Arbeitsschutz

7 Fragen zur Gefährdungsbeurteilung

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Quelle: Bund-Verlag GmbH

Gefahren für die Gesundheit der Beschäftigten lauern überall. Doch wo genau? Um das festzustellen, gibt es die Gefährdungsbeurteilung. Der Betriebsrat hat dabei eine wichtige Rolle. Er muss mitbestimmen und sich daher auskennen. Wir beantworten 7 Kernfragen. Und empfehlen dringend den Infodienst + Online-Datenbank »Arbeitsschutz und Mitbestimmung«.

1. Was ist eine Gefährdungsbeurteilung?

Arbeitgeber müssen die Mitarbeiter vor Gesundheitsschäden und Berufsunfällen schützen. So steht es im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Jegliche Gefährdungen für die Gesundheit der Mitarbeiter gehören beseitigt. Dafür muss der Arbeitgeber Präventionsmaßnahmen ergreifen, diese gehören zur Fürsorgepflicht in jedem Betrieb. Das gilt für Bürojobs genauso wie für Arbeitsplätze mit hohem Unfallrisiko.

Um nun festzustellen, welche Präventionsmaßnahmen konkret nötig sind, muss der Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung vornehmen. Dabei handelt es sich um ein mehr oder weniger formalisiertes Verfahren, das so im ArbSchG vorgesehen ist (§ 5 ArbSchG). Der Arbeitgeber muss alles rund um jeden einzelnen Arbeitsplatz unter die Lupe nehmen  – inklusive räumlicher Bedingungen, Organisation und Lärmbelastung – und mögliche Gesundheitsgefährdungen identifizieren. Das reicht aber nicht. Vielmehr muss der Arbeitgeber auch konkrete Maßnahmen ergreifen oder Lösungen finden, wie die Gesundheitsgefährdungen beseitigt oder jedenfalls auf ein Minimum reduziert werden. Bei den Gesundheitsgefährdungen geht es immer gleichermaßen um die physischen und die psychischen Belastungen.

2. Wie genau läuft eine Gefährdungsbeurteilung ab?

Das Gesetz verlangt zwar das Durchführen einer Gefährdungsbeurteilung für jeden Arbeitsplatz, verzichtet aber ansonsten auf weitere Konkretisierungen. Dennoch hat sich in der Praxis des Arbeitsschutzes inzwischen ein relativ formalisiertes, schrittweises Vorgehen bewährt.

In der Regel erfolgt jede Gefährdungsbeurteilung anhand der folgenden 7 Schritte:

  1. Festlegen der zu überprüfenden Arbeitsplätze
  2. Ermitteln der Gefährdungen für den Arbeitsplatz
  3. Bewerten der Gefährdungen
  4. Entwickeln von Lösungen als Gegenmaßnahmen (sog. Arbeitsschutzmaßnahmen)
  5. Durchführen dieser Arbeitsschutzmaßnahmen im Arbeitsalltag
  6. Überprüfen der Wirksamkeit dieser Maßnahmen in regelmäßigen Abständen
  7. Anpassen der Bewertung und der Maßnahmen in Folge eintretender Änderungen

Die Schritte 1 bis 4 bilden die Planungsphase, Schritt 5 die Realisierungsphase, in der Maßnahmen im Betrieb umgesetzt werden und die Schritte 6-7 die Überwachungs- und Optimierungsphase. Der Arbeitgeber ist in der Pflicht. Er muss dafür sorgen, dass dieses Verfahren durchgeführt und alle für die Gesundheitsprävention notwendigen Maßnahmen im Betrieb ergriffen werden.

3. Ist für jeden einzelnen Arbeitsplatz eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen?

Nein. Bei gleichartigen Arbeitsbedingungen reicht es aus, wenn ein Arbeitsplatz exemplarisch unter die Lupe genommen wird. Gleichartig sind die Arbeitsbedingungen dann, wenn auch die mit Belastungen oder Gefährdungen vergleichbar sind. Bei Büro- oder Fertigungsarbeitsplätzen, an denen mit den gleichen Arbeitsmitteln, Arbeitsgegenständen und in einer vergleichbaren Arbeitsumgebung Tätigkeiten ausgeführt werden, reicht das Durchführen einer Gefährdungsbeurteilung anhand eines einzigen Arbeitsplatzes aus.

Damit werden Standardbeurteilungen möglich. Immer ist allerdings zu beachten, dass auch bei gleichartigen Gefährdungssituationen die individuelle Beanspruchung der Beschäftigten – je nach Alter, Vorbelastung etc. – unterschiedlich ausfallen kann. Dies muss in die Gefährdungsbeurteilung Eingang finden.

