Betriebliches Eingliederungsmanagement

Was Personalräte zum BEM wissen müssen

12. Januar 2016

Beschäftigten, die innerhalb der letzten zwölf Monate mindestens sechs Wochen arbeitsunfähig waren, muss der Dienstherr ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anbieten. Im aktuellen »Werkbuch BEM« erläutern die Autoren Grunow, Kerschbaumer und Pielenz vom ver.di-Bundesvorstand in Berlin, was Personalräte wissen müssen und wie die Mitbestimmungsrechte aussehen.

Beamte und Betriebliches Eingliederungsmanagement

Autoren: Melanie Grunow, Dr. Judith Kerschbaumer und Cornelia Pielenz

Die Verpflichtungen des Arbeitgebers zum BEM aus § 84 SGB IX gelten auch in öffentlichen Dienstverhältnissen und auch gegenüber Beamten – unabhängig von einer Behinderung. Auch im Beamtenverhältnis ist das BEM von der Zustimmung der Betroffenen abhängig.

Das BEM ist als »gesetzlich verankertes Frühwarnsystem« Ausdruck und Konkretisierung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Kann keine Verbesserung erzielt werden, schließt sich ein dienstrechtliches Verfahren mit der Versetzung in den Ruhestand als Ultima Ratio an. Das BEM ist nicht Wirksamkeitsvoraussetzung dieses Verfahrens.

Der Personalrat hat das BEM zu überwachen und dafür zu sorgen, dass den Betroffenen ein ordnungsgemäßes Integrationsangebot unterbreitet wird. Dazu hat der Personalrat das Recht, regelmäßig vom Dienstherrn die Namensliste sowie Kopien der Anschreiben an die Betroffenen zu erhalten, um prüfen zu können, dass alle betroffenen Beschäftigten über das gesetzliche Angebot des BEM tatsächlich informiert wurden.

Die Anwendbarkeit des BEM im Beamtenverhältnis

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in seiner Entscheidung vom 5. 6. 2014 klargestellt, dass § 84 SGB IX für alle Beschäftigten, d. h. auch für Beamte gilt.

Nach § 68 Abs. 1 SGB IX gelten die Regelungen aus Teil 2 des SGB IX für schwerbehinderte und diesen gleichgestellte behinderte Menschen; eine Ausnahme für Beamte ist nicht vorgesehen. Damit hat das BVerwG geklärt, dass das in § 84 SGB IX geregelte BEM auch für Beamte in Bund, Ländern und Gemeinden unmittelbare Geltung hat.

Grundsätzlich gilt, dass der vom BEM erfasste Personenkreis aus den »Beschäftigten« besteht, welche innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt dienstunfähig waren. Die Pflicht zur Durchführung des BEM ist nicht auf Beschäftigte mit einer Behinderung beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle Beamten mit einer krankheitsbedingten Fehlzeit von mehr als sechs Wochen innerhalb eines Jahreszeitraums.

Entsprechend obliegt es dem Dienstherrn, das BEM-Verfahren durchzuführen. Die Erfassung aller Beschäftigten mit entsprechenden Fehlzeiten im Vergleich zu ausschließlich schwerbehinderten Beschäftigten ist eine der wesentlichen Unterschiede zwischen dem Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX und dem BEM-Verfahren nach § 84 Abs. 2 SGB IX.

Grundsätze des Beamtenverhältnisses

Im Verhältnis zum privatrechtlichen Arbeitsverhältnis ist das Beamtenverhältnis ein öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis, welches gem. Art. 33 Abs. 5 GG nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln ist. Zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehört der Grundsatz der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber dem Beamten. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn ist daher verfassungsrechtlich verankert. Sie ist aber auch in § 78 BBG als Generalklausel einfachgesetzlich formuliert und beinhaltet das Recht der Beamten auf Schutz und Fürsorge. Dieser Grundsatz ist das Korrelat zum hergebrachten Grundsatz der Treupflicht der Beamten.

