelt einen festen Stellenwert behalten. Denn Computer können zwar gut Regeln befolgen, sind aber noch oft von für Menschen ganz einfachen Situationen überfordert und menschlichem Handeln unterlegen. So kann beispielsweise ein Roboter ein Werkstück, das nur falsch in seiner Verpackung steht – heute noch – nicht weiter bearbeiten. Roboter brauchen Standards, mit Abweichungen haben sie Probleme. Maschinen haben noch Grenzen, wenn sie kreativ sein sollen, unternehmerisch oder innovativ. Diese Grenzen verschieben sich allerdings ständig. Im Entwickeln von Ideen, dem Erkennen von Mustern im weit gesteckten Rahmen, in komplexer Kommunikation, in Kreativität und Innovation liegen aber weiterhin die Stärken menschlicher Arbeit gegenüber dem Computer. Insofern werden sich die Anforderungen an die Qualifikationen und Kompetenzen der Beschäftigten wandeln. So entstehen Chancen auf neue und interessante Arbeitsaufgaben und mehr Selbstbestimmung für die Beschäftigten – und damit neue Potenziale für die Humanisierung von Arbeit.

Doch auch die Risiken sind nicht zu übersehen: Flexibilisierung könnte einseitig zugunsten des Arbeitgebers diktiert, Produktionsabläufe einseitig technisch bestimmt, Aufgabenzuschnitte verengt und Tätigkeiten standardisiert werden. Dadurch entsteht die Gefahr, dass Arbeit sinnentleert wird oder Scheinselbständigkeit entsteht. Wo rationalisiert wird, droht der Abbau von Arbeitsplätzen gerade im Bereich an- und ungelernter Beschäftigtengruppen.

Was muss getan werden, um den Prozess möglichst gut zu gestalten – vor allem im Hinblick auf die Industrie 4.0 und die damit verbundenen fundamentalen Änderungen in der Produktion?

Für die Gewerkschaften gilt: Der Wert der Arbeit muss ins Zentrum gesellschaftlicher Debatten. Gute Arbeit ist menschengerecht gestaltete Arbeit. Die Technik muss dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. Die Entwicklung der Technologien muss an einem demokratischen, humanistischen, emanzipatorischen und ökologischen Leitbild ausgerichtet werden und die Technik auf den Menschen zugeschnitten werden. Deutschlands zentraler Wettbewerbsvorteil liegt in seinen Fachkräften – und das muss auch so bleiben. Das heißt, die Beschäftigten müssen bei den rasanten technischen Entwicklungen durch Bildung und Qualifizierung, gerade auch durch lernförderliche Arbeitsorganisation, mitgenommen und die Schwachen besonders geschützt werden. Dafür müssen wir wissen, in welchen Branchen wir mit welchen Wirkungen auf die Arbeitswelt rechnen müssen und brauchen entsprechend intensive Arbeitsforschung. Komplexere Aufgaben, mehr Verantwortung und selbstbestimmtes Arbeiten heißen auch, dass wir mehr Mitbestimmungsrechte brauchen – für den einzelnen und für Betriebsräte.

Digitaler Wandel bedeutet auch flexibleres Arbeiten – wie können die Beschäftigten etwa vor zeitlicher Überbeanspruchung geschützt werden?

Es zeichnet sich bereits überall ab: Die Arbeit wird stärker flexibilisiert im Hinblick auf die Arbeitszeit, den Arbeitsort, aber auch auf die Entlohnung: Nicht mehr die Arbeitszeit im Büro ist wichtig, sondern die Leistung, egal, wann und wo sie erbracht wird. Viele nutzen heute mobile Endgeräte wie Smartphone oder Tablets, und sind damit überall und jederzeit erreichbar. Das kann auch mehr Stress bedeuten: Termin-, Leistungs- und permanenter Erfolgsdruck, ständige Arbeitsunterbrechungen und Multitasking. Den Beschäftigten wird eine neue Selbstverantwortung und Selbststeuerung abgefordert, aber auch neue Möglichkeiten der Überwachung durch den Arbeitgeber entstehen. Alle diese Entwicklungen werfen Fragen nach Arbeitnehmerrechten und Arbeitsschutz im digitalen Wandel auf: Wir brauchen neue Spielregeln für Flexibilität und Sicherheit und einen neue Balance zwischen betrieblichen Anforderungen und Arbeitnehmerinteressen.

