Unfallversicherung

Für Arbeitsunfälle haftet der Chef nur bei Vorsatz selbst

18. Dezember 2019
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Quelle: www.pixabay.com/de

Bei einem Arbeitsunfall trägt die gesetzliche Unfallversicherung die Kosten des Personenschadens. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld gegen den Arbeitgeber setzt voraus, dass dieser den Unfall und die Unfallfolgen vorsätzlich verursacht hat. Selbst grobe Fahrlässigkeit genügt dafür nicht. Von Margit Körlings.

Darum geht es:

Die Klägerin ist als Pflegekraft bei der Beklagten in einem Seniorenpflegeheim beschäftigt. Das Gebäude kann durch einen Haupt- und einen Nebeneingang betreten werden. An beiden Eingängen befinden sich Zeiterfassungsgeräte.

Im Dezember 2016 gegen 7:30 Uhr stürzt die Klägerin auf dem Betriebsgelände auf dem Weg zum Nebeneingang. Sie zieht sich eine komplizierte Außenknöchelfraktur zu. Der Nebeneingang ist nicht beleuchtet und wird erst nach 8:00 Uhr von Schnee und Eis befreit. Die Klägerin verlangt von ihrem Arbeitgeber Schmerzensgeld und den Ersatz weiterer materieller Schäden.

Das sagt das Gericht:

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) lehnte auch in der Revision einen Schmerzensgeldanspruch ab. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld gegen den Arbeitgeber wegen eines Unfalls komme nur bei so genanntem »doppeltem Vorsatz« in Betracht.

Unternehmen sind gegenüber den bei Ihnen beschäftigten Arbeitnehmern zum Ersatz von Personenschäden nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall also den Unfall, vorsätzlich herbeigeführt haben (§ 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII), oder wenn sie den Unfall verursacht haben, während sich der Arbeitnehmer auf dem versicherten Arbeitsweg befunden hat (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 – 4 SGB VII). Es handelt sich um das Prinzip der Haftungsersetzung. Dies ist ausdrücklich vom Gesetzgeber so gewollt.

Die gesetzliche Unfallversicherung löst die zivile Haftpflicht des Unternehmens ab. Dies soll eine betriebliche Konfliktsituation vermeiden. Auf diese Weise solle das Risiko von Arbeitsunfällen für den Arbeitgeber, der die Beträge für die Unfallversicherung allein aufbringt, kalkulierbar werden. Die Haftungsbeschränkung auf Vorsatz gilt, wenn der Arbeitnehmer sich bei dem Unfall auf dem Werksgelände befindet (§ 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

Haftung nur bei doppeltem Vorsatz

Unstreitig handelt es sich bei der Fraktur um einen Arbeitsunfall auf dem Betriebsgelände und damit einen Versicherungsfall. Für eine Haftung des Arbeitgebers reicht es aber nicht aus, dass dieser ein bestimmtes Handeln gewollt hat, das für die Verletzung ursächlich war. Der Vorsatz des Arbeitgeber muss vielmehr sowohl die Verletzungshandlung als auch den Verletzungserfolg umfassen (BAG 27.06.1975 – 3 AZR 457/14).

Das BAG verneint eine Haftung mit dem Hinweis, dass es vorliegend keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Unternehmer den Versicherungserfolg, also den Knöchelbruch, gewollt oder den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Selbst ein etwaiges Vernachlässigen der Räum-und Streupflicht auf dem Betriebsgrundstück im Winter könne allenfalls ein grob fahrlässiges Verhalten darstellen.

Die Grundsatzentscheidung, nach der sich das BAG in diesem Fall richtet, ist 1975 ist ergangen, als noch die 1912 erlassene Reichsversicherungsordnung (RVO) in Kraft war. Diese wurde erst 1997 durch das Siebte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) abgelöst. An den Voraussetzungen für die Haftungsprivilegierung des Arbeitgebers (§§ 104, 105 SGB VII) hat sich gegenüber der alten Regelung (§§ 636, 637 RVO) nichts geändert.

Hinweis für die Praxis

Warum Unfallversicherung?

Die Anerkennung eines Arbeitsunfalls hat für die betroffenen Beschäftigten einige Vorteile. Bei Unfällen ist im Gegensatz zur Krankenkasse die Berufsgenossenschaft zuständig und zahlt Verletztengeld. Die Leistungen zur Wiederherstellung der Gesundheit sind günstiger im Vergleich zu den Leistungen der Krankenkasse, da alle erforderlichen Maßnahmen ausgeschöpft werden müssen, um die Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen.

Das Verletztengeld beträgt 80 Prozent, das Krankengeld der Krankenkasse nur 70 Prozent des Arbeitsentgelts. Zudem besteht beispielsweise Anspruch auf Zuschüsse für Fahrtkosten zu Arztbesuchen, Umschulung etc. mit 0,20 Euro pro Kilometer. Es gibt keine Budgetierung. Bleibt eine andauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 20 Prozent zurück, die auch nach 26 Wochen nach dem Unfall noch besteht, leistet die Berufsgenossenschaft eine Erwerbsminderungsrente.

Betriebsweg oder Arbeitsweg

In diesem Fall war die Arbeitnehmerin auf dem Weg zwischen Gebäuden des Arbeitgebers gestürzt. Allerdings handelt es sich nicht um einen Wegeunfall (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII). Denn die Wege auf dem Betriebsgrundstück oder Werksgelände gehören als Betriebswege schon zum Arbeitsplatz. Der versicherte Arbeitsweg bzw. Heimweg endet und beginnt mit dem Durchschreiten oder Durchfahren des Werkstores. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn nach § 104 Abs. 1 SGB VII gilt die Haftungsprivilegierung für den Arbeitgeber nicht, wenn der Unfall auf einem versicherten Arbeitsweg passiert. Hier hätte der Arbeitgeber schon haften können, wenn er den Unfall fahrlässig herbeigeführt hat.

Margit Körlings, DGB Rechtsschutz GmbH.

Unser Lesetipp:

Die für Schäden im Rahmen des Arbeitsverhältnisses behandelt die Ausgabe 1/2020 von »Arbeitsrecht im Betrieb«: Zur Arbeitnehmerhaftung »In der Haftung« von Uwe Vohwinkel, zur Arbeitgeberhaftung »Antworten auf die 5 wichtigsten Fragen« von Jan Ottmann.

 

Quelle

BAG (28.11.2019)
Aktenzeichen 8 AZR 35/19
Diese Entscheidungsbesprechung ist Teil des Newsletters AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat vom 18.12.2019.
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