AGG

Gleichbehandlung am Arbeitsplatz

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Quelle: © Monkey Business / Foto Dollar Club

Beschäftigte vor Diskriminierung im Beruf zu schützen – das ist Aufgabe des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Was heißt das für Stellenausschreibung und Bewerberauswahl? Und wie ist es um die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen bestellt? Christiane Nollert-Borasio, Autorin des neu erschienenen Basiskommentars zum AGG, antwortet auf einige spannende Fragen.

Ein Schwerpunkt der Rechtsprechung in den letzten Jahren war die Diskriminierung von Bewerberinnen und Bewerbern im Einstellungsverfahren. Was ist hier passiert?

Das Bewerbungsverfahren ist für die meisten Menschen der Einstieg in den Beruf, sozusagen die Türe, und für diejenigen, für die die Türe nicht aufgeht, gibt es auch keine Chance auf eine Einstellung. Deshalb wiegen Diskriminierungen von Bewerberinnen und Bewerbern auch besonders schwer.

Immer wieder sind Stellenausschreibungen diskriminierend, weil sie etwa ein bestimmtes Geschlecht oder Alter ausschließen oder sich an »Muttersprachler« richten, ohne dass dies gerechtfertigt ist. Die Rechtsprechung hat sich außerdem häufig mit Fällen befasst, in denen Schutzvorschriften für Schwerbehinderte nicht eingehalten wurden. Ein solcher Verstoß begründet unmittelbar eine Vermutung für eine Benachteiligung. So sind z.B. im öffentlichen Dienst schwerbehinderte Bewerber einzuladen, wenn sie nicht offensichtlich für eine Tätigkeit ungeeignet sind. Dahinter steht die zutreffende Überlegung, dass ein guter persönlicher Eindruck so manches Mal etwaige Vorurteile oder Bedenken überwinden kann.

In diesen Komplex fällt auch das Stichwort »AGG-Hopping«. Was hat es mit Scheinbewerbern auf sich, und wie stehen Gesetz und Rechtsprechung dazu?

Der Begriff gefällt mir nicht, weil er geeignet ist, Menschen die häufig eine Entschädigung einklagen, zu diskreditieren unabhängig davon, ob ihr Anliegen berechtigt ist. Manche Bewerberinnen und Bewerber, etwa ältere oder schwerbehinderte Menschen, tun sich schwer, eine Stelle zu finden. Wenn sie im Zusammenhang mit vielen Bewerbungen eine Vielzahl von Verstößen gegen Gleichbehandlung erleben und deshalb klagen, ist das ihr gutes Recht.

Anders ist es – und dies sind Ausnahmen – wenn Menschen sich nur deshalb bewerben, weil sie eine Entschädigung geltend machen wollen. Früher hat das Bundesarbeitsgericht versucht, einer solchen »Geschäftspraxis« entgegenzuwirken, indem es für einen Entschädigungsanspruch geprüft hat, ob eine Bewerberin oder ein Bewerber auch objektiv für eine Stelle geeignet ist und ob subjektiv die Ernsthaftigkeit der Bewerbung angenommen werden kann. Derartige Kriterien sind aber nach EU-Recht nicht Voraussetzung für einen Status als »Bewerber« und damit für ein Klagerecht. Deshalb hat sich in diesem Punkt die Rechtsprechung geändert: Nur in Fällen von Rechtsmissbrauch, wenn also eine Bewerbung nur »pro-forma« erfolgt und Teil eines systematischen und zielgerichteten Vorgehens ist, um »Gewinn« aufgrund der gezahlten Entschädigung zu erzielen, wird die Rechtsstellung eines Bewerbers rechtsmissbräuchlich erworben mit der Folge, dass auch das Verlangen einer Entschädigung rechtsmissbräuchlich ist, obwohl eine Diskriminierung vorliegt oder eine Vermutung hierfür besteht. 

Seit Januar 2019 ist das »dritte Geschlecht« da und muss bei den Überlegungen zur Diskriminierung berücksichtigt werden. In welchen Bereichen wirkt sich das aus?

Das »dritte Geschlecht« gibt es ja nicht erst, seitdem wir ein Gesetz haben. Betroffen sind intersexuelle Menschen und trans Menschen, wenn deren Geschlechtsidentität nicht in das Mann/Frau-Schema passt. Für das Personenstandsrecht gibt es nun den Eintrag »divers« und bei einer Änderung der Zuordnung auch die Möglichkeit, neue Vornamen zu wählen. Im Arbeitsrecht wird sich das so auswirken, dass Stellenausschreibungen künftig mit dem Zusatz m/w/d versehen werden, um die Offenheit gegenüber allen Geschlechtern zu zeigen und alle Menschen unabhängig von ihrer geschlechtlichen Identität willkommen zu heißen. Unabhängig davon ist häufig zu beobachten, dass Menschen, die nicht eindeutig Frau oder Mann sind, oder einem Geschlecht zugehören, das von dem Ihnen bei Geburt zugewiesenen abweicht, auf vielfältige Weise Diskriminierung erfahren. Schon bisher war klar, dass z.B. eine Kündigung wegen einer geplanten Geschlechtsangleichung eine Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellt und auch die Benachteiligung, die eine Person erfährt, weil ihr Auftreten oder ihre Kleidung einem anderen Geschlecht entsprechen, als dem ihr ursprünglich zugewiesenen.

