Mitbestimmung

Rechte des Betriebsrats gelten auch im Arbeitskampf

11. September 2018
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Quelle: stockWERK_Dollarphotoclub

Ordnet der Arbeitgeber während eines Arbeitskampfs Mehrarbeit an, kann das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats eingeschränkt sein. Der Arbeitgeber muss aber deutlich erklären, dass es sich um eine Arbeitskampfmaßnahme handelt. Sonst hat der Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch. Von Matthias Beckmann.

In diesem Verfahren stritten Arbeitgeber und Betriebsrat über die Mitbestimmung bei einer vorübergehenden Verlängerung der Arbeitszeit im Zusammenhang mit Warnstreiks.

Der Betrieb war ein Logistikunternehmen mit rund 3.000 Beschäftigten. Der Betriebsrat hatte mit dem Arbeitgeber in einer Betriebsvereinbarung allgemeine Regelungen zum Umgang mit der Anordnung von Mehrarbeit getroffen.

Mehrarbeit nach Warnstreik

Nun befand sich der Arbeitgeber in Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft ver.di. Es kam zu mehrfachen Warnstreiks. Nach einem Warnstreik an einem Samstag ordnete der Arbeitgeber für den darauffolgenden Montag fünf Stunden Mehrarbeit an. Dies tat er ausdrücklich mit dem Hinweis, dass die Streikfolgen aufgearbeitet werden sollten.

Die Aufforderung richtete sich an alle Beschäftigten der Niederlassung. Die Zustimmung des Betriebsrats beantragte der Arbeitgeber nicht.

Der Betriebsrat vertrat die Auffassung, der Arbeitgeber habe bei der Anordnung von das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG verletzt. Vor dem Arbeitsgericht nahm er Arbeitgeber auf Unterlassen derartiger Anordnungen sowie auf Beachtung und Durchführung der Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit in Anspruch.

Betriebsrat fordert Unterlassen

Konkret beantragte der Betriebsrat, der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, Mehrarbeit nach Beendigung eines rechtmäßigen Streiks gegenüber Beschäftigten anzuordnen, zu vereinbaren, entgegenzunehmen oder zu dulden, solange der Betriebsrat seine Zustimmung nicht erteilt, es sei denn, es liegen Notfälle oder Fälle der im Betrieb geltenden »Betriebsvereinbarung Arbeitszeitregelung in der Zustellung« vor.

Der Arbeitgeber war demgegenüber der Meinung, die Anordnung von Mehrarbeit sei als Kampfmaßnahme zur Abwehr des gewerkschaftlich getragenen Warnstreiks und der Bewältigung seiner Folgen nicht mitbestimmungspflichtig.Beim Arbeitsgericht und beim Landesarbeitsgericht blieben die Anträge erfolglos. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hingegen hat die Forderung auf Unterlassen als begründet angesehen.

BAG bestätigt Mitbestimmungsrecht

Der Unterlassungsanspruch folgte aus einer zu besorgenden Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats war nach Auffassung des BAG auch nicht aus arbeitskampfrechtlichen Gründen suspendiert.

Gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG sind Maßnahmen des Arbeitskampfs zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unzulässig. Das Betriebsverfassungsgesetz ist selbst während eines Arbeitskampfs grundsätzlich anzuwenden, mögliche Einschränkungen bedürfen einer arbeitskampfrechtlichen Rechtfertigung.

Betriebsrat darf nicht in Arbeitskampf eingreifen

Eine Einschränkung der Mitbestimmung ist nur zulässig, wenn die ernsthafte Gefahr besteht, dass der Betriebsrat eine dem Arbeitgeber sonst mögliche Arbeitskampfmaßnahme verhindert und dadurch zwangsläufig zu dessen Nachteil in das Kampfgeschehen eingreift.

Bezweckt der Arbeitgeber Maßnahmen, um den Auswirkungen streikbedingter Arbeitsniederlegungen vorzubeugen, bedarf es eines Bezugs zu einer laufenden oder einer unmittelbar bevorstehenden Arbeitsniederlegung.

Der Arbeitgeber muss die Folgen einer gegen ihn gerichteten streikbedingten Arbeitsniederlegung nicht hinnehmen. Er kann vielmehr - abgesehen von Aussperrungsmaßnahmen - versuchen, durch betriebsorganisatorische Gegenmaßnahmen die Folgen der streikbedingten Betriebsstörung zu begrenzen.

Nach dieser Prämisse kann die Anordnung von Mehrarbeit durchaus als Maßnahme im Arbeitskampf mitbestimmungsfrei sein.

Zweck der Maßnahme muss erkennbar sein

Ist Gegenstand einer Arbeitskampfmaßnahme des Arbeitgebers der (zeitliche) Mehreinsatz von Arbeitnehmern, muss allerdings sichergestellt sein, dass von einer entsprechenden Anordnung nicht solche Arbeitnehmer betroffen sind, die dem konkreten gewerkschaftlichen Kampfaufruf Folge leisten.

Der Arbeitgeber darf laut BAG nur auf arbeitswillige Arbeitnehmer zurückzugreifen, die sich für solche zusätzlichen Arbeitseinsätze ausdrücklich zur Verfügung stellen. Dazu müssen diese erkennen können, dass es sich um eine arbeitgeberseitige Arbeitskampfmaßnahme handelt, an der mitwirken. Das setzt eine darauf gerichtete Erklärung des Arbeitgebers voraus.

Für eine arbeitskampfbedingte Beschränkung von Mitbestimmungsrechten ist kein Raum, wenn der Arbeitgeber die Mehrarbeit nach Ende des Streiks für alle an einem bestimmten Tag dienstplanmäßig eingeteilten Arbeitnehmer anordnet. Der Betriebsrat muss dann beteiligt werden.

Matthias Beckmann, DGB Rechtsschutz GmbH

Lesetipps:

 

Quelle

BAG (20.03.2018)
Aktenzeichen 1 ABR 70/16
Diese Entscheidungsbesprechung ist Teil des Newsletters »AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat« vom 12.9.2018.

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