Arbeitsverhältnis

Abmahnung wegen Verteilen von Flugblättern

16. September 2022
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Quelle: © akf / Foto Dollar Club

Arbeitnehmer haben Anspruch auf Entfernung von fehlerhaften Abmahnungen aus ihrer Personalakte. Das sich eine Arbeitnehmerkoalition in der Vergangenheit in einem Betrieb unzulässig zur Tätigkeit etablierter Gewerkschaften geäußert hat, führt nicht dazu, dass künftig sämtliche Aussagen, die in Bezug zu dieser Koalition stehen, als Werbung im Betrieb verboten (und abgemahnt) werden dürfen.

Das war der Fall

Ein Produktionsmitarbeiter und Betriebsratsmitglied eines Automobilherstellers im Werk Leipzig gehörte zur Wahlliste »Interessengemeinschaft Beruf und Familie«. Die Wahlliste enthielt den Zusatz »Zentrum Automobil« im Namen. Dieser Verein ist eine nicht tariffähige Arbeitnehmerkoalition, der die Wahlliste unterstützt. Gewerkschaften bezeichnet er auf seiner Website als »gekaufte Einheitsgewerkschaften« und deren Arbeitsweise als »faule Kompromisse satter Gewerkschaftsfunktionäre«.

Darüber hinaus bestand seit 2002 im Unternehmen eine Betriebsvereinbarung, die eine Brotzeitpause vorsah. Nachdem diese 2015 gestrichen wurde, verteilte der Produktionsmitarbeiter am Werkseingang Flugblätter mit der Aufschrift: »Unser Ziel: Keine weiteren Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und Rückkehr zur bezahlten Brotzeitpause. Jetzt die richtigen Weichen stellen!!!« Das Flugblatt trug die Überschrift »Interessengemeinschaft Beruf und Familie – Zentrum Automobil«.

Das Verteilen von Flugblättern ohne dienstlichen Bezug im Betrieb war per Betriebsvereinbarung verboten. Deshalb wurde der Produktionsmitarbeiter abgemahnt.

Vor Gericht begehrt er nun die Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte. Er ist der Ansicht, er habe nicht gegen das Flugblatt-Verbot aus der Betriebsvereinbarung verstoßen, da die Flugblätter vor dem Eingang zum Betrieb, also außerhalb, verteilt worden seien. Außerdem könnte dem Flugblatt auch keine unzulässige Werbung für den Verein »Zentrum Automobil e.V.« entnommen werden. Das hatte das Arbeitsgericht in erster Instanz angenommen und die Klage des Arbeitnehmers abgewiesen.

Das sagt das Gericht

Laut LAG Sachsen war die Abmahnung jedoch aus der Personalakte zu entfernen, da deren Erteilung unverhältnismäßig war.

Das Gericht erläutert in Übereinstimmung mit ständiger Rechtsprechung, dass grundsätzlich ein Anspruch auf Entfernung fehlerhafter Abmahnungen aus der Personalakte besteht. Denn eine missbilligende Äußerung des Arbeitgebers in Form einer Abmahnung ist geeignet, den Arbeitnehmer in seinem beruflichen Fortkommen und seinem Persönlichkeitsrecht zu beeinträchtigen.

Fehlerhaft war die Abmahnung vorliegend deshalb, da keine Werbung für die Koalition »Zentrum Automobil e.V.« stattfand. Zwar sind Werbemaßnahmen für Koalitionen dann unzulässig, wenn sie den Arbeitgeber in beleidigender Weise angreifen, parteipolitische Fragen erörtern oder konkurrierende Gewerkschaften unter grober Entstellung der Wahrheit verunglimpfen. Das trifft auf das Flugblatt aber nicht zu, denn es enthält selbst keinerlei Äußerungen, die sich unzulässig gegen andere Gewerkschaften und deren Mitglieder oder Funktionäre richten. Das sich der »Zentrum Automobil e.V.« anderweitig (auf der Website) unzulässig zur Tätigkeit von Gewerkschaften geäußert hat, führt nicht dazu, dass künftig jede Äußerung mit Bezug zu dieser Koalition im Betrieb untersagt sein kann. Dafür hätte vielmehr auch Werbung für diese (untragbaren) Positionen gemacht werden müssen und das sei mit dem Flugblatt nicht passiert. Eine gewisse Verbindung zur Koalition ist wegen des (Namens-)Zusatzes auf der Wahlliste der Beschäftigten zwar unumgänglich. Es ist aber (aus sich heraus) nicht erkennbar, dass mit dem Flugblatt die Ansichten der Koalition wiedergegeben oder gar beworben werden. Den Arbeitnehmern im Betrieb dürfte bekannt sein, dass die Wahlliste des Klägers durch die »Zentrum Automobil e.V.« unterstützt wird. Mit oder ohne Zusatz »Zentrum Automobil« wird also immer eine gewisse Verbindung dieser Wahlliste mit der Koalition hergestellt werden. Das führt aber nicht dazu, dass sich die Kandidaten der Wahlliste im Betrieb nicht mehr äußern dürften, weil damit verbunden immer eine Werbung für die Koalition anzunehmen sei.

Entgegen der Ansicht des Klägers fand das Verteilen aber »im Betrieb« statt. Es reicht, wenn unter offenem Himmel auf dem Betriebsgelände gehandelt wird. Der Betrieb beginnt nicht erst mit der Eingangstür zum Haus.

Hinweis für die Praxis

Das Gericht stellt auch klar, dass der Arbeitgeber die Pflicht hat, das mildeste Mittel als Reaktion auf eine Pflichtverletzung zu wählen. Dies kann eine Ermahnung oder ein Verweis sein, ohne gleich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu drohen.

© bund-verlag.de (ca)

Quelle

LAG Sachsen (24.02.2022)
Aktenzeichen 2 Sa 453/20
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