Wie kann gesichert werden, dass etwa ergonomische Standards und auch die Datensicherheit bei mobiler Arbeit künftig eingehalten werden?

Die Gewerkschaften fordern, die zukünftige Arbeitswelt an einem Leitbild Guter digitaler Arbeit auszurichten. Wenn Betriebe digitalisieren, ob im Büro oder der Fabrikhalle, ob sie outsourcen oder crowdsourcen, sie müssen frühzeitig die Betriebsräte hinzuziehen. Dazu brauchen wir mehr aktive Betriebsräte in den Betrieben und Tarifverträge zum Ausbau der Weiterbildung.

Die Digitalisierung führt auch zu neuen Herausforderungen für den Datenschutz, nicht nur für Unternehmen und Kunden, sondern auch für den Schutz der Daten von Beschäftigten. Deshalb brauchen wir ein Beschäftigtendatenschutzgesetz, das gewährleistet, dass digitale Transparenz nicht dazu missbraucht wird, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu überwachen. Der derzeitige Vorschlag zur Datenschutzgrundverordnung der EU torpediert den hohen Beschäftigtendatenschutz in Deutschland. Dem werden die Gewerkschaften nicht tatenlos zusehen.

Wie können Beschäftigte davor geschützt werden, dass ihnen das Unternehmer-Risiko aufgebürdet wird durch neue Formen der Arbeit (wie etwa Crowdworking)?

Die Plattform-Ökonomie (dabei werden über digitale Plattformen Anbieter von Arbeit und Nachfragende zusammengebracht, Anmerkung der Redaktion) stellt arbeits- und sozialrechtliche Standards sowie die Mitbestimmung in Frage. Doch die Digitalisierung darf kein Treiber für prekäre Beschäftigung werden. Auch wenn wir bislang mit der Herausforderung konfrontiert sind, dass bestehende Rechte für Crowdworking schwer zu fassen sind, brauchen wir einen wirksamen Schutz der Solo-Selbständigen (diese arbeiten auf eigene Rechnung und ohne Angestellte, Anmerkung der Redaktion): Sie müssen ebenso fair bezahlt und sozial abgesichert werden wie Angestellte. Und auch für sie gelten die Regeln des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie Mitbestimmungsmöglichkeiten, damit die Chancen auf Selbstverwirklichung, Autonomie und nicht entfremdete Arbeit, die die neuen Selbständigen suchen, auch verwirklicht werden können. Die Gewerkschaften bemühen sich um eine intelligente Formen des Schutzes der Crowdworker: Für die Plattformen sollten Mindesthonorare und arbeitspolitische Standards gelten und digitale Scheinselbständigkeit vermieden werden. Dies wird nur mit den Solo-Selbständigen zusammen gelingen: Sowohl ver.di als auch IG Metall machen bereits entsprechende Angebote im Netz (crowdworker-Beratung.de und faircrowdwork.de).

Wie wird die Mitbestimmung künftig aussehen und was können Betriebsräte tun?

