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Keine Tabus

06. April 2021
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Sonderpreis Zukunftssicherung: Betriebsrat sichert mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket Arbeitsplätze und ermöglicht weitere Qualifizierung. Dafür wird das Gremium 2020 mit dem Sonderpreis »Zukunftssicherung« ausgezeichnet.

Westfalen werden gerne mal mit dem Etikett »dickköpfig und stur« versehen. Wer aber im westfälischen Ochtrup, gelegen kurz vor der niederländischen Grenze bei Enschede, mal ins Gespräch mit Christof Tillmann gekommen ist, dem wird schnell klar, dass diese vermeintlichen Charakter-eigenschaften nur Stereotype sind. Der Vorsitzende des Betriebsrats der Hewing GmbH erhielt mit seinem Gremium im vergangenen Jahr den Sonderpreis in der Kategorie »Zukunftssicherung « des Deutschen Betriebsräte-Preises, denn sie konnten durch ein umfangreiches Paket von verschiedenen betrieblichen Maßnahmen die Entlassung zahlreicher Kolleg*innen erfolgreich verhindern.

Bei dem Hersteller von Kunststoff- und Mehrschichtverbund-Rohren für die Trinkwasser-, Sanitär- und Heizungsbranche wird im vollkontinuierlichen Schichtsystem gearbeitet. Der Vertrieb der »Made in Germany«-Produkte erfolgt an Industrie- und Systemkunden weltweit. Derzeit sind dort gut 200 Mitarbeiter* innen beschäftigt. 2018 war es zu einem unerwarteten Auftragseinbruch gekommen. Schnell stand damit – wie so häufig in solchen Situationen – das Thema Arbeitsplatzabbau auf der Agenda des Arbeitgebers. Betroffen: 16 befristet beschäftigte Mitarbeiter*innen. Für den neunköpfigen Betriebsrat war das aber gar keine Option und das Gremium setzte dann schnell alle Hebel in Bewegung, um die drohenden Entlassungen zu verhindern.

Alle mit ins Boot

Die Westfalen gingen dabei allerdings nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern setzten diesen vielmehr geschickt ein, um alle Beteiligten an den Tisch zu bekommen, »offen über Ideen und Möglichkeiten zu reden und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen«, so Tillmann. Neben Betriebsrat und Geschäftsführung wurden weitere Akteure mit ins Boot geholt: Dazu zählten Vertreter der IG BCE und der Bundesanstalt für Arbeit, ein Rechtsberater des Gremiums, eine Unternehmensberatung zur Prüfung der wirtschaftlichen Situation und auch benachbarte Unternehmen kamen mit ins Spiel. Zusammen mit der Belegschaft und den Vertrauensleuten wurde intensiv diskutiert. Kein Thema war tabu. Den Betriebsräten war es dabei wichtig, dass erst einmal alle Ideen gesammelt werden, ohne sie gleich zu verwerfen. Kein einfaches Unterfangen, da es natürlich auch hier auf allen Seiten Beteiligte gab, die schnell Zweifel, Kritik und Ängste beispielsweise vor Einkommensverlusten äußerten.
 

Bunter Strauß an Maßnahmen

Das Ergebnis überzeugte schließlich nicht nur die Belegschaft, sondern zudem auch die Jury des Deutschen Betriebsräte-Preises und besteht, so beschreibt es Tillmann selbst, »aus einem bunten Strauß an Maßnahmen«: Im Rahmen einer Betriebsvereinbarung »Öffnungsklausel « vereinbarten Betriebsrat und Geschäftsführung eine befristete Absenkung der Arbeitszeit von 37,5 auf 35 Stunden für den Zeitraum 1.1.2019 bis 31.12.2019, eine entsprechende anteilige Reduzierung für Teilzeitbeschäftigte sowie Regelungen für eine tariflich vereinbarte Einmalzahlung aus dem Jahr 2018. Zudem verständigten sich beide Seiten darauf, dass Planungen organisatorischer Änderungen in 2019 nur im Einvernehmen mit dem Betriebsrat erfolgen.
(Foto: BR-Vorsitzender Christof Tillmann bei symbolischer Übergabe der Trophäe durch Jurymitglied Petra Adolph, IG BCE)

Qualifizierung mit Weitblick

Ein weiterer wichtiger Baustein war das Thema Qualifizierung. In Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit wurde das sogenannte WeGebAU-Programm genutzt. Dahinter verbirgt sich ein zweijähriges Förderprogramm zur Steigerung der berