Sonderpreisträger in der AiB

Leise, aber wirkungsvoll

06. April 2022
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WMF-Betriebsrat sorgt mit »Mondays for Jobs«-Aktion für hohe Aufmerksamkeit und für eine breite öffentliche Solidarisierung. Das Gremium erzielt langfristige Beschäftigungssicherung für den deutschen Standort und bekommt Sonderpreis »Zukunftssicherung«.

Im Schnellkochtopf wird durch Erhöhung des Drucks erreicht, dass Wasser erst bei einer Temperatur von über 100 °C siedet. Dies führt dazu, dass Speisen schneller garen, Zeit und Energie gespart werden. Nach außen dringt bei diesem Prozess nur ein leichtes Zischen. Das Ganze läuft also sehr geräuscharm ab, aber im Topf spielt richtig die Musik. Die Betriebsräte der WMF Group GmbH haben sich bei ihrem Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen dieses physikalische Prinzip zu eigen gemacht und damit für ihre Kollegen und Kolleginnen ein beindruckendes Ergebnis erzielt. Die Jury des Deutschen Betriebsräte-Preises zeichnete sie dafür im vergangenen Jahr mit dem Sonderpreis in der Kategorie »Zukunftssicherung « aus. Die WMF GmbH mit Sitz in Geislingen an der Steige ist seit 2016 eine 100%ige Tochter der französischen GroupeSEB, die unter ihrem Dach so bekannte Küchen- Marken wie Silit, Krups und emsa vereint. Zur Produktpalette zählen beispielsweise Profi-Kaffeemaschinen und druckerprobte Schnellkochtöpfe, die hier seit vielen Jahrzehnten erfolgreich gefertigt werden.

Das französische Mutterhaus, bekannt für eine eher patriarchalische Firmenphilosophie, wollte vorhandene Strukturen aufbrechen und die Marke WMF »in die SEB-Landschaft« integrieren, so der Betriebsratsvorsitzende Frank Schnötzinger. Geplant war eine Bündelung von Administration, Marketing, Vertrieb und IT, außerdem eine räumliche Zusammenlegung von Produktionsstandorten. Die Kochgeschirrproduktion in Geislingen sollte geschlossen, Personal deutlich reduziert werden. Dies hätte den Abbau von über 430 Arbeitsplätzen zur Folge gehabt. Und das alles sollte aus Sicht des Arbeitgebers möglichst geräuschlos erfolgen. Doch hier hatten die Firmenlenker die  Widerstandskraft der findigen deutschen Betriebsräte unterschätzt. Das 25-köpfige Gremium wollte ganz im Gegensatz zu den französischen Plänen die erfolgreiche Tradition am Standort weiterführen und verlangte eine Beschäftigungssicherung für die hochqualifizierten Arbeitsplätze.

Mondays for Jobs

Dazu entwickelten sie das Projekt »Mondays for Jobs«, bei dem sie sukzessive den Druck steigerten, aber auf den »lauten« Protest bewusst verzichteten. Das Gremium setzte Maßnahmen auf, die man so nicht unbedingt mit klassischen Arbeitnehmer-Demonstrationen in Verbindung bringt: ohne Trillerpfeifen, Rasseln und Megafonen oder anderen Aufmerksamkeitsverstärkern, die geräuschvoll daherkommen. Das dazu passende Motto auf der Schwäbischen Alb: »Lauf & Schwätz – kein Geschrei oder laute Musik«. Ab Ende Juli 2019 liefen die Beschäftigten jeden Montag um fünf Minuten vor zwölf um ihre Firma herum. Dabei startete ihr erster Lauf mit nur sechs WMFlern und dem Bevollmächtigten der IG Metall. »Das Ganze erfolgte ohne Werbung und nur im kleinen Kreis, denn wir wollten dass die Leute nachfragen, was denn da passiert«, so Schnötzinger. Und immer mit dabei: Ein WMF-Schnellkochtopf. Die Teilnehmerzahl ging mit jeder Montags-Demo nach oben. Schnell wurden aus 15 Demonstranten 45, die Aktion verbreitete sich im Werk wie ein Lauffeuer. Die 100er-Grenze war bereits nach wenigen Durchläufen geknackt und die Teilnehmer gingen dann auch mit gut sichtbaren gelben Westen auf die Strecke. Manche – unter Umständen auch in der französischen Geschäftsführung – mögen sich dabei erinnert haben an die sogenannte Gelbwestenbewegung (mouvement des gilets jaunes) in Frankreich. Diese teils umstrittene Bürgerbewegung hatte vor allem zwischen November 2018 und ihrem Abflauen im Frühjahr 2019 zu landesweiten Protesten gegen die Regierung von Emmanuel Macron aufgerufen.»100 waren wir beim 5ten Lauf. Ab jetzt mit gelben Westen. Unsere französische Mutter sollte uns ja auch sehen und erkennen ... Ca. 500 Teilnehmer beim 8ten Lauf. Das Konzept ging auf! Eine riesige Solidaritätswelle schwappte uns entgegen.« Frank Schnötzinger, Betriebsratsvorsitzender (Mitte).

