Sonderkündigungsschutz

Kündigen von Schwerbehinderten nur mit SBV

19. November 2018
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Quelle: © Marco2811 / Foto Dollar Club

Der Arbeitgeber kann schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Beschäftigte nur kündigen, wenn er die Schwerbehindertenvertretung (SBV) vorher beteiligt. Besonders wichtig: Die Anhörungspflicht besteht schon ab dem ersten Tag der Probezeit. Von Bettina Krämer.

Eine schwerbehinderte Arbeitnehmerin war seit Juli 2017 als Projektmitarbeiterin im Betrieb tätig. Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin hatten im Arbeitsvertrag eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis während der Probezeit mit der Begründung, dass die Arbeitnehmerin trotz Einarbeitung die Arbeitsanforderungen und - leistung nicht erfüllte. Bei der Arbeitgeberin bestanden ein Personalrat und eine SBV. Ein Mitglied des Personalrates war zugleich Schwerbehindertenvertreter. Ende November 2017 hörte die Arbeitgeberin den Personalrat zu der ordentlichen Kündigung innerhalb der Probezeit an und sprach dann die Kündigung aus – ohne die SBV eigens anzuhören.

Gegen die Kündigung klagte die Arbeitnehmerin und gewann: Die unterbliebene Beteiligung der SBV machte die Kündigung unwirksam und die Arbeitgeberin musste sie weiterbeschäftigen.

Neue Beteiligungspflicht

Die Beteiligungspflicht der SBV bei Kündigungen schwerbehinderter und gleichgestellter Beschäftigter besteht schon seit 2001. Durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) 2016 kam es aber zu einer weitreichende Änderung: Die Kündigung ist unwirksam, wenn der Arbeitgeber seine Pflicht verletzt, die SBV vor Ausspruch der Kündigung zu unterrichten und anzuhören. So bestimmt es § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX (bis 31.12.2017 § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX).

Die Kündigung eines Schwerbehinderten oder Gleichgestellten unwirksam, wenn die SBV nicht oder fehlerhaft beteiligt wurde, etwa zum falschen Zeitpunkt. Diese Unwirksamkeitsklausel stärkt die Rechte der SBV erheblich.

Beweislast liegt beim Arbeitgeber

Im vorliegenden Fall konnte die Arbeitgeberin nicht beweisen, dass sie die SBV beteiligt hat. Es gab zwar ein Telefonat mit dem Schwerbehindertenvertreter, der zugleich Mitglied im Personalrat ist. Allerdings trug die Arbeitgeberin nicht vor, was und wie sie konkret über die Kündigungsumstände mitgeteilt hat. Daher konnte das Gericht keine wirksame Beteiligung der SBV feststellen und die Arbeitnehmerin gewann ihre Kündigungsschutzklage.

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SBV ist unabhängig vom Betriebsrat oder Personalrat

Das Urteil macht klar, dass es nicht ausreicht, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat oder Personalrat anhört und die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen zufällig dabei war. Die Beteiligung von Personalrat/ Betriebsrat ist unabhängig von der Beteiligung der SBV – der Arbeitgeber muss beide Organe unabhängig voneinander unterrichten und anhören.

Zeitpunkt der Beteiligung der SBV

Die Kündigung eines Schwerbehinderten oder Gleichgestellten ist auch dann nach § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX unwirksam, wenn er Arbeitgeber die SBV zum falschen Zeitpunkt der Beteiligung falsch war. Denn die SBV ist zwingend anzuhören, bevor der Arbeitgeber das Integrationsamt einschaltet (so auch LAG Chemnitz 8.6.2018 - 5 Sa 458/17; Revision anhängig beim BAG unter 2 AZR 378/18). Die SBV ist auch dann zu anzuhören, wenn das Integrationsamt noch nicht zu beteiligen war, weil das Arbeitsverhältnis zum Kündigungszeitpunkt noch keine sechs Monate bestanden hat.

Die Beteiligung nachzuholen ist nicht möglich. Die Kündigung bleibt unwirksam. Der Arbeitgeber muss in einem solchen Fall ein neues Beteiligungsverfahren zu einer neuen Kündigung einleiten und durchführen.

Praxistipp:

Für SBV, Betriebsrat und Personalrat ist die Entscheidung des ArbG Hamburg wegweisend. Liegen Fehler in der Beteiligung oder dem Ablauf vor, hat das Arbeitsverhältnis nie geendet und besteht weiter. Nach § 4 KSchG muss der betroffene Arbeitnehmer dies aber innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung gerichtlich geltend machen, also Kündigungsschutzklage erheben. Daher sollten die Interessenvertretungen den betroffenen Arbeitnehmer über die Fehler zeitnah informieren, so dass dieser die Dreiwochenfrist einhalten kann.

Bettina Krämer LL.M., DGB Rechtsschutz GmbH

Quelle

ArbG Hamburg (12.06.2018)
Aktenzeichen 21 Ca 455/17
Diese Entscheidungsbesprechung ist Teil des Newsletters AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat vom 21.11.2018.

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