Im Rahmen der Fürsorgepflicht hat der Dienstherr im Rahmen des Möglichen Gesundheitsbeeinträchtigungen abzuhelfen und die Verpflichtung, für den bestmöglichen Schutz gegen Gefahren für Leben und Gesundheit der Beamten bei der Dienstausübung zu sorgen.

»Sinn und Zweck des BEM ist es, einer weiteren krankheitsbedingten Abwesenheit und dem Eintritt der dauernden Dienstunfähigkeit entgegenzuwirken, um ein bestehendes Beamtenverhältnis nicht zu gefährden.« Die Fürsorgepflicht entbindet den Dienstherrn nicht von der Pflicht zur Anwendung der BEM-Vorschriften; vielmehr ist die Durchführung des BEM-Verfahrens gerade die Konkretisierung dieser Schutzpflicht. Im BEM soll eine Analyse der bestehenden Arbeitsbedingungen im Hinblick auf die gesundheitlichen Einschränkungen des Beamten erfolgen, um Möglichkeiten einer leidensgerechten Anpassung des konkreten Arbeitsplatzes auszuloten. Das BEM ist daher vom BVerwG auch als »niedrigschwelligere« Vorfeldmaßnahme vor der zur Ruhesetzung des Beamten bezeichnet worden.

Beteiligte im BEM-Verfahren und Freiwilligkeit

Zwingend Beteiligte im BEM-Verfahren nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sind:

  • der Dienstherr bzw. seine Personalverantwortlichen, die zur Dienstaufsicht befugt sind; bei Richtern neben den Präsidenten auch deren Präsidien, soweit sie für die Geschäftsverteilung zuständig sind;
  • der einzelne Beamte;
  • die zuständige Interessenvertretung nach § 93 SGB IX, d. h. der örtlich zuständige Personalrat bzw. Staatsanwaltsrat bzw. der örtliche Richterrat; der Präsidialrat nur dann, wenn er zu Versetzung oder Entlassung befugt ist;
  • bei schwerbehinderten Beamten auch die Schwerbehindertenvertretung und
  • ggf. Amts- bzw. Betriebsarzt (§ 84 Abs. 2 Satz 2 SGB IX) und
  • wenn Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht kommen, auch die örtlich gemeinsamen Servicestellen und bei Schwerbehinderten das Integrationsamt (§ 84 Abs. 2 Satz 4 und 5 SGB IX).

Das BEM gilt ebenso für Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse und unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten innerhalb einer Behörde und damit unabhängig vom Vorhandensein einer Personalvertretung, ebenso für Dienstverhältnisse von Beamten auf Probe oder auf Widerruf.

Das BEM ist freiwillig. Verweigert der Beamte seine Zustimmung, kommt das BEM-Verfahren nicht zustande. Eine Verpflichtung des Beamten an der Teilnahme des BEM besteht nicht. Ein BEM-Verfahren kommt auch dann nicht gegen den Willen des Beamten zustande, wenn die zuständige Interessenvertretung bzw. die Schwerbehindertenvertretung eine Klärung nach § 84 Abs. 2 Satz 6 SGB IX verlangt. Eine Verpflichtung zur Durchführung des BEM besteht nicht, wenn der Beamte die Durchführung ablehnt oder beispielsweise nicht zum Termin erscheint und sich dadurch der Maßnahme entzieht. Die Zustimmung ist ausdrücklich zu erklären. Wird auf das Angebot des Dienstherrn eines BEM keine Erklärung abgegeben, ist dies als Nichtzustimmung zu werten. Das BEM-Verfahren findet dann nicht statt.

Allerdings ist der Beamte gem. § 46 Abs. 4 Satz 2 BBG verpflichtet, auf Weisung des Dienstherrn an gesundheitlichen und beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen zur Abwendung einer drohenden Dienstunfähigkeit auch ohne vorheriges BEM teilzunehmen.

