Arbeitszeit

Arbeitszeiterfassung: Arbeitgeber schon jetzt in der Pflicht!

27. Mai 2020
Uhr_Männchen_55885173
Quelle: © Joachim Wendler / Foto Dollar Club

Vor etwa einem Jahr sorgte der EuGH mit seinem Urteil zur Arbeitszeiterfassung für Furore. Viele meinten jedoch, das Urteil verpflichte zunächst den Gesetzgeber. Bevor dieser das deutsche Arbeitszeitgesetz nicht anpasst, könne von den Arbeitgebern keine Umsetzung verlangt werden. Das Arbeitsgericht Emden sieht das anders – und »überholt« den Gesetzgeber.

Der Kläger arbeitete als ungelernter Bauhelfer von September bis November 2018 auf zwei Baustellen des Arbeitgebers. Dieser bezahlte ihm hierfür 183 Arbeitsstunden. Der Arbeitnehmer verlangte aber die Vergütung von 195 Stunden. Zum Nachweis verwies er auf eigene handschriftliche Aufzeichnungen. Der Arbeitgeber verweigerte die Zahlung, er habe die Stundenanzahl mithilfe eines »Bautagebuchs« erfasst. Diese seien bei Arbeitsbeginn und Arbeitsende dort eingetragen worden. Die Fahrtzeiten von und nach Hause würden nicht bezahlt.

Das sagt das Gericht

Das Gericht gab dem Kläger Recht, er habe Anspruch auf Vergütung von 195 Stunden. Denn der Arbeitgeber habe kein »objektives«, »verlässliches« und »zugängliches« System zur Arbeitszeiterfassung für den klagenden Arbeitnehmer eingerichtet:

  • Objektiv: Erfassung und Aufzeichnung muss in einer Art und Weise erfolgen, die es dem Arbeitnehmer ermöglicht, die geleistete Arbeitszeit mithilfe der Aufzeichnungen objektiv nachzuweisen
  • Verlässlich: die Dokumentation der Arbeitszeit muss zuverlässig geschehen, etwaige Manipulationen müssen ausgeschlossen sein
  • Zugänglich: der Arbeitnehmer muss die Dokumente einsehen und im Bedarfsfalle im Prozess als Beweismittel nutzen können

Das »Bautagebuch« erfülle diese Kriterien nicht. Daher könne der Arbeitgeber auch keine objektiven und verlässlichen Daten vorlegen, anhand derer sich die Arbeitszeiten des Klägers nachvollziehen lassen.

Kein Warten auf den Gesetzgeber

Das Arbeitsgericht Emden konkretisiert zum ersten Mal das Urteil des EuGH zur Arbeitszeiterfassung (14.5.2019 – C-55/18). Danach hat jeder Arbeitnehmer das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten. Eine Erfassung der gesamten täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit (nicht nur der Zeiten, die über acht Studen am Tag hinausgehen, wie § 16 Abs. 2 ArbZG es bisher fordert) ist demnach essentiell, um überhaupt feststellen zu können, ob es sich bei den geleisteten Stunden um über die vereinbarte Normalarbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit handelt und ob die vorgeschriebenen Ruhezeiten eingehalten werden. Dafür müssen Arbeitgeber ein geeignetes objektives System zur Zeiterfassung etablieren.

Das Arbeitsgericht Emden sieht Arbeitgeber schon jetzt in der Pflicht, ein solches System einzurichten – ohne Abwarten, wie der deutsche Gesetzgeber die Verpflichtung aus dem EuGH-Urteil umsetzen wird. Denn die Pflicht zur Erfassung ergebe sich unmittelbar aus Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta. § 16 Abs. 2 ArbZG (wonach der Arbeitgeber nur die über die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen muss) steht dem nicht entgegen und kann die Verpflichtung nicht begrenzen. Laut Gericht dürfen Arbeitgeber also nicht auf die Anpassung des deutschen Arbeitszeitgesetzes warten, bevor sie ein entsprechendes System zur Zeiterfassung einrichten.

© bund-verlag.de (fk)


Quelle

ArbG Emden (20.02.2020)
Aktenzeichen 2 Ca 94/19
AiB-Banner Viertel Quadratisch - Anzeige -

Das könnte Sie auch interessieren