Gleichstellung

SBV ist nicht vorsorglich zu beteiligen

04. März 2020
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Quelle: © Doris Heinrichs / Foto Dollar Club

Ist ein Mitarbeiter schwerbehindert oder gleichgestellt, ist die die Schwerbehindertenvertretung (SBV) vor personellen Maßnahmen zwingend zu beteiligen. Allein der Antrag auf Gleichstellung löst aber noch kein »vorsorgliches« Beteiligungsrecht aus. Von Margit Körlings.

Darum geht es:

Der Arbeitnehmer ist in einem Jobcenter beschäftigt. Er hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 30. Am 04.02.2015 beantragte er bei der Bundesagentur für Arbeit die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen (§ 151 SGB IX). Darüber informierte er auch den Geschäftsführer des Jobcenters.

Ab dem 09.11.2015 wurde der Arbeitnehmer für sechs Monate auf einen anderen Arbeitsplatz im selben Gebäude versetzt. Die SBV wurde vor der Umsetzung nicht beteiligt. Die Bundesagentur für Arbeit stellte den Arbeitnehmer mit Bescheid vom 21.04.2016 rückwirkend zum 04.02.2015 einem schwerbehinderten Menschen gleich.

Die SBV beantragte beim Arbeitsgericht die Feststellung,  dass das Jobcenter sie bereits dann über eine Umsetzung unterrichten und anhören muss, wenn ein Arbeitnehmer mit Behinderung einen Gleichstellungsantrag gestellt und dies dem Jobcenter mitgeteilt hat.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg wies den Antrag der SBV zurück (LAG Berlin-Brandenburg 9.5.2018 - 23 TaBV 1699/17).

Das sagt das BAG

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) bestätigte die Entscheidung: Die SBV ist erst dann zu beteiligen, wenn die Gleichstellung gewährt wurde.

Die SBV hat ein umfassendes Unterrichtungs- und Anhörungsrecht für Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren (§ 178 Absatz 2 Satz 1 SGB IX). Als schwerbehindert werden Menschen mit einem GdB von 50 oder mehr anerkannt. Die Zuständigkeit der SBV erstreckt sich auch auf Beschäftigte mit einem geringeren GdB, die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind.

Um die Rechte der SBV gegenüber dem Arbeitgeber auszulösen, muss die Schwerbehinderteneigenschaft oder die Gleichstellung aber festgestellt sein. Das BAG verweist auf den Wortlaut des Gesetzes, wonach die Gleichstellung konstitutiv durch den Bescheid der Bundesagentur für Arbeit erfolgt. Sie wirkt rückwirkend auf den Tag des Eingangs des Antrags (§ 152 Absatz 2 SGB IX). Davor fehlt es an einer kollektivrechtlichen Vertretungsbefugnis der SBV. Die SBV ist nur berechtigt, solche Beschäftigten z. B. bei Anträgen auf Gleichstellung zu unterstützen (§ 178 Abs. 1 Satz 3 SGB IX).

Mit höherrangigem Recht vereinbar

Das BAG ist der Ansicht, dass diese Auslegung auch mit dem europäischen Recht und mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vereinbar ist, zu deren Einhaltung sich Deutschland verpflichtet hat.

Die Mitgliedsstaaten der europäischen Union haben angemessene Vorkehrungen zu treffen, um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten (Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG). Gleiches bestimmt Art. 27 UN-BRK.  

Beide Vorschriften sind Bestandteile des deutschen Rechts und von den Gerichten anzuwenden. Allerdings ist das BAG der Auffassung, dass die Beteiligung der SBV nicht zu den »angemessenen Vorkehrungen« im Sinne des Unionsrechts gehört. Über das im Einzelfall anzuwendende Verfahren, wie die Gleichstellung sicherzustellen ist, mache das Unionsrecht keine Vorgaben (vgl. auch BAG 21.4.2016 – 8 AZR 402/14, Rn. 20 + 22).

Praxistipp:

Auch wenn die SBV bei diesem Mitarbeiter noch keine Rechte geltend machen kann, ist natürlich der Betriebsrat an den personellen Maßnahmen für alle Mitarbeiter beteiligt (§ 99 BetrVG).

SBV und Betriebsrat sollten sich in Angelegenheiten von Menschen mit Behinderung austauschen. Aus diesem Grund hat die SBV auch das Recht, an allen Betriebsratssitzungen beratend teilzunehmen, wenn auch ohne eigenes Stimmrecht (§ 178 Absatz 4 SGB IX i.V.m. § 32 BetrVG).

Der besondere Kündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmers beginnt erst, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat (173 Abs. 1 SGB IX). Hat das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden, muss der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamts/Inklusionsamts beantragen, bevor er die Kündigung erklärt.

Der besondere Kündigungsschutz setzt nach § 173 Abs. 3 SGB IX voraus:

  • entweder dass die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bei Zugang der Kündigung festgestellt war
  • oder dass der betroffene Arbeitnehmer seinen Antrag mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt hat und später ein rückwirkender positiver Bescheid des Versorgungsamts ergeht.

Margit Körlings, DGB Rechtsschutz GmbH.

Quelle

BAG (22.01.2020)
Aktenzeichen 7 ABR 18/18
Sie erhalten diese Entscheidungsbesprechung als Teil des Newsletters AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat vom 4.3.2020.
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