Grundsätze der Anwendbarkeit des BEM

Voraussetzung für das Durchführen eines BEM gem. § 84 Abs. 2 SGB IX sind krankheitsbedingte Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen innerhalb eines Jahres. Das Instrumentarium BEM greift damit unabhängig davon ein, ob aus den Fehlzeiten auf eine mögliche Dienstunfähigkeit gem. § 44 BBG geschlossen werden kann, d. h. ob die Gefahr der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit oder die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe oder Widerruf besteht.

Da § 84 Abs. 2 SGB IX nicht von einem Kalenderjahr, sondern nur von einem Jahr spricht, ist die Jahresgrenze dann erreicht, wenn die aktuelle Dienstunfähigkeit mit einer früheren Dienstunfähigkeit zusammengerechnet zurückgerechnet während der letzten zwölf Monate einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen übersteigt.

Die Durchführung des BEM ist keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die dienstliche Beurteilung eines Beamten. Sofern sich Erkrankungen negativ auf diese auswirkt, kann das ein Indiz dafür sein, dass der Dienstherr im Rahmen seiner Fürsorgepflicht ein Verfahren einzuleiten hat.

Das Angebot eines BEM bzw. die Reaktion darauf kann in die Personalakte aufgenommen werden. Weitere Daten haben wegen des Persönlichkeitsrechts keinen Platz in der Personalakte. Sie sind in einer gesonderten BEM-Akte zu führen. Die vom Bundesarbeitsgericht dazu entwickelten Grundsätze sind ins Beamtenverhältnis zu übertragen.

Das BEM-Verfahren ist ein ergebnisoffener Prozess, so dass es nicht zwingend zu einem Ergebnis oder einer konkreten Lösung kommen muss.

Zum Verhältnis des BEM zur dauernden Dienstunfähigkeit, insbesondere zur Frage, ob das BEM eine Wirksamkeitsvoraussetzung für ein Ruhestandsversetzungsverfahren aus krankheitsbedingten Gründen ist, siehe unter 4.

Personalvertretung

Wichtig: Die nach § 93 SGB IX zuständigen Interessenvertretungen – und damit auch der Personalrat – wachen darüber, dass der Dienstherr die ihm obliegenden Verpflichtungen des BEM-Verfahrens erfüllt. Die Vorschriften zum BEM unterliegen regelmäßig der Mitbestimmung (§ 75 Abs. 3 Nr. 11 BPersVG).

Die Pflicht des Dienstherrn bzw. seines Vertreters (im Folgenden Dienststellenleiter) zur Vorlage von Unterlagen ist somit Bestandteil seiner Informationspflicht gegenüber dem Personalrat. Sie besteht in dem Umfang, in welchem der Personalrat die Kenntnis der Unterlagen zur Durchführung seiner Aufgaben benötigt. Die Frage, in welchem Umfang und welche Unterlagen zur Durchführung der Aufgaben des Personalrates erforderlich sind, hat das BVerwG in seiner Entscheidung vom 4. 9. 2012 grundsätzlich geklärt:

Grundlegende Anforderung für die Aufgabe des Personalrats ist dabei die Verpflichtung nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Danach klärt der Dienststellenleiter, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, mit der zuständigen Interessenvertretung mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die vorübergehende Dienstunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Dienstunfähigkeit wegen Krankheit vorgebeugt werden kann. Zuvor ist der betroffene Beamte auf die Ziele des BEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen (§ 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX). Demgemäß hat der Personalrat darüber zu wachen, dass der Dienststellenleiter den betroffenen Beschäftigten ein ordnungsgemäßes Eingliederungsangebot unterbreitet.

Das Überwachungsrecht gemäß § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX rechtfertigt es, dem Personalrat konkrete Unterlagen zu überlassen. Wenn der Personalrat darüber wacht, dass alle betroffenen Beschäftigten ordnungsgemäß über die Ziele des BEM unterrichtet werden, so dient dies dem Schutz des betroffenen Beamten vor der drohenden Zurruhesetzung bzw. Entlassung aus dem Beamtenverhältnis. Die korrekte Belehrung eines jeden Betroffenen ist wesentliche Voraussetzung dafür, dass das Angebot des BEM von Beschäftigten positiv aufgegriffen wird und die vom Gesetzgeber intendierte Wiedereingliederung in den Beschäftigtenprozess gelingen kann. Sie betrifft ein elementares Interesse der betroffenen Beschäftigten. Dem dient das Angebot des BEM durch die Dienststelle sowie die Kontrolle des Personalrats daraufhin, dass das Angebot tatsächlich unterbreitet wird.

