Interview zu aktuellen Fragen der Arbeitszeit
Hilde Wagner:
Der Handlungsbedarf in Fragen der Arbeitszeit ist in mehreren Feldern gestiegen. In den Betrieben werden die Beschäftigten mit wachsenden Flexibilitäts- und Leistungsanforderungen konfrontiert. Dabei richtet sich die Flexibilität in erster Linie an den Erfordernissen der Produktion und den Schwankungen des Marktes aus. Das bedroht gemeinsame Zeiten für Familien und soziale Beziehungen, den Feierabend, die Wochenenden. Und gefährdet nicht selten auch die Gesundheit der Beschäftigten.
Gleichzeitig ufern die Arbeitszeiten aus – nicht zuletzt aufgrund zu enger Personaldecken in den Betrieben. Die Beschäftigten wissen oft nicht, wie sie das Leistungspensum bewältigen sollen, sie befinden sich häufig in einer Situation »permanenter Bewährung«. In der Folge gibt es auch in der Metall- und Elektroindustrie inzwischen eine erhebliche Kluft zwischen den tatsächlichen und den tariflichen Arbeitszeiten. Arbeitszeitkonten laufen nicht selten über. Allzu oft sind entgrenzte Arbeitszeiten damit verbunden, dass geleistete Arbeit und Arbeitszeit ohne Bezahlung verfällt. Das darf nicht länger hingenommen werden.
Hilde Wagner:
Beschäftigte wünschen sich Arbeitszeiten, die sich mehr nach ihren privaten Bedürfnissen richten. Sie wünschen sich echte Zeitautonomie, die ihnen eine bessere Balance von Erwerbsarbeit und Privatleben ermöglicht und ihnen Raum lässt für Erholung und persönliche Interessen. Männer und Frauen möchten berufstätig sein, ohne z.B. Kinderbetreuung und Pflegeaufgaben zu vernachlässigen.
Arbeitszeit soll sich an ihren jeweiligen Lebensphasen orientieren. Wir diskutieren deshalb über Modelle anlassbezogener »kurzer Vollzeit«. Die Wünsche bezogen auf die Höhe der eigenen Arbeitszeit sind unterschiedlich, die meisten Beschäftigten in Vollzeit gaben in unserer Beschäftigtenbefragung allerdings die Antwort: eine tatsächliche 35-Stunden-Woche oder wenige Stunden darunter.
Hilde Wagner:
Durch betriebliche Initiativen und gute Regelungen können Betriebsräte die Beschäftigten bei der Durchsetzung ihrer eigenen Arbeitszeitinteressen unterstützen. Bei der Arbeitszeit gibt es viele Möglichkeiten der betrieblichen Mitbestimmung, z.B. über die Lage und Verteilung der Arbeitszeit. Und in vielen Fragen der Arbeitszeit bieten das Arbeitszeitgesetz und die Bestimmungen unserer Manteltarifverträge ein gutes Fundament.
Wenn die Betriebsräte und die Beschäftigten die bestehenden Rechte wahrnehmen, erhöht das ihre Handlungs- und Durchsetzungsmacht im Betrieb. Nur Rechte die wahrgenommen werden, können auch weiterentwickelt werden.
Hilde Wagner:
Arbeitgeber behaupten, eine tägliche Höchstarbeitszeit sei wegen der Globalisierung und Digitalisierung nicht mehr zeitgemäß. Das Gegenteil ist der Fall: Globalisierung und Digitalisierung sind mit höheren Anforderungen an die Beschäftigten verbunden. Psychische Belastungen steigen, gesundheitliche Risiken nehmen zu. Deshalb sind die Grenzwerte des Gesundheitsschutzes und die arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse, die darauf hinweisen, dass die tägliche Arbeitszeit in der Regel nicht mehr als 8 Stunden und in Ausnahmefällen höchstens 10 Stunden betragen sollte, weiterhin wichtig.
Die IG Metall will neue Formen der Arbeit, z.B. mobile Arbeit, regeln. Die Höchstarbeitszeit des Arbeitszeitgesetzes steht dabei nicht im Wege. Arbeitszeit kann sich am Tag in verschiedener Weise verteilen, aber sie muss aus sozialen und gesundheitlichen Gründen begrenzt werden. Wir müssen die Chancen der Digitalisierung für Fortschritt nutzen, nicht für Rückschritt.
Die Interviewpartnerin:
Hilde Wagner
Dr. phil., Ressortleiterin Tarifpolitik beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt/Main.
Mehr zum Thema lesen Sie hier:
Arbeitszeit: So lassen sich Arbeit und Privatleben vereinbaren
– Praxisfragen aus dem »Handbuch Arbeitszeit«.
Buchtipp der Online-Redaktion:
Hartmut Meine, Hilde Wagner
(Hrsg.)
Handbuch Arbeitszeit
Manteltarifverträge im Betrieb
2. Aufl. 2016, Bund-Verlag, 408 Seiten
ISBN: 978-3-7663-6499-9
Ladenpreis: € 39,90
Ein Blick in das Buch:
© bund-verlag.de (ls)