Alte oder neue Krankheit?
Eigentlich ist alles ganz einfach: Erkrankt ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig, erhält er für sechs Wochen weiterhin seinen Lohn, obwohl er nicht arbeitet. Das regelt § 3 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFZG). Komplex wird die Sache, wenn ein Arbeitnehmer häufiger für kurze Zeit erkrankt.
Das EntgFZG regelt auch, dass ein neuer Anspruch auf Fortzahlung wegen derselben Krankheit nach Ablauf von sechs Wochen erst nach Ablauf von sechs Monaten seit der letzten Arbeitsunfähigkeit entsteht. We¬gen unterschiedlicher Erkrankungen hat ein Arbeitnehmer immer wieder einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch, ohne dass es eine Begrenzung gibt.
Eine Arbeitnehmerin war von September 2015 bis Februar 2016 kurzzeitig 16 Mal erkrankt (insgesamt 65 Tage). Als sie von Mitte März bis Mitte April erneut erkrankte, verweigerte der Arbeitgeber die Lohnfor-tzahlung. Und dies, obwohl die Krankenkasse der Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber zuvor mitgeteilt hatte, dass keine anrechenbaren Vorerkrankungen vorliegen.
Die Angestellte klagte und bekam vor dem Arbeitsgericht und vor dem LAG Recht. Der Arbeitgeber vertrat den Standpunkt, dass ein Arbeitnehmer in solchen Fällen seine Krankheiten offenlegen müsse. Nur so könne beurteilt werden, ob es sich um sogenannte Fortsetzungserkrankungen mit der Folge handelt, dass kein Fortzahlungsanspruch besteht.
Diese Offenbarungspflicht eines Arbeitnehmers hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Jahr 2005 (BAG, 13.07.2005 - 5 AZR 389/04) bestätigt. Hintergrund ist, dass die Zahlungspflicht des Arbeitgebers nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EntFG entfallen kann, wenn der Arbeitnehmer nach sechs Wochen Krankheit infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig wird (so genannte Fortsetzungserkrankung).
Das BAG hat in diesem Fall die Darlegungslast dafür, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt, beim Arbeitnehmer gesehen. Denn die Krankenkasse eines Arbeitnehmers teilt dem Arbeitgeber nur mit, ob Erkrankung vorliegt, die auf den Entgeltfortzahlungsanspruch anrechenbar ist. Weil keine Diagnosen mittgeteilt werden dürfen, kann der Arbeitgeber die Wertung der Krankenkasse nicht überprüfen.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg sah die Dinge anders. Denn leistet ein Arbeitgeber zu Unrecht keine Entgeltfortzahlung, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Krankengeld gegenüber seiner Krankenkasse. Die Krankenkasse kann sich das zu Unrecht geleistete Krankengeld aber vom Arbeitgeber wiederholen.
Allerdings wäre sie im Prozess aus Gründen des Sozialdatenschutzes daran gehindert, Krankheiten des Arbeitnehmers offenzulegen. Diesem Widerspruch begegnete das LAG mit seinem Urteil. Wenn die Krankenkasse die Befunde und Diagnosen nicht offenlegt, dürfe auch der Arbeitnehmer seine Krankheiten ohne begründete Zweifel des Arbeitgebers für sich behalten.
Das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – regelt in § 275 SGB V, was bei Zweifeln an der Arbeitsun¬fähigkeit des Arbeitnehmers zu tun ist: Ist jemand auffällig oft oder oft nur kurz oder immer vor oder nach dem Wochenende krank, kann der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) mit einem Gutachten über die tatsächliche Arbeitsunfähigkeit beauftragt werden. Der Arbeitgeber kann von der Krankenkasse die Begutachtung verlangen. Der versicherte Arbeitnehmer muss an der Begutachtung grundsätzlich mitwirken. Der Betriebsrat ist hierbei, im Gegensatz zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) außen vor.
Mitteilungspflichten bei Krankheit: »Krank im Arbeitsverhältnis« von Ratzesberger/Schulze in
AiB 11/2015, S. 38-40
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