Meinungsfreiheit - Der DGB-Rechtsschutz kommentiert

Leitender Angestellter darf Betriebsrat per Aushang kritisieren

10. März 2014

Der Betriebsrat muss es hinnehmen, dass ein leitender Angestellter einen offenen Brief am »Schwarzen Brett« des Betriebs aushängt, in dem er die Arbeit des Gremiums kritisiert. Denn auch das Gebot der Rücksichtnahme in § 78 BetrVG begrenzt das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht.

Der Fall

Der Betriebsrat nimmt einen leitenden Angestellten auf Unterlassung sowie Widerruf von Äußerungen in Anspruch. Dieser hatte im Betrieb der Arbeitgeberin, der europäischen Entwicklungsgesellschaft eines koreanischen Automobilkonzerns, am schwarzen Brett ein Schriftstück auf neutralem Papier ausgehängt. Dieses war als »Offener Brief an die Mitarbeiter/innen zum Thema Betriebsrat« überschrieben und von insgesamt 112 Mitarbeitern, darunter einigen leitenden Angestellten, unterzeichnet.

Hierin wurde unter anderem die Betriebsratsarbeit als »schlecht und nicht Ziel führend« bewertet. Sodann wurde kritisiert, dass es dem Betriebsrat an »Vertrauen, Transparenz, Effizienz und vor allem dem Willen, praktische Lösungen herbeiführen zu wollen« fehle. In den folgenden Absätzen wurden Eindrücke wiedergegeben, nämlich dass die Betriebsratsmitglieder Misstrauen gegenüber der Firma hegten sowie die Ziele des Betriebsrats und konkrete Ergebnisse nicht erkennbar seien.

Der Betriebsrat hat die Unterlassung und den Widerruf der Äußerungen verlangt. Es handele sich um bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen, die nicht dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfielen.

Die Entscheidung

Während das ArbG Darmstadt den Anträgen teilweise stattgegeben hatte, wollte sich das Hessische LAG dieser Einschätzung nicht anschließen. Zwar darf der Betriebsrat nach § 78 BetrVG nicht in der Ausübung seiner Tätigkeit gestört oder behindert werden. Der offene Brief unterfällt jedoch dem - durch Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) garantierten - Grundrecht auf freie Meinungsäußerung.

Der offene Brief enthalte im Wesentlichen Werturteile, meinten die Hessischen Richter. Derartige, der Meinungsbildung dienende Tatsachenbehauptungen unterfallen ebenfalls dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Dies gilt auch, soweit der Vorwurf des ungerechtfertigten Missbrauchs des Betriebsratsamts erhoben wird.

Eine Abwägung der einfachgesetzlichen Vorschrift des § 78 BetrVG mit der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG ergibt, dass Letzterer hier das größere Gewicht einzuräumen ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Meinungsäußerung nicht darauf abzielte, die Betriebsratsarbeit zu erschweren, sondern einen kritischen Dialog zwischen Belegschaft und Betriebsrat herbeizuführen.

Der Betriebsrat als demokratisch gewähltes Gremium muss sich der Kritik seiner Wähler stellen. Dies bedeutet, dass er diese zur Kenntnis zu nehmen hat und sich damit auseinandersetzen muss. Damit ist es unvereinbar, wenn er kritische schriftliche Stellungnahmen am schwarzen Brett als Behinderung der Betriebsratsarbeit zu unterbinden versucht.

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der offene Brief auch von leitenden Angestellten – die vom Betriebsrat nicht repräsentiert werden – unterzeichnet worden ist. Zum einen sind auch diese Träger des Grundrechts der Meinungsfreiheit. Zum anderen diente ihre Meinungsäußerung der Überzeugungsbildung bei den vom Betriebsrat repräsentierten Wahlberechtigten.

Quelle:
Hessisches LAG, Beschluss vom 02.09.2013
Aktenzeichen 16 TaBV 48/13

Folgen für die Praxis

Anmerkung von Carsten Schuld, DGB Rechtsschutz GmbH

Aussagen greifen den Betriebsrat als Organ an
Die Wertung des Hessischen LAG teile ich nicht. Der offene Brief enthält Passagen, die über die freie Meinungsäußerung hinausgehen. Dort stand unter anderem, dass »mit fragwürdigem Sozialverhalten gegenüber betroffenen Kollegen agiert wird (…). Speziell wird die Arbeit rigoros mit dem Verweis auf eine »wichtige Betriebsratssitzung« niedergelegt«.

Weiter heißt es: »Wir sind der Ansicht, dass die gegenwärtig agierenden Personen des Betriebsrates ihr Amt dazu (… missbrauchen), um sich nicht zuletzt auch persönliche, materielle Vorteile zu sichern«. Dies sind nicht allein Werturteile. Die Aussagen sind geeignet sowohl die Mitglieder des Betriebsrats wie auch die Betriebsratsarbeit als solche zu diskreditieren.

Friedenspflicht muss in beide Richtungen gelten
Vielfach hat die Rechtsprechung Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und ihren Vertretern aus Betriebsräten und Gewerkschaften vorgehalten, der Betrieb sei kein Raum völlig freier Meinungsäußerungen. Grobe verbale Angriffe auf den Arbeitgeber, aber auch auf andere Arbeitnehmer, kann der Arbeitgeber unterbinden. Wenn dies richtig ist, dann hat der Arbeitgeber auch die Pflicht, verbale Angriffe auf den Betriebsrat zu verhindern.

Im vorliegenden Fall scheint der Arbeitgeber einfach zugeschaut zu haben, vielleicht sogar mit gewissen Sympathien für die Position des leitenden Angestellten. Dies ist nicht richtig, der Arbeitgeber hätte – auch im Sinne einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat – einschreiten und den offenen Brief entfernen (lassen) müssen.

Gerichtsverfahren ist nicht immer der beste Weg
Der Sachverhalt ist nur wenig und die Hintergründe dieses Beschlussverfahrens sind gar nicht bekannt. Trotzdem kommt die Frage auf, ob der Betriebsrat wirklich gut beraten war, den Weg zum Gericht zu beschreiten. Weniger, weil das Verfahren verloren ging. Aber ob mit dem Verfahren das Vertrauen der Kolleginnen und Kollegen im Betrieb zurück gewonnen werden konnte, scheint zumindest fraglich. Eine Einigungsstelle hätte hier vielleicht mehr bewirken können.

Lesetipp der AiB-Redaktion:

»Von Meinungsfreiheit, harten Bandagen und Zusammenarbeit« von Dr. Johanna Wenckebach in »Arbeitsrecht im Betrieb« 12/2013, S. 678-680.

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