Persönlichkeitsrechte

Totalüberwachung ist unzulässig

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Die umfassende Überwachung eines Arbeitnehmers verletzt sein Persönlichkeitsrecht, auch wenn es »nur« um das Arbeitsverhalten im Betrieb geht. Dafür geeignete Technik darf der Arbeitgeber nur mit Zustimmung des Betriebsrats installieren. Auch eine Betriebsvereinbarung kann nur rechtlich zumutbare Kontrollen erlauben.

In diesem Verfahren stritten Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat (GBR) um die Wirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle.

Der Arbeitgeber war ein Versicherungsunternehmen mit mehreren Schadensaußenstellen. Die Aufgaben der Sachbearbeiter in den Schadenaußenstellen bestanden vor allem aus telefonischen Tätigkeiten, sowie der Bearbeitung des Posteingangs und des Schadenmanagements.

Nach Angaben des Arbeitgebers waren die Schadenaußenstellen unterschiedlich produktiv. Nach Kündigung einer Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) zur Geschäftsoptimierung wurde eine Einigungsstelle wegen einer Nachfolgeregelung eingesetzt.

Einigungsstelle beschließt Überwachungs-GBV

Nach mehreren Sitzungen beschloss die Einigungsstelle eine neue GBV zur Belastungsstatistik für Schadenaußenstellen.

Diese diente dazu Ungleichgewichte in der Belastungssituation der Schadenaußenstellen, der Gruppen und der Mitarbeiter zu erkennen. Diese sollten vom Arbeitgeber analysiert werden, damit er steuernd eingreifen könnte. Zudem sollte sie eine vergleichende Analyse der Schadenaußenstellen untereinander ermöglichen, um Produktivitätsunterschiede zu erkennen.

Zur Umsetzung dieses Zwecks sollten umfangreich Daten durch die IT-Systeme erhoben werden. So sollten detaillierte Daten zu den einzelnen Arbeitsschritten der jeweiligen Sachbearbeiter erfasst werden. Erledigte und nicht erledigte Arbeitsschritte sollten überwacht werden.

Auffällige Abweichungen in den Daten sollten automatisiert dem jeweiligen Gruppenleiter gemeldet werden. Der Bericht sollte dann als Basis für Maßnahmen des Arbeitgebers zum Abbau der Produktivitätsunterschiede dienen.

GBR beklagt Kontrolldichte

Der GBR beantragte daraufhin beim Arbeitsgericht festzustellen, dass der Einigungsstellenspruch unwirksam sei.

Zum einen sei Aufgabe der Einigungsstelle gewesen, Regelungen zum Gesundheitsschutz zu schaffen. Dem sei sie nicht nachgekommen. Zum anderen hielt der GBR die umfassende Leistungs- und Verhaltenskontrolle für unwirksam.

Dieser Antrag war zuletzt beim Bunesarbeitsgericht (BAG) erfolgreich. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht (LAG) hatten den Antrag zuvor aus formalen Gründen zurückgewiesen.

Eingriff ins Persönlichkeitsrecht

Die Betriebsparteien haben nach § 75 BetrVG die Pflicht, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer Rechnung zu tragen. Diese Pflicht haben die Betriebsparteien durch die GBV vorliegend verletzt, so das BAG.

Grundsätzlich ist es durchaus möglich, dass die Betriebsparteien das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch eine kollektive Regelung einschränken. Sie müssen dabei aber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Das heißt im Kern: Es darf nur das mildeste Mittel angewandt werden, um den angestrebten Zwck zu erreichen.

Auch § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG gebietet den Schutz des Persönlichkeitsrechts. Er regelt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Einführung von technischen Einrichtungen, die zur Verhaltens- und Leistungskontrolle bestimmt sind.

Der Arbeitnehmer soll vor solchen Beeinträchtigungen seines Persönlichkeitsrechts geschützt werden, die nicht durch schützenswerte Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt sind.

Legitimes Ziel, aber unverhältnismäßig

Die Möglichkeit detaillierte Überwachungsdaten über einen Arbeitnehmer zu sammeln und auszuwerten, ist geeignet einen psychischen Anpassungsdruck zu erzeugen, der die Selbstbestimmung erheblich einschränken kann.

Diesen Grundsätzen wurde die in der GBV geregelte Datenerhebung nicht gerecht. Sie erwies sich als unverhältnismäßig.

Zwar sei es ein legitimes Ziel des Arbeitgebers, die unterschiedlichen Belastungssituationen der Beschäftigten zu erfassen, um durch Arbeitssteuerung Anpassungen zu ermöglichen. Nach Auffassung des BAG war aber bereits zweifelhaft, ob die Datenerhebung nach der GBV hierzu geeignet war. Die Datenerfassung erfolgte rein quantitativ ohne die Komplexität der jeweiligen Bearbeitung zu berücksichtigen.

Auch sei eine nur stichprobenweise Erfassung der Daten gleichermaßen möglich gewesen. Auf diese Weise wäre weniger stark in die Rechte der Arbeitnehmer eingegriffen worden.

Praxistipp

Eine Überwachung rund um die Uhr ist unzulässig. Das muss der Betriebsrat unabhängig von dem möglicherweise legitimen Ziel der Überwachung berücksichtigen. Missachtet die Einigungsstelle in ihrem Spruch in dieser Hinsicht die Rechte der Arbeitnehmer, sollte der Spruch angefochten werden.

Es ist ratsam, den Zweck der Überwachungsmaßnahmen genau zu definieren, damit die Verwendungsmöglichkeit klar ist. Idealerweise ist eine Regelung durchsetzbar, mit dem Inhalt, dass die gewonnenen Daten nicht für eine Leistungs- und Verhaltenskontrolle herangezogen werden, und dass keine personellen Maßnahmen darauf gestützt werden dürfen.

Matthias Beckmann, DGB Rechtsschutz GmbH

Lesetipp:

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Quelle

BAG (25.04.2017)
Aktenzeichen 1 ABR 46/15
Diese Entscheidungsbesprechung ist Teil des Newsletters »AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat« vom 8.11.2017.
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