Religöse Zeichen

Kopftuch ist keine Gefahr für neutralen Staat

07. Mai 2018 Religion, Staat
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Kreuz, Kippa, Kopftuch – religiöse Symbole stehen immer wieder im Fokus der Öffentlichkeit und der Justiz. Während Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) das christliche Kreuz zurück in bayerischen Amtsstuben holen will, hat sich das Verwaltungsgericht in Kassel mit dem Kopftuch einer Beamtin befasst – und das umstrittene religiöse Symbol gebilligt.

Obwohl das Kopftuch als ostentatives, also betont auffälliges und mit Absicht gezeigtes, Zeichen einzuordnen sei, das »den Wahrnehmenden zu einer entsprechenden Reaktion bewege«, ist das Kasseler Gericht sicher, dass davon keine Wirkung ausgeht, die den Staat nachdrücklich Schaden zufügt. Ja, die Beamtin muss die Neutralitätspflicht des Staates wahren. Und ja, das Kopftuch als religiöses Symbol und dessen Bedeutung innerhalb des islamischen Glaubens ist umstritten. Dass das Kopftuch allerdings ein individueller Ausdruck der Zugehörigkeit zum Islam darstellt, steht für das Verwaltungsgericht außer Zweifel, Somit kollidieren im jüngsten deutschen Kopftuch-Fall die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der kopftuchtragenden Klägerin und das staatliche Interesse, in der Öffentlichkeit religiös neutral aufzutreten. Das Gericht kommt zu dem Schluss, das Grundrecht der freien Religionsausübung, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, wiege schwerer. Das Kopftuchverbot des Dienstherrn sei daher unverhältnismäßig und nicht gerechtfertigt.

Entscheidend ist die Außenwirkung

Im Urteil werfen die Richter der Mitteilung des Gerichts zufolge zahlreiche Fragen auf, die auch in der öffentlichen Debatte immer wieder zum Vorschein kommen. Wird die Kopftuchträgerin von Personen wahrgenommen, die mit der Behörde in Kontakt treten? Herrscht Publikumsverkehr? Und welche Aussage trifft der Staat, wenn eine Beamtin ein Kopftuch trägt, also die Frage nach einer Gefahr für die Neutralität. Eine Beeinträchtigung der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Bürger, die mit der Kopftuch tragenden Klägerin konfrontiert würden, sei möglich, so die Einschätzung des Verwaltungsgerichts. Das Problem formuliert das Gericht so: »Auch wenn der Staat religiöse Bekundungen der Repräsentanten, durch die er handele, dulde, mache er sich diese mittelbar zu Eigen. Denn da es sich um einen staatlichen Lebensbereich handele, präge gerade auch jede individuelle Glaubenshandlung, die staatlicherseits geduldet werde, die Situation, mit der der Bürger konfrontiert werde. Entscheidend sei, ob aus der Perspektive des Bürgers von einer unausweichlichen Situation gesprochen werden könne oder ob dieser sich dem religiösen Bekenntnis in der staatlichen Sphäre entziehen könne.« Zwar könnten die Besucher des Sozialamtes, bei dem die Klägerin arbeitet, nicht auf ein anderes Amt ausweichen und seien daher zwangsläufig mit der Beamtin mit Kopftuch konfrontiert, selbst wenn sie nicht direkt mit ihr zu tun hätten. Dieser mittelbare Eingriff in die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Bürger sei von geringerem Gewicht als die Religionsfreiheit der Beamtin. Solange die Beamtin nicht versuche, die Bürger, mit denen sie als Amtsträgerin zu tun habe, von ihren religiösen Ansichten zu überzeugen, liege keine Gefahr für die staatliche Neutralität vor. Der Staat zeige, dass er das kontroverse Symbol dulde, ohne sich damit zu identifizieren (Az.: 1 K 2514/17.KS).

