Transfergesellschaft - Der DGB-Rechtsschutz kommentiert

Auch nicht wechselwillige Arbeitnehmer erhalten Sozialplanabfindung

11. Februar 2014

Ein Arbeitnehmer darf nicht von einer Sozialplanabfindung ausgeschlossen werden, weil er nicht einwilligt, in eine Transfer- oder Qualifizierungsgesellschaft zu wechseln. Dies verstößt gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 BetrVG).

Der Fall:
Die Klägerin ist Arbeitnehmerin. Über das Vermögen ihrer Arbeitgeberin wurde das Insolvenzverfahren eröffnet; der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Arbeitgeberin und Betriebsrat schlossen einen Sozialplan ab. In diesem wurde die Einrichtung einer Transfer- und Qualifizierungsgesellschaft (TQG) vereinbart (§ 216 b SGB III). Der Sozialplan sah unter anderem vor, dass Arbeitnehmer, die nicht in die TQG wechseln, keine Abfindung aus dem Sozialplan erhalten sollten.

Da die Klägerin sich weigerte zu wechseln, wurde sie vom Insolvenzverwalter fristgemäß gekündigt und erhielt keine Abfindung. Die Frau klagte auf Zahlung der Abfindung.

Der Insolvenzverwalter trug vor, er halte den vereinbarten Ausschluss für gerechtfertigt. Die Arbeitnehmer, die in die TQG wechseln, brächten ein größeres Sonderopfer als die Mitarbeiter, die nicht wechseln. Die eintretenden Arbeitnehmer würden die Insolvenzmasse dadurch entlasten, dass sie vorzeitig aus dem Unternehmen ausscheiden und für die Dauer der Kündigungsfrist keinen Entgeltanspruch mehr gegen den Insolvenzverwalter hätten.

Sie brächten ihren Restlohnanspruch in die Masse der TQG ein und hätten anders als z.B. die Klägerin, die für die Dauer der Kündigungsfrist noch voll vergütet wird, sofort Gehaltseinbußen. Denn die Vergütung in der TQG belief sich auf ca. 75 Prozent des bisherigen Gehalts. § 112 Abs. 5 Ziff. 1 BetrVG definiere eine Einkommensminderung ausdrücklich als einen beachtenswerten wirtschaftlichen Nachteil.

Die Entscheidung:
Das ArbG Herford sprach der Klägerin dennoch eine Abfindung zu. Der Anspruch ergibt sich aus § 75 Abs. 1 BetrVG, da die Bestimmung, die nicht wechselwillige Beschäftigte von der Abfindung ausnimmt, gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt.

Auch der Umstand, dass diejenigen Arbeitnehmer, die dem Wechsel zugestimmt haben, lediglich 75 Prozent ihres letzten Nettogehalts erhalten, stellt keinen sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung dar. Denn auf der anderen Seite endet das Arbeitsverhältnis der Klägerin zeitlich deutlich eher als das Arbeitsverhältnis der wechselwilligen Arbeitnehmer, so dass sich ihr Anspruch auf Bezug von Arbeitslosengeld verringert.

Bei einer Saldierung der wechselseitigen Ansprüche stehen sich die Arbeitnehmer, die in die TQG gewechselt sind, wegen der längeren Bezugsdauer von Arbeitsentgelt in der TQG trotz der abgesenkter Vergütung wirtschaftlich besser als diejenigen Arbeitnehmer, die nicht in den Wechsel eingewilligt haben.

Ebenso ist es unerheblich, dass diejenigen Arbeitnehmer, die in die Transfergesellschaft eintreten, damit die Insolvenzmasse entlasten. Der Zweck eines Sozialplans besteht nicht darin, diejenigen Arbeitnehmer zu prämieren, die dem Insolvenzverwalter oder den Gläubigern Kosten ersparen.

Quelle:
ArbG Herford, Urteil vom 02.12.2013
Aktenzeichen 1 Ca 69/13
NRW Justiz online

Folgen für die Praxis

Anmerkung von Margit Körlings, DGB Rechtsschutz GmbH

§ 75 BetrVG bestimmt, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden. Darüber haben Betriebsrat und Arbeitgeber zu wachen. Damit wurde im Betriebsverfassungsgesetz eine eigene Regelung aufgenommen, der der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Absatz 1 GG zugrunde liegt.

Da Sozialpläne wie Betriebsvereinbarungen angesehen werden, kann ihre Rechtmäßigkeit durch die Gerichte überprüft werden. Es erfolgt eine Kontrolle, ob sie mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 Abs. 1 BetrVG) vereinbar sind. Danach sind, kurz gesagt, wesentlich gleiche Sachverhalte gleich zu behandeln. Dies kann auch zwischen Gruppen von Arbeitnehmern geschehen.

Hier ist eine Gruppe von Beschäftigten gebildet worden, die entweder den Gang in die Transfergesellschaft gewählt oder einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet hat, um den Anspruch auf die Sozialplanabfindung zu erhalten. Wer in die Transfergesellschaft wechselt, wird besser behandelt, als derjenige, der einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen hat. Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt.

Diejenigen, die einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen haben sind früher arbeitslos, als diejenigen, die in die Transfergesellschaft gegangen sind. Dies gilt, obwohl sie in der Transfergesellschaft nur 75 % des ursprünglichen Nettoeinkommens bekommen. Die Arbeitnehmer mit Aufhebungsvertrag sind früher arbeitslos und erhalten dann lediglich Arbeitslosengeld I in Höhe von 60 beziehungsweise 67 % des durchschnittlichen Nettoentgeltes. Aus den genannten Gründen handelt es sich um eine sehr begrüßenswerte Entscheidung.

Lesetipp der AiB-Redaktion:

»Transferkurzarbeitergeld und Transfergesellschaft - Was dringend beachtet werden muss!« von Prof. Dr. Olaf Deinert in »Arbeitsrecht im Betrieb« 12/2013, Ausgabe 12, S. 707–712.

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