Experteninterview

Prof. Joachim Heilmann zur aktuellen Rechtsprechung im Urlaubsrecht

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Quelle: © MAST / Foto Dollar Club

Dürfen die Kollegen auch halbe Urlaubstage verlangen? Was passiert mit dem Urlaub bei einem Wechsel von Vollzeit zu Teilzeit? Und was gilt für Urlaub, wenn Beschäftigte in Elternzeit gehen? Das Urlaubsrecht ist in Bewegung. Joachim Heilmann, Autor des »Basiskommentars zum Urlaubsrecht«, hat uns einige Fragen zu den wichtigsten Entwicklungen beantwortet.

1. Der Urlaub richtet sich grundsätzlich nach den Wünschen der Beschäftigten. Können Beschäftigte auch halbe Urlaubstage verlangen?

Die klare Frage verdient eine klare Antwort: Nein.

Dass es Situationen gibt, in denen ein entsprechender Wunsch der oder des Beschäftigten auf einen halben Urlaubstag gerechtfertigt ist und dass der Arbeitgeber dem entsprechen kann, ist unbestritten. Auf den gesamten Urlaub bezogen und seinen Hauptzweck Erholung, kommt eine »Atomisierung« des Urlaubs jedoch nicht in Betracht (LAG Baden-Württemberg 6.3.2019 – 4 Sa 73/18). Dem steht das Prinzip der »zusammenhängenden Urlaubsgewährung« (§ 7 II 1 BUrlG) entgegen.

In Ausnahmefällen eines berechtigten Beschäftigteninteresses an einigen halben Tagen Urlaub kann für Urlaubstage über den gesetzlichen Mindesturlaub hinaus mit dem Arbeitgeber eine entsprechende Vereinbarung getroffen werden.

2. Bis wann müssen Beschäftige ihren Urlaub nehmen? Verfällt nicht genommener Urlaub automatisch zum Jahresende?

Urlaub muss bis zum Ende des Kalenderjahres oder eines Übertragungszeitraums (nach BUrlG bis 31.3. des Folgejahres) genommen werden.

Ein nicht genommener Urlaub verfällt aber nicht, wenn der Arbeitgeber nicht rechtzeitig und nachweisbar deutlich auf den drohenden Urlaubsverfall hingewiesen hat. Das hat der EuGH klar entschieden. Für seine hinreichenden Aufforderungen an die Beschäftigten trägt der Arbeitgeber auch die Beweislast.

Dasselbe gilt bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch für die finanzielle Urlaubsabgeltung, also die Auszahlung noch nicht genommener Urlaubstage.

Hiermit wird der europarechtlich zentralen Urlaubsfunktion im Arbeitsleben deutlich Rechnung getragen (EuGH Az. C-619/16 und C-684/16; BAG 19.02.2019 – 9 AZR 541/15).

3. Weisen Arbeitgeber nicht auf den drohenden Verfall hin, bleibt der Urlaub über die gesetzlichen Verfallsfristen hinaus erhalten – aber für wie lange eigentlich?

Zunächst gilt dieser besondere Erhalt von Urlaubsansprüchen auch rückwirkend für alle Jahre, in denen es der Arbeitgeber unterlassen hat, den Beschäftigten entsprechend zu informieren und ihm die Gelegenheit zum Urlaub konkret anzubieten (LAG Köln 9.4.2019 – 4 Sa 242/18).

Das letzte Wort zur Dauer der »Haltbarkeit« dürfte indes noch nicht gesprochen sein. Eine teilweise vorgeschlagene Kappung auf 15 Monate rückwirkend – wie bei krankheitsbedingter Urlaubsunmöglichkeit – scheint hier jedoch nicht gerechtfertigt, geht es hier doch um real erbrachte Arbeitsleistungen ohne Urlaub.

4. Angenommen, ein Kollege wechselt von Vollzeit zu Teilzeit. Hat das Auswirkungen auf den Urlaub oder das Urlaubsentgelt?

Kurz gesagt darf ein einmal begründeter Urlaub sowie das dazu gehörende Entgelt nicht gekürzt werden.

Einem Beschäftigten, der von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung übergeht, darf der in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, dessen Ausübung ihm während dieser Zeit nicht möglich war, nicht reduziert werden. Es dürfen ihm also keine Urlaubstage gestrichen werden (EuGH 13.6.2013 – c-415/12; BAG 10.2.2015 – 9 AZR 53/14 [F]).

Dasselbe gilt für die Berechnung und Auszahlung des Urlaubsentgelts; eine irgendwie zustande kommende Verringerung wäre unzulässig (BAG 20.3.2018 – 9 AZR 486/17).

5. Wie verträgt sich Urlaub mit Elternzeit oder einem Sabbatical?

Elternzeit hindert die Entstehung von Urlaubsansprüchen zwar nicht, eröffnet aber dem Arbeitgeber die Möglichkeit, für jeden vollen Monat Elternzeit den Urlaub um 1/12 zu kürzen (BAG 19.3.2019 – 9 AZR 362/18). Diese auch europarechtlich haltbare Regelung trägt dem Grundgedanken des Urlaubsrechts Rechnung, dass Urlaub auf erbrachter bzw. geschuldeter Arbeitsleistung beruht. Eine unterjährig vorzunehmende Neuberechnung ist ebenfalls zulässig.

Dasselbe gilt für jede Art individuell ausgehandelter Sonderurlaube, für welche die übliche Arbeitspflicht entfällt und damit auch kein Urlaubsanspruch entsteht (BAG 19.3.2019 – 9 AZR 315/17).

Der Interviewpartner

Dr. Joachim Heilmann,

Professor em. für Arbeits- und Zivilrecht an der Universität Lüneburg

 

 

 

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© bund-verlag.de (fk)

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