Das bemerkenswerte an dieser Entscheidung ist, dass das Verwaltungsgericht Kassel das gesetzlich geregelte »Kopftuchverbot« weit auslegt. § 45 Hessisches Beamtengesetz lautet: Beamtinnen und Beamte haben sich im Dienst politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten. Insbesondere dürfen sie Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale nicht tragen oder verwenden, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die Neutralität ihrer Amtsführung zu beeinträchtigen oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden zu gefährden. Das Kasseler Gericht hat diese Regelung über den Wortlaut hinaus ausgedehnt. Das Verbot, ein Kopftuch während des Dienstes zu tragen, greife in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Klägerin ein. Daher müsse § 45 HBG einschränkend ausgelegt werden, weshalb (anders als im Gesetz formuliert) eine hinreichend konkrete Gefahr für das Schutzgut der staatlichen Neutralität oder Grundrechte Dritter vorliegen müsse.

Wann herrscht Neutralität?

Bisher stützten sich hessische Gerichte bei der Frage, ob ein Kopftuch erlaubt sei, auf das Neutralitätsgebot des Staates (so etwa der VGH Hessen, der das Kopftuchverbot auch auf Rechtsreferendarinnen ausgeweitet hat, Az. 1 B 1056/17). Dieses Gebot wird aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem Gebot der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) hergeleitet. Auf der Basis dieser Gebote werden Richter und Beamte der Justiz angewiesen, sich weltanschaulich neutral verhalten. Das schließt nach dem Beschluss des VGH Hessen ein, im Dienst keine Kleidungsstücke zu tragen, die religiös oder weltanschaulich konnotiert sind und Zweifel an der Neutralität der Person oder der Justiz insgesamt wecken können. Hier genügte also die abstrakte Gefahr, mit dem Kopftuch die Neutralität des Staates zu unterlaufen. Das Verwaltungsgericht Kassel dagegen verlangt eine konkrete Beeinflussung der Öffentlichkeit.

Damit stellt sich das Gericht gegen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das den Fall der hessischen Rechtsreferendarin abschließend zu beurteilen hatte. Ein islamisches Kopftuch sei ein religiös konnotiertes Kleidungsstück, so die Verfassungsrichter. Werde es als äußeres Anzeichen religiöser Identität verstanden, bewirke es das Bekenntnis einer religiösen Überzeugung, ohne dass es hierfür einer besonderen Kundgabeabsicht oder eines zusätzlichen wirkungsverstärkenden Verhaltens bedürfe. Die Kopftuchträgerin muss also nicht aktiv Einfluss auf die Willensbildung ihres Gegenübers nehmen, so wie es das Kasseler Gericht verlangt. Hinsichtlich der negativen Glaubensfreiheit ist hier ein entscheidender Unterschied. Hinsichtlich der Religionsausübung der Referendarin sah das Gericht nur einen geringen Grundrechtseingriff, da das Verbot zeitlich auf die Ausübung der Referendartätigkeiten begrenzt ist (Az.: 2 BvR 1333/17). 

Kreuz als Symbol in staatlichen Einrichtungen

Und wie steht es mit dem Kreuz, das einem Kabinettsbeschluss zufolge ab 1. Juni im Eingangsbereich bayerischer Ämter hängen soll? Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio hält den Beschluss der bayerischen Landesregierung nicht für verfassungswidrig. Von einer klaren Verfassungswidrigkeit könne mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Rede sein, schreibt er in einem Beitrag der Wochenzeitung »Die Zeit«. Und er verweist auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der Kreuze in italienischen Klassenzimmern mit dem Prinzip des säkularen Staates für vereinbar gehalten hat (Az.: 30814/06). Der Gerichtshof sehe im Kreuz vor allem ein religiöses Symbol und nicht lediglich ein kulturelles Zeichen eigener Herkunft und Identität, erläutert Di Fabio. Das religiöse Zeichen für sich als Symbol eigener Herkunft und Identität zu nutzen, sei aber keinem Staat versagt, solange daraus keine weltanschauliche oder religiöse Indoktrination werde. Genau dieser Argumentation hat sich übrigens das Verwaltungsgericht Kassel hinsichtlich des Kopftuchs bedient.

Lesetipps:

»Kopftuchverbot nur als Ausnahme« von Maximilian Baßlsperger in Der Personalrat 5/2015, S. 35-38.

Online-Beitrag »7 Fragen zum Kopftuchverbot«

© bund-verlag.de (mst)

 

 

Quelle

VG Kassel (28.02.2018)
Aktenzeichen 1 K 2514/17.KS
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