Klar sein sollte auch: das absichtliche und fortwährende Ansprechen von trans und intersexuelle Menschen mit einer Zuordnung als »Herr« oder »Frau« oder mit »er« oder »sie«, die nicht ihrer geschlechtlichen Identität entspricht, stellt eine Belästigung dar. Und eine Frage von Vorgesetzten oder Kollegen etwa nach den Genitalien von trans und intersexuellen Menschen ist in keiner Weise adäquat und als sexuelle Belästigung einzuordnen. Die Normierung eines »dritten Geschlechts« kann trotz ihrer Lückenhaftigkeit hoffentlich dazu beitragen, sensibler mit diesen Themen umzugehen und jedem Menschen zu ermöglichen, sein Leben so zu führen, wie es der eigenen Identität entspricht.

Ein zentraler Bestandteil der Gleichberechtigung ist auch die Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen. Diese voranzubringen, ist Ziel des Entgelttransparenzgesetzes – welches Sie in der Neuauflage erstmals auch kommentieren. Was besagt der zentrale Auskunftsanspruch?

Das Entgelttransparenzgesetz sieht einen individuellen Anspruch der Beschäftigten auf Auskunft vor. Es geht um Informationen über die Kriterien und Verfahren zur Festlegung des Entgelts und der Anspruch umfasst die Auskunft über das durchschnittliche monatliche Bruttoentgelt und bis zu zwei Entgeltbestandteile, beispielsweise übertarifliche Zulagen, die andere Beschäftigte für eine Vergleichstätigkeit erhalten. Abgesehen davon, dass der Anspruch erst in Betrieben oder Dienststellen mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten greift, sind in den §§ 10, 12 EntgTranspG leider auch inhaltliche Beschränkungen des Anspruchs vorgesehen: Verglichen werden nämlich nur Entgeltregelungen bei demselben Betrieb, aber keine regional unterschiedlichen Entgeltregelungen bei demselben Arbeitgeber und auch keine Regelungen für verschiedene Arbeitnehmergruppen, also beispielsweise zwischen Arbeitnehmern und Beamten. Wer den Anspruch geltend gemacht hat, darf zudem erst nach zwei Jahren wieder Auskunft verlangen, wenn sich nicht wesentliche Änderungen ergeben haben.

Auch die Diskriminierung aufgrund der Religion war in den letzten Jahren Thema, z.B. durch das Urteil zur Kündigung eines katholischen Chefarztes wegen Wiederheirat. Was war passiert?

Bisher hatte die deutsche Rechtsprechung im Anschluss an das Bundesverfassungsgericht das verfassungsmäßig garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und ihrer Einrichtungen dahingehend verstanden, dass sie die Regeln für ihre Arbeitsverhältnisse selbständig festlegen, namentlich die Zugehörigkeit zur jeweiligen Religion und Konfession und die Einhaltung der kirchlichen Sittengebote wie etwa des Verbots der Scheidung und Wiederverheiratung verlangen durften. Dieses Verständnis war mit dem europäischen Diskriminierungsschutz nicht vereinbar.

Der Europäische Gerichtshof hat dies in dem angesprochenen Fall eines katholischen Chefarztes eines katholischen Krankenhauses, der sich gegen die Kündigung durch seinen Arbeitgeber aufgrund seiner Wiederverheiratung gewandt hatte, nunmehr klar entschieden: Maßgeblich ist, ob die dem Arbeitnehmer abverlangte Loyalität gegenüber dem kirchlichen Glaubensverständnis eine wesentliche rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Ob dies so ist, kommt auf die Art der Tätigkeit an, insbesondere darauf, ob diese mit dem Verkündigungsauftrag zusammenhängt oder die Umstände ihrer Ausübung - etwa die Notwendigkeit einer glaubwürdigen Vertretung nach außen – diese Loyalität erfordern. Im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat nunmehr das Bundesarbeitsgericht im Februar 2019 festgestellt, dass die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt war, weil die Chefarzttätigkeit unabhängig von der Religionszugehörigkeit nicht die Loyalität erfordert, keine nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der katholischen Kirche ungültige Ehe zu schließen.

Die Interviewpartnerin:

Christiane Nollert-Borasio, Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht München, zertifizierte Mediatorin. Langjährige Erfahrung in der Juristenausbildung und in der Betriebsratsschulung im individuelllen und kollektiven Arbeitsrecht.

Buchtipp:

Neuauflage des Basiskommentars zum AGG von Christiane Nollert-Borasio/Dr. Elisabeth Dickerhof-Borello/Dr. Johanna Wenckebach.

© bund-verlag.de (fk)

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