Personalabbau

So sichern Betriebsräte Jobs

29. September 2017
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Quelle: © Monkey Business / Foto Dollar Club

Die neue Strategie der Arbeitgeber: Sie wickeln Veränderungen im Betrieb projektbezogen ab. Personal lässt sich so »scheibchenweise« abbauen – ohne Interessenausgleich und Sozialplan. Wie Betriebsräte die Arbeitsplätze der Beschäftigten sichern, zeigen Bernd Spengler und Stefanie Pritzel in der »Arbeitsrecht im Betrieb« (AiB) 10/2017.


Fakt ist: Es gibt fast keine Branche mehr, in der Arbeitgeber nicht versuchen, teure Sozialpläne zu verhindern. Stattdessen finden laufende Projekte und Umstrukturierungsprozesse statt, die von Betriebsräten oftmals als Pesonalanpassungsmaßnahmen im Wege der »Salami-Taktik« empfunden werden.

Banken und Versicherungen leiden beispielsweise massiv unter den Nachwirkungen der Finanzkrise und der derzeitigen Zinsentwicklung. Dennoch werden dort Begriffe wie »Interessenausgleich« und »Sozialplan« streng gemieden. Es gibt nicht mehr das eine Maßnahmenpaket, das in einem Interessenausgleich geregelt wird, vielmehr wird kontinuierlich »herumgedoktert«. Filialschließungen, Outsourcing, technische Umstellungen und Personalanpassungen – alle oft unterhalb der Schwelle des § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) lassen auf die eine große Unternehmerentscheidung, den Sozialplan, vergebens warten. Ähnliches berichten die Betriebsräte aus den Kliniken und Krankenhäusern. Dienstplanoptimierungen, Umstrukturierungen in den Stationen, Trennung von patientennahen Tätigkeiten und hauswirtschaftlichen Funktionen – all das findet auch dort in einer Vielzahl von Einzelprojekten mit teils unterschiedlichen Beratungsfirmen zeitgleich statt.

Agieren statt reagieren ist angezeigt

Abwarten bringt also nichts. Genau diesem Ansatz folgt § 92a BetrVG. Der Betriebsrat soll seine in § 80 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG ausdrücklich aufgeführte gesetzliche Aufgabe zur Beschäftigungssicherung wahrnehmen können und nicht erst nach einer unternehmerischen Entscheidung reagieren müssen. Er kann zur Beschäftigungssicherung initiativ werden und dem Arbeitgeber Lösungsvorschläge unterbreiten. Die Chance, hierdurch auf die Unternehmensführung Einfluss zu nehmen, ist in den Betrieben besonders groß, in denen eine aufgeschlossene Geschäftsführung auch den Betriebsrat als Innovationsquelle begreift. Im Rahmen eines echten »Co-Managements« ist es oft zielführender die Kenntnis der Mitarbeiter über Fehlentwicklungen und deren Lösung durch den Betriebsrat einbringen zu lassen. Wenn stattdessen teure Consultants in Interviews ebenfalls versuchen, Probleme und Lösungsansätze von Mitarbeitern zu erfragen, erfahren sie oft aus Angst vor Abbauprozessen nicht die volle Wahrheit.

Vorurteil: Nur Beratung, keine Mitbestimmung

Trotz dieser wichtigen Aufgabe, führt § 92a BetrVG ein Schattendasein. Das liegt daran, dass die Vorschrift kein Mitbestimmungsrecht enthält, sondern nur ein Vorschlagsrecht des Betriebsrats, verbunden mit der Verpflichtung des Arbeitgebers sich mit den Vorschlägen auseinanderzusetzen, diese zu beraten und in Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmern eine Ablehnungsentscheidung schriftlich zu begründen. Das Vorurteil, die Vorschrift sei »zahnlos«, resultiert daraus, dass dem Arbeitgeber weder die Einigungsstelle noch ein gerichtlicher Unterlassungsanspruch aus § 92a BetrVG drohen. Die Vorschrift führt auch nicht zur Unwirksamkeit von Kündigungen.

Taktisches Ineinandergreifen

Doch so aus dem Zusammenhang gelöst, darf man § 92a BetrVG nicht betrachten. Zusammen mit anderen Vorschriften ergeben sich für den Betriebsrat interessante taktische Überlegungen.

Wer konkrete Vorschläge zur Beschäftigungssicherung unterbreiten will, benötigt für diese Alternativen das nötige Wissen und den Sachverstand. § 92a BetrVG dient also als wichtige Begründung für die Erforderlichkeit von Schulungen und Seminaren (§ 37 Abs. 6 BetrVG), oder der Hinzuziehung von externen Beratern (§ 80 Abs. 3 BetrVG).

