Mitbestimmung

Betriebsrat mit Rückwirkung

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Quelle: © Gina Sanders / Foto Dollar Club

Der Betriebsrat hat einen Unterlassungsanspruch, wenn der Arbeitgeber gegen Mitbestimmungsrechte verstößt. Das gilt auch rückwirkend: Der Betriebsrat muss nicht dulden, dass der Arbeitgeber eine direkt mit den Mitarbeitern vereinbarte »Arbeitszeit-Ordnung« aus betriebsratsloser Zeit aufrecht erhalten will.

Der Arbeitgeber ist ein Paketdienstleister. Seitdem er im April 2015 den Betrieb aufgenommen hat, hat jeder Arbeitnehmer einen schriftlichen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Darin wird auf die Regelungen des Manteltarifvertrags in der Speditions- und Logistikwirtschaft Bezug genommen. Tarifvertraglich war eine wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden vereinbart. In den jeweiligen Arbeitsverträgen wurde zusätzlich geregelt, dass auch die Betriebs- und Arbeitsordnungen gültig sind. Hierzu gehörte unter anderem eine »Arbeitszeit-Betriebsordnung«, die eine Arbeitszeit von bis zu 52 Stunden pro Woche regelt.

Betriebsrat neu gewählt

Nach etwa einem Jahr hat der neu gewählte Betriebsrat dem Arbeitgeber per Beschluss mitgeteilt, dass die Betriebsordnung zur Arbeitszeit unwirksam sei. Außerdem dürfe der Arbeitgeber den Depotleitern keine Anweisung zur Dienstplangestaltung erteilen. Nachdem der Arbeitgeber weiterhin Mehrarbeit anordnete, hat der Betriebsrat beim Arbeitsgericht ein Verfahren eingeleitet, damit dem Arbeitgeber diese Praxis untersagt wird.

Anspruch auf Unterlassung

Im Ergebnis darf der Arbeitgeber keine Mehrarbeit mehr anordnen, da er die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verletzt hat. Es gilt eine wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden nach dem Tarifvertrag. Daran ändert auch nichts, dass im Betrieb die Betriebsordnung zur Arbeitszeit gebraucht wurde. Denn diese Betriebsordnung wurde nicht wirksam in die Arbeitsverträge einbezogen. Der Arbeitgeber hatte sich vertraglich vorbehalten, die Arbeitsbedingungen einseitig zu ändern. Eine solche Möglichkeit benachteiligt den Arbeitnehmer und ist daher unwirksam. In der Folge durfte sich der Arbeitgeber darauf nicht berufen.

Tipps für die Praxis

Grundsätzlich gilt: Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich auf innerbetriebliche Regelungen einigen und dies wirksam vereinbaren, muss der neu gewählte Betriebsrat dies zunächst akzeptieren. Die Regelungen werden also nicht durch die Konstituierung des Gremiums unwirksam. Allerdings hat der Betriebsrat eine Verhandlungsoption und kann die Einigungsstelle anrufen (§ 87 Abs. 2 iVm § 76 BetrVG).

Als Mitbestimmungsrechte, die verletzt sein könnten, kommen insbesondere für den neu gewählten Betriebsrat Regelungen zur Verteilung der Arbeitszeit in Betracht. Nach den § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrVG hat der Betriebsrat beim Beginn und beim Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen mitzubestimmen. Hierzu gehört unter anderem die Einführung von Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst, Aufstellen von Dienst- und Schichtplänen sowie Gleitzeitarbeit. Aber auch das Mitbestimmungsrecht bei vorübergehender Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit ist hier relevant (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG). Will der Arbeitgeber Überstunden anordnen, muss er vorher mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung treffen.

AGB-Kontrolle von Arbeitsverträgen

Ausnahmsweise sind die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht verletzt, wenn mit den Beschäftigten aus vorbetriebsratlicher Zeit im Betrieb geltende Vorschriften wirksam vereinbart wurden. Voraussetzung dafür ist, dass Bezugnahmen auf Betriebsordnungen in Arbeitsverträgen der Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) standhalten. Das heißt: Im Allgemeinen dürfen solche Klauseln den Arbeitnehmer nicht einseitig benachteiligen und auch nicht überraschend sein. Insbesondere bei einem vereinbarten Recht zum Widerruf, darf dies nur aus einem wichtigen Grund möglich sein und dieser Grund muss in der Änderungsklausel konkret beschrieben sein. Hier durfte der Arbeitgeber die Arbeitszeit nicht einseitig ändern – das weicht von allgemeinen Rechtsvorschriften ab und ist den Arbeitnehmern nicht zuzumuten. Generell gilt auf jeden Fall: Die Anforderungen einer solchen AGB-Prüfung müssen zum Schutz der Arbeitnehmer vor Benachteiligungen hoch angesetzt werden.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, das Verfahren ist beim BAG anhängig unter 1 ABR 38/17.

Jens Pfanne, DGB Rechtsschutz GmbH

Lesetipp:

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Betriebsrat > Mitbestimmung > Arbeitshilfen

Quelle

LAG Hamm (09.05.2017)
Aktenzeichen 7 TaBV 125/16
Diese Entscheidungsbesprechung ist Teil des Newsletters »AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat« vom 22.11.2017.
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