Gelbwesten sorgen für Aufmerksamkeit

Bereits nach acht Wochen nahmen 500 Personen an der wöchentlichen Demo teil. Die Aufmerksamkeit nicht nur im Unternehmen, sondern auch bei der französischen Firmenleitung sowie in und um Geislingen stieg rasant an. Parallel dazu suchte das Gremium den Kontakt zu den lokalen politischen Entscheidungsträgern sowie zu den Medien vor Ort und nutzte Social Media, um auf den befürchteten Arbeitsplatzabbau und den wöchentlichen Marsch aufmerksam zu machen. Es entstand eine gemeinsame Resolution an die Unternehmensleitung, parallel wurden die »Mondays for Jobs«-Läufe weitergeführt. Dies führte zu einer breiten Solidarisierung auf verschiedenen politischen Ebenen. Der Gemeinderat schickte eine Resolution, der Geislinger Oberbürgermeister begleitete die Demonstranten, Flugblätter wurden verteilt. Nach drei Monaten zählte der Umzug bereits rund 800 »Gelbwesten «, die öffentlichkeitswirksam, aber weiterhin leise für die Zukunft vor Ort protestierten und auf eine breite mediale und öffentliche Resonanz stießen.

Keine betriebsbedingten Kündigungen

Am Rande einer Aufsichtsratssitzung im Oktober 2019 wurden dann Unterschriften und zahlreiche Stellungsnahmen aus der Belegschaft an den französischen Chef übergeben. Die Betriebsräte und Mitarbeiter blieben hartnäckig und setzten ihre Märsche auch über die kalte Jahreszeit fort. Die Ausdauer wurde schließlich nach über acht Monaten belohnt, denn der Betriebsrat konnte in den Verhandlungen ein dickes Paket schnüren, das an erster Stelle betriebsbedingte Kündigungen bis 2026 verhindert. Hinzu kam ein attraktives  Freiwilligenprogramm für Ausscheidewillige, Vereinbarungen über den Wechsel in eine Transfergesellschaft und Abfindungsleistungen.

Die Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung sorgt auch aktuell immer noch für Beruhigung, »denn«, so das WMF-Betriebsratsmitglied Günther Härringer (2. v. re.) bei einem Gespräch im Februar 2022, »die Welt dreht sich weiter«. Der Kaffeemaschinen-Markt ziehe an, es sei Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Derzeit verhandelt der Betriebsrat über eine Ausgliederung des Filialgeschäfts, von dem bundesweit gut 800 Kolleg:innen betroffen sein könnten.

 

Christof Herrmann, Kommunikationsberater mit den Themen Arbeit, Recht und Wirtschaft, Aachen.

► Zum Beitrag "Leise, aber wirkungsvoll" in der Zeitschrift "Arbeitsrecht im Betrieb" 4/2022, S. 43f.

►Mehr zum Preisträger »Sonderpreis Zukunftssicherung«

 

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