Auch bei Personalanpassungsmaßnahmen kann § 92a BetrVG eine Rolle spielen. Viel zu selten nutzen Betriebsräte nämlich die Möglichkeit, betriebsbedingten Kündigungen – gerade unterhalb der Schwelle des § 17 KSchG – wirklich ausdrücklich mit Begründung zu widersprechen (§ 102 Abs. 3 BetrVG) und damit die Möglichkeit des betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruchs (also die Möglichkeit des Beschäftigten auf seinem Arbeitsplatz bis zum Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu verbleiben und Entgelt zu bekommen!) auszulösen. Dabei sind gerade die vom Betriebsrat aufgezeigten Maßnahmen Indiz für die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit.

Aber auch bei Interessenausgleichsverhandlungen kann § 92a BetrVG eine wichtige Rolle spielen. Zwar hat die Rechtsprechung klargestellt, dass ein vom Betriebsrat eingeleitetes Verfahren zur Beschäftigungssicherung nicht das Verfahren nach § 111 BetrVG hindert. Aber natürlich werden die alternativen Vorschläge des Betriebsrats von einem Einigungsstellenvorsitzenden oder auch der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen einer Massenentlassungsanzeige beachtet werden. Je sinnvoller und plausibler die Argumente des Betriebsrats ausgearbeitet wurden, desto kritischer wird man dort die arbeitgeberseitige unternehmerische Entscheidung hinterfragen.

Gerade die Hinzuziehung eines Vertreters der Bundesagentur für Arbeit, die § 92a BetrVG ausdrücklich vorsieht, sollte nicht unterschätzt werden. Im Beisein eines Agenturvertreters wird sich ein Arbeitgeber eventuell seine Ablehnung der Vorschläge des Betriebsrats nicht mehr so einfach machen können.

Keine betriebsbedingten Kündigungen

Wesentliche Bestandteile der Beschäftigungssicherung sind der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen und Outsourcing. Notwendige Personalanpassungen sollen stattdessen durch natürliche Fluktuation erfolgen. Verstärkte Teilzeitangebote sollen mit einem gewissen finanziellen Ausgleich oder freiwilliges Ausscheiden mit Abfindungsangeboten und Qualifizierungsmaßnahmen für die verbliebenen Mitarbeiter verbunden werden. Solche Beschäftigungssicherungsvereinbarungen helfen in der Regel bei längeren Projekten den Mitarbeitern die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust zu nehmen. Auch die Arbeitgeber müssen in Zeiten des Fachkräftemangels an solchen Regelungen ein Interesse haben. Ohne solche vertrauensbildenden Vereinbarungen verlassen bei unsicheren betrieblichen Entwicklungen ansonsten zuerst die Leistungsträger und Fachkräfte den Betrieb und wechseln zur Konkurrenz.

Moderne Arbeitszeitmodelle

Die starke beschäftigungssichernde Wirkung solcher Modelle in der Produktion hat spätestens die Finanzkrise gezeigt. Die deutschen Produktionsbetriebe, allen voran der metallverarbeitende Sektor, konnten dank atmender und flexibler Arbeitszeitmodelle, die oft von Gewerkschaften und Betriebsräten initiiert waren, ohne größere Arbeitsplatzverluste die Krise meistern. Doch auch im Dienstleistungsbereich können Arbeitszeitmodelle wie Funktionszeitenmodelle, Vario- und Flexi-Dienste und Zeitkonten sowie Home-Office die Erreichbarkeit für Kunden erhöhen. Wenn dies kombiniert wird mit Freizeitvorteilen für die Arbeitnehmer können solche Modelle nicht nur die Beschäftigung sichern, sondern auch qualifizierte Mitarbeiter binden.

Und immer wieder Qualifizieren

Ein ganz wichtiges Instrument der Beschäftigungssicherung ist die Qualifizierung und Weiterbildung der Mitarbeiter. Hier sind Betriebsräte gerade bei der massiven Veränderung ganzer Berufsbilder in der digitalisierten Arbeitswelt gefordert. § 92a BetrVG stellt dabei eine wichtige Ergänzung zu den §§ 96 - 98 BetrVG (betrieblichen Bildungsmaßnahmen) dar. Auch hier gilt: Nicht warten, bis der Arbeitgeber handelt. Bestimmte Veränderungen sind bereits heute erkennbar – und hier kann der Betriebsrat bereits jetzt Programme zur Qualifizierung fordern, um für die erheblich geänderten Anforderungen in der Arbeitswelt 4.0 das Fachpersonal aus den eigenen Reihen zu qualifizieren.

Wie Betriebsräte erfolgreich Vorschlage zur Arbeitsorganisation machen können und eine Checkliste für ein wirksames Vorgehen nach § 92a BetrVG finden Sie in dem Beitrag von Bernd Spengler und Stefanie Pritzel zeigen in ihrem Beitrag »Jobs sichern«, AiB 10/2017,  S. 19 - 22. Noch kein Abonnent der »Arbeitsrecht im Betrieb« (AiB)? Jetzt zwei Ausgaben kostenfrei testen!

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