Meinungsfreiheit

Leitender Angestellter darf Betriebsrat im offenen Brief kritisieren

18. Februar 2014

Der Betriebsrat hat es zu dulden, dass ein leitender Angestellter einen offenen Brief am schwarzen Brett aushängt, in dem die Arbeit des Gremiums kritisiert wird. Denn auch die Regelung des § 78 BetrVG begrenzt das - durch Art. 5 Abs. 1 GG garantierte - Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nicht.

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Der Fall:
Der Betriebsrat nimmt einen leitenden Angestellten auf Unterlassung sowie Widerruf von Äußerungen in Anspruch.

Dieser hatte im Betrieb der Arbeitgeberin am schwarzen Brett ein Schriftstück auf neutralem Papier ausgehängt. Dieses war als „Offener Brief an die Mitarbeiter/innen zum Thema Betriebsrat“ überschrieben und von insgesamt 112 Mitarbeitern, darunter einigen leitenden Angestellten, unterzeichnet.

Hierin wurde u.a. die Betriebsratsarbeit als „schlecht und nicht Ziel führend“ bewertet. Sodann wurde kritisiert, dass es dem Betriebsrat an „Vertrauen, Transparenz, Effizienz und vor allem dem Willen, praktische Lösungen herbeiführen zu wollen“ fehle. In den folgenden Absätzen wurden Eindrücke wieder gegeben, nämlich dass die Betriebsratsmitglieder Misstrauen gegenüber der Firma hegten sowie die Ziele des Betriebsrats und konkrete Ergebnisse nicht erkennbar seien.

Der Betriebsrat hat die Unterlassung und den Widerruf der Äußerungen verlangt. Es handele sich um bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen, die nicht dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfielen.

Die Entscheidung:
Dieser Einschätzung wollte sich das Hessische LAG nicht anschließen.

Zwar darf der Betriebsrat nach § 78 BetrVG nicht in der Ausübung seiner Tätigkeit gestört oder behindert werden. Der offene Brief unterfällt jedoch dem - durch Art. 5 Abs. 1 GG garantierten - Grundrecht auf freie Meinungsäußerung.

Der offene Brief enthält im Wesentlichen Werturteile, meinten die Hessischen Richter. Derartige, der Meinungsbildung dienende Tatsachenbehauptungen unterfallen ebenfalls dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz. Dies gilt auch, soweit der Vorwurf des ungerechtfertigen Missbrauchs des Betriebsratsamts erhoben wird.

Eine Abwägung der einfachgesetzlichen Vorschrift des § 78 BetrVG mit der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz ergibt, dass Letzterer hier das größere Gewicht einzuräumen ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Meinungsäußerung nicht darauf abzielte, die Betriebsratsarbeit zu erschweren, sondern einen kritischen Dialog zwischen Belegschaft und Betriebsrat herbeizuführen.

Der Betriebsrat als demokratisch gewähltes Gremium muss sich der Kritik seiner Wähler stellen. Dies bedeutet, dass er diese zur Kenntnis zu nehmen hat und sich damit auseinandersetzen muss. Damit ist es unvereinbar, wenn er kritische schriftliche Stellungnahmen am schwarzen Brett als Behinderung der Betriebsratsarbeit zu unterbinden versucht.

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der offene Brief auch von leitenden Angestellten – die vom Betriebsrat nicht repräsentiert werden – unterzeichnet worden ist. Zum einen sind auch diese Träger des Grundrechts der Meinungsfreiheit. Zum anderen diente ihre Meinungsäußerung der Überzeugungsbildung bei den vom Betriebsrat repräsentierten Wahlberechtigten.

Quelle:
Hess. LAG, Beschluss vom 02.09.2013
Aktenzeichen: 16 TaBV 48/13

Lesetipp der Online-Redaktion:
» Von Meinungsfreiheit, harten Bandagen und Zusammenarbeit « von Dr. Johanna Wenckebach in »Arbeitsrecht im Betrieb« 12/2013, S. 678-680.

© bund-verlag.de (ts)

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