4. Muss für die verschiedenen Gefährdungen jeweils eine separate Gefährdungsbeurteilung erfolgen?

Nein. Die Gefährdungsbeurteilung ist »ganzheitlich« zu verstehen. Der Arbeitgeber muss in einem einzigen Prozess alle Belastungen für die physische und psychische Gesundheit der Beschäftigten identifizieren. Er muss alle sicherheitsrelevanten und ergonomischen Belastungen aus Arbeitsplatz, Arbeitsmittel, Arbeitsverfahren, Arbeitsablauf, Arbeitsaufgabe und Arbeitszeit berücksichtigen und in einer Gesamtbewertung bündeln. Gefahren im Umgang mit toxischen Stoffen sind genauso zu berücksichtigen wie die Gefahren durch Bildschirmarbeit, die Stressfaktoren durch schlechte Führungskultur oder die Gesundheit gefährdende Arbeitszeitmodelle. Wechsel- und Kombinationswirkungen verschiedener Einflussfaktoren oder Gefahrstoffe müssen in die Gesamtbewertung der Gefährdungsbeurteilung einfließen.

Für bestimmte Gefahrenbereiche gibt es Sonderregelungen, die auch eine Beurteilung der Arbeitsbedingungen durch den Arbeitgeber vorschreiben. Dazu gehören neben der Arbeitsstättenverordnung (neuerdings auch für Bildschirmarbeit) vor allem die Gefahrstoff, die Betriebssicherheits- und die Lärmvibrationsverordnung. Sämtliche gesetzlich vorgeschriebene Beurteilungen sind zu bündeln – in einer Gefährdungsbeurteilung.

5. Gelten für psychische Gefährdungen besondere Regelungen?

Eigentlich nein. Seit 2013 schreibt das ArbSchG explicit vor, dass psychische Belastungen in jeder Gefährdungsbeurteilung mit zu berücksichtigen sind (§ 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG). Hintergrund ist, dass Arbeitsverdichtung, Stress und Zeitdruck heutzutage vielfach den Arbeitsalltag prägen und Ursache für Depressionen, Burn Out, aber auch Herz- und Kreislauf- und andere schwere Erkrankungen sind.

Allerdings fehlt häufig im Betrieb die Erfahrung, wie psychische Gefahren zu erkennen sind und wie damit umzugehen ist. Im Grundsatz gelten auch für die psychischen Gefährdungen die sogenannten »7 Schritte« (siehe Frage 2). Allerdings haben sich besondere Erhebungsmethoden in der Praxis bewährt, die gerade auf diese Stressfaktoren abzielen.

Wie es etwa mit den persönlichen Stressfaktoren des einzelnen Mitarbeiters aussieht, sollte in Mitarbeiterbefragungen, eventuell auch schriftlichen Fragebögen und workshops ermittelt werden. Gerade hier spielt das enge Einbinden der betroffenen Beschäftigten eine große Rolle. Die Befragungen sollten umfassen:

  • Anforderungen an den Arbeitnehmer
  • Arbeitszeit, Arbeitsorganisation
  • Autonomie und Verantwortung
  • Verhältnis zum Vorgesetzten, dessen Führungsqualität
  • Soziale/emotionale Belastungen

6. Gelten für kleine und mittlere Betriebe andere Regeln?

Nein. Eine Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG muss in allen Betrieben ungeachtet ihrer Größe durchgeführt werden. Sonderregeln für kleine und mittlere Betrieben wären daher nicht sachgerecht. Ob Maßnahmen zum Gesundheitsschutz zu ergreifen sind und wenn ja, welche richtet ausschließlich nach der Gefährdung für die physische und psychische Gesundheit der Beschäftigten. Die Betriebsgröße spielt keinerlei Rolle.

7. Hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Gefährdungsbeurteilung?

Klares Ja! Und zwar ein extrem weitreichendes. Das liegt vor allem daran, dass der Gesetzgeber zwar klar eine Gefährdungsbeurteilung für jeden Betrieb verlangt, die Ausgestaltung derselben aber nicht regelt. Und immer dann im Arbeitsschutz, wenn eine solche Rahmenbestimmung noch der konkreten betrieblichen Anpassung bedarf, geht das nur im Schulterschluss zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG). Daher muss der Betriebsrat bei jedem einzelnen Schritt der Gefährdungsbeurteilung mitbestimmen. Gefährdungsbeurteilungen ohne Beteiligung des Betriebsrats bedeuten eine schwere Pflichtverletzung des Arbeitgebers. Unwichtig ist übrigens – nach klarer Aussage des BAG – auch, ob eine konkrete Gesundheitsgefahr vorliegt.

Aber noch weitergehender: Der Betriebsrat hat sogar ein Initiativrecht und kann von sich aus die Gefährdungsbeurteilung für seinen Betrieb anregen – was übrigens auf vielfach geschieht.

Und schlussendlich: Betriebsräte müssen im Rahmen ihrer allgemeinen Überwachungsaufgabe (§ 80 BetrVG) darauf achten, dass der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen aus § 5 ArbSchG – also eine umfassende Gefährdungsbeurteilung für jeden Arbeitsplatz vorzunehmen – nachkommt. Betriebsräte können dafür vom Arbeitgeber verlangen, dass er ihnen alle für die Gefährdungsbeurteilung notwendigen Informationen und Unterlagen zur Verfügung stellt.

Auch wenn der Arbeitgeber mehrere Optionen hat, um den gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen, muss der Betriebsrat mitbestimmen – wie eben hier.

Mehr Informationen zum Arbeitsschutz finden Sie in unserem Informationsdienst »Arbeitsschutz und Mitbestimmung«.

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