Taschenkontrollen

Auch Abreden binden den Arbeitgeber

02. Oktober 2019
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Quelle: © Gina Sanders / Foto Dollar Club

Der Arbeitgeber darf Regelungsabreden mit dem Betriebsrat nicht unterlaufen. Dies gilt auch, wenn es noch keine Betriebsvereinbarung zu der Frage gibt. Daher kann der Arbeitgeber nicht einseitig einen neuen Ort für Taschenkontrollen festlegen. Von Margit Körlings.

Der Arbeitgeber ist ein weltweit tätiger Sportartikelhersteller. In einem Berliner Einkaufszentrum betreibt er über zwei Etagen ein Verkaufsgeschäft mit über 80 Beschäftigten. Seit mehreren Jahren führt er bei den Mitarbeitern Taschenkontrollen durch. Zum Ende der Schicht oder zu Beginn der Pause müssen die Beschäftigten in den Verkaufsraum ins Erdgeschoss kommen. Der jeweilige Vorgesetzte nimmt am dortigen Hinterausgang die Kontrolle vor.

Im August 2018 wird ein Betriebsrat gewählt, welcher aus fünf Mitgliedern besteht. Im September 2018 fand ein Gespräch zwischen Betriebsrat und Betriebsleitung statt. Man kam überein, dass die Taschenkontrollen künftig »oben an der Notausgangstür durchgeführt werden«. Der Personalverantwortliche teilte dies den Beschäftigten per E-Mail mit. Gleichwohl erfolgten die Kontrollen weiter im Erdgeschoss. Im Februar 2019 gab es ein weiteres Gespräch, bei dem die Betriebsratsmitglieder erklärten, dass sie die Taschenkontrollen nicht weiter tolerieren wollen.

Betriebsrat will Kontrollen untersagen lassen

Der Betriebsrat ist der Ansicht, dass die Taschenkontrollen seinem Mitbestimmungsrecht unterliegen (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG). Das Gremium beantragte beim Arbeitsgericht, die Kontrollen untersagen zu lassen. Eine Zustimmung des Betriebsrates liege nicht vor. Der Arbeitgeber halte sich nicht an die Absprache vom September 2018. Hilfsweise beantragt er, dass die Kontrollen wie verabredet nur noch an der Notausgangstür erfolgen dürfen.

Der Arbeitgeber wandte ein, er habe die Kontrollen vor Jahren mitbestimmungsfrei eingeführt, bevor es einen Betriebsrat gab. Das Verfahren sei nicht durch die spätere Betriebsratswahl unzulässig geworden.

LAG: Auch Abrede mit dem Betriebsrat bindet den Arbeitgeber

Das Gericht hat den Hilfsantrag des Betriebsrats stattgegeben. Auch ohne eine grobe Pflichtverletzung des Arbeitgebers hat der Betriebsrat einen Anspruch auf Unterlassung von  Maßnahmen, die sein Mitbestimmungsrecht verletzen (§ 23 Abs. 3 BetrVG). Diesen Unterlassungsanspruch hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mehrfach bestätigt (grundlegend: BAG 3.5.1994 – 1 ABR 24/93, zuletzt BAG 23.10.2018 – 1 ABR 10/17).

Regelungsabrede ist zu kündigen

Vorliegend gab es im September 2018 eine Absprache bezüglich des Ortes der Taschenkontrollen. Diese stellt eine verbindliche Regelungsabrede dar (§ 77 Abs. 1 BetrVG). Sie ist in entsprechender Anwendung von § 77 Absatz 5 BetrVG ordentlich zu kündigen. Es gilt dann auch eine Kündigungsfrist von drei Monaten, soweit nichts anderes vereinbart wurde. Die Äußerung im Februar 2019 der Betriebsratsmitglieder stellt keine Kündigung dar. Dazu hätte es eines Beschlusses des Gremiums bedurft.

Der Arbeitgeber ist hier einseitig von der Regelungsabrede abgewichen, indem er die Taschenkontrollen nicht an den Notausgang in der zweiten Etage verlegte. Er hätte eine entsprechende neue Vereinbarung mit dem Betriebsrat treffen müssen. Daher konnte der Betriebsrat die Abrede durchsetzen.

Praxistipp

Auch ein neu gewählter Betriebsrat kann mit dem Arbeitgeber Abreden über in der betriebsratslosen Zeit angeordnete Maßnahmen treffen. Kommen diese zustande, hat sich der Arbeitgeber daran zu halten. Einer förmlichen Betriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 2 und 4 BetrVG) bedarf es in diesem Stadium nicht. Der Betriebsrat kann und sollte daher das Handeln des Arbeitgebers sofort ab der Wahl unter die Lupe nehmen.

Kein allgemeiner Unterlassungsanspruch nach Betriebsratswahl

Wird erstmals ein Betriebsrat gewählt, muss er mit dem Arbeitgeber zunächst Verhandlungen über mitbestimmungspflichtige Regelungen führen, z. B. bei den Mitbestimmungsrechten in § 87 Abs. 1, 74 Abs. 1 Satz 2, und § 76 BetrVG. Scheitern diese Verhandlungen, ist die Einigungsstelle anzurufen.

Das Gesetz verlangt vom Arbeitgeber aber nicht, die Handlungen einzustellen, bis er sich mit dem Betriebsrat geeinigt hat oder ein Spruch der Einigungsstelle ergangen ist. Dies hat der Betriebsrat hinzunehmen (LAG Schleswig-Holstein 27.08.2009 – 4 TaBV 12709). Ein genereller Unterlassungsanspruch besteht daher nicht.

Margit Körlings, DGB Rechtsschutz GmbH

Quelle

LAG Berlin-Brandenburg (20.06.2019)
Aktenzeichen 10 TaBVGa 1001/19
Sie erhalten diese Entscheidungsbesprechung als Teil des Newsletters AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat vom 2.10.2019.
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