Urlaub

»Anschlag am Schwarzen Brett reicht nicht«

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Quelle: © Marco Antonio Fdez. / Foto Dollar Club

Gute Nachrichten: Das BAG hat entschieden, dass Urlaub nur noch verfallen kann, wenn der Arbeitgeber die Beschäftigten zuvor konkret und rechtzeitig aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen. Was heißt das? Und was meint »rechtzeitig«? Wir haben unseren Experten Prof. Dr. Olaf Deinert gefragt.

Wie bewerten Sie das Urteil? War die Entscheidung längst überfällig?

Olaf Deinert:

Das Bundesarbeitsgericht hatte zuvor ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet. Nach der Antwort aus Luxemburg ist die Entscheidung des BAG nicht besonders überraschend gewesen. Der EuGH verlangt, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub effektiv nehmen können muss. Ein Verfall setzt deshalb voraus, dass der Arbeitnehmer sich dieser Möglichkeit bewusst ist. Insofern konnte es nicht dabei bleiben, dass der Arbeitgeber einfach abwartet und der Arbeitnehmer nachher am Ende des Urlaubsjahres bzw. des Übertragungszeitraums seinen Urlaubsanspruch verliert, weil er keine Urlaubswünsche geäußert hat.

Muss der Arbeitgeber sich an eine bestimmte Form halten, wenn er seine Mitarbeiter künftig auffordert, Urlaub zu nehmen? Reicht ein pauschaler Hinweis am Schwarzen Brett?

Olaf Deinert:

Nach der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts muss der Arbeitnehmer konkret in Bezug auf seinen Urlaubsanspruch unterrichtet werden. Ein Anschlag am Schwarzen Brett wird dazu nicht reichen. Andererseits verlangt die Rechtsprechung bislang keine spezifische Form. Arbeitgeber sollten künftig darauf achten, dass sie alle Arbeitnehmer bei der Urlaubsplanung »im Boot haben«. Wer keine Urlaubswünsche äußert, wird noch einmal konkret unter Hinweis auf den drohenden Verfall am Jahresende und die nur eingeschränkten Möglichkeiten der Übertragung belehrt werden müssen, sonst kann er den Urlaub auch später noch geltend machen.

Der Arbeitgeber muss die Mitarbeiter »rechtzeitig« auffordern, ihren Urlaub zu nehmen. Was ist in diesem Zusammenhang »rechtzeitig«?

Olaf Deinert:

Das ist in der Tat die spannende Frage. Es ist sicher nicht rechtzeitig, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer kurz vor Jahresende so, dass er gerade nach seinen Urlaub nehmen kann, informiert. Dann können die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers nämlich nicht mehr berücksichtigt werden, wenn sie sich damit nicht decken.

Umgekehrt wird es sicher rechtzeitig sein, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer gleich zu Jahresbeginn darauf hinweist. Dazwischen ist vieles vorstellbar. Meines Erachtens setzt »rechtzeitig« mindestens voraus, dass der Arbeitnehmer noch vor der Ferienzeit des Sommers (üblicherweise Schulferien am Betriebssitz) informiert wurde.

Wie ist die Beweislage, wenn es künftig zum Streit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber kommt? Wer muss beweisen, dass der Urlaub nicht verfallen ist?

Olaf Deinert:

Dass der Urlaub verfallen ist, ist eine Einwendung, die der Arbeitgeber geltend macht. Er muss die Voraussetzungen dafür im Streitfall beweisen. Dazu gehört meiner Meinung nach auch, dass der Arbeitnehmer unter ausreichender Information aufgefordert wurde, seinen Urlaub zu nehmen.

Gilt die neue Rechtsprechung auch für nicht genommenen Urlaub aus der Vergangenheit?

Olaf Deinert:

Grundsätzlich ist es möglich, dass Ansprüche aus der Vergangenheit mangels ausreichender Warnung nicht verfallen sind. Wie weit das zurückreichen kann, hat das BAG nicht entschieden, weil es das nicht musste. Insoweit sind die nächsten Entscheidungen des Gerichts mit Spannung zu erwarten.

Der Interviewpartner:

Dr. Olaf Deinert,

Professor für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Göttingen und ehrenamtlicher Richter am Bundesarbeitsgericht (BAG)

 

 

 

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