Betriebs- und Personalräte werden sich weiter erfolgreich für die Interessen der Beschäftigten einsetzen. Diese Aufgabe wird schwieriger, da Belegschaften heute nicht mehr so homogen sind wie bisher. Die »Kernbelegschaften« werden immer kleiner und die so genannten Randbelegschaften, bestehend unter anderem aus Leiharbeitern, Werkvertragsnehmern und zunehmend Crowdworkern, werden größer. Für letztere ist ein Betriebs- oder Personalrat in der Re-gel nicht zuständig. Das wird sich künftig ändern müssen. Wir müssen die Betriebs- und Personalräte wieder in die Lage verset-zen, tatsächlich die – zunehmend vielfältigeren – Interessen ihrer Beschäftigten vertreten zu können, auch die der Randbelegschaft. Die Aufgabe der Betriebsräte wird sein, kollektiven Schutz zu bieten, ohne die Einzelnen in ihrer persönlichen Wahlfreiheit einzuschränken. Vereinbarungen zu Homeoffice oder zu Mobilem Arbeiten sind die Herausforderungen. Der oder die einzelne Beschäftigte sollte auf Augenhöhe Arbeitsbedingungen aushandeln können, aber trotz-dem durch »Leitplanken« geschützt sein.

In Ihrem Buch ist die Rede von der »Offensive Mitbestimmung«. Wo geht es konkret in die Offensive?

Die Offensive soll die zentrale Rolle der Mitbestimmung für Gute Arbeit herausheben und eine Debatte darüber anregen. Die Rechte der Mitbestimmungsgremien sollten mit den Veränderungen mithalten können. Nur so können Betriebs- und Personalräte wirk-ich helfen. Dazu müssen wir den mitbestimmungspolitischen Stillstand der letzten Jahre überwinden und diese Rechte weiterentwickeln. Vor allem die Reichweite der Mitbestimmung sollte erweitert werden. Ein Betriebsrat sollte wieder alle Mitarbeiter eines Betriebes vertreten können, unabhängig von der Vertragsart. Zudem muss die Flucht aus der Mitbestimmung unmöglich gemacht und der Eintritt in die Mitbestimmung, also eine Betriebsratswahl, vereinfacht und vor allem abgesichert werden. Noch immer wird die Behinderung von Betriebsräten als Kavaliersdelikt betrachtet. Auch hier bedarf es der Offensive der Gewerkschaften.

Die Politik initiiert gerade einen Dialog zum digitalen Wandel zwischen Wirtschaft und Sozialpartnern und will daraus konkrete Handlungsoptionen (Erstellung eines Weißbuches bis Ende 2016) liefern – wie beurteilen Sie das Vorhaben?

Zum digitalen Wandel gibt es derzeit eine Vielzahl politischer Vorstöße. Exemplarisch lassen sich dabei als Initiativen der Bundesregierung der Grünbuchprozess (Grünbuch: Dokument mit Analysen und offenen Fragen zu wichtigen Entwicklungen und Handlungsfeldern in der Arbeitsgesellschaft von morgen, Anmerkung der Redaktion) sowie die gerade gegründete Plattform »Digitale Arbeitswelt« im Rahmen des IT-Gipfels nennen, ebenso wie die Plattform »Industrie 4.0« und das Bündnis »Zukunft der Industrie«, in dem Gewerkschaften, Wirtschaft und Politik zusammenwirken. Damit zu den Leitplanken für den digitalen Wandel, die in diesen Prozessen gesetzt werden, auch Gute Arbeit in der digitalen Arbeitswelt gehört, ist es wichtig, dass die Sozialpartner von Anfang an den Prozessen beteiligt werden.

Mehr zum Thema Crodworking:

»Digitale Tagelöhner« von Michaela Böhm in »Arbeitsrecht im Betrieb« (AiB) 2014, Ausgabe 11, S. 39 – 42 .

»Digitales Arbeiten – das neue »Wir« im Job?« von Mattias Ruchhöft in »Computer und Arbeit« (CuA) 2015, Ausgabe 3, S. 16 – 19 .

Lesetipp der Redaktion:

Wolfgang Däubler: Internet und Arbeitsrecht – Web 2.0, Social Media und Crowdwork , 538 Seiten, 5. Aufl. 2015, Bund-Verlag, Ladenpreis: € 29,90, ISBN: 978-3-7663-6427-2

Quelle:

»Arbeitsrecht im Betriebs« (AiB) 10/2015 , S. 24 ff.

© bund-verlag.de (cs)

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