Das BVerwG hat dabei entschieden, dass der Personalrat die Namensliste sowie Kopien der Anschreiben des Dienstherrn bzw. seines Vertreters benötigt, um seine Überwachungsaufgabe nach § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX erfüllen zu können. Nur so kann der Personalrat überprüfen, ob den betroffenen Beamten ein ordnungsgemäßes Integrationsangebot unterbreitet wurde. Die Mitteilung anonymisierter Unterlagen reicht nicht aus. Dadurch erlangt der Personalrat keine hinreichende Gewissheit darüber, dass alle betroffenen Beschäftigten über das gesetzliche Angebot des BEM tatsächlich informiert wurden.

In diesem Zusammenhang wurde die rechtliche Klärung der Frage nach den datenschutzrechtlichen Schutzbestimmungen relevant. Das BVerwG hat dazu entschieden, dass die Weitergabe der Namensliste sowie der Anschreiben an den Personalrat nicht gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstößt. Die Datenerhebung durch die Dienststelle ist insbesondere nicht rechtswidrig. Die Weitergabe der Namensliste sowie der Anschreiben verstößt nicht gegen das Grundrecht der betroffenen Beschäftigten auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG. Vielmehr fällt das Interesse aller betroffenen Beschäftigten in der Dienststelle stärker ins Gewicht als das Interesse einzelner Beschäftigter daran, die Tatsache ihrer Zugehörigkeit zum Kreis der in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bezeichneten Personen vor dem Personalrat geheim zu halten. Denn längere krankheitsbedingte Abwesenheitszeiten von Beschäftigten führen zu Unruhe in der Dienststelle, weil sie für die übrigen Beschäftigten in der jeweiligen Arbeitseinheit mit Mehrbelastungen verbunden sind.

Nur die Kenntnis der Namensliste sowie der Anschreiben versetzt den Personalrat in die Lage, etwaigen Verstößen des Dienststellenleiters gegen § 84 Abs. 2 Satz 1 und 3 SGB IX bereits im Vorfeld effektiv entgegenzuwirken.

Auch im Beamtenverhältnis ist das BEM von der Zustimmung der Betroffenen abhängig. Hat der Beschäftigte das Angebot des BEM abgelehnt, so ist damit weder für Beteiligung noch für Kontrolle des Personalrats weiter Raum. Dasselbe gilt, wenn Beschäftigte das Angebot der Dienststelle annehmen, die Beteiligung des Personalrats aber nicht wünschen. Damit hat der Beschäftigte eine selbstbestimmte Entscheidung gegen die Teilnahme des Personalrats am Klärungsprozess getroffen. Diese Entscheidung erstreckt sich folgerichtig auf alle denkbaren Elemente des Klärungsprozesses, also auch auf eine etwaige Hinzuziehung des Amts- bzw. Betriebsarztes oder der örtlichen gemeinsamen Servicestellen. Die selbstverantwortete Entscheidung des Beschäftigten darf nicht durch eine Ausweitung des Kontrollrechts der Personalvertretung in Frage gestellt werden. 

Quelle:

Feldes/Niehaus/Faber (Hrsg.)
Werkbuch BEM - Betriebliches Eingliederungsmanagement
Strategien und Empfehlungen für Interessenvertretungen
269 Seiten, 1. Aufl. 2016, Bund-Verlag
Ladenpreis: € 39,90 

© bund-verlag.de (is)

Quelle


Aktenzeichen
Dieser Meldung ist ein Auszug aus dem »Werkbuch BEM« (ISBN: 978-3-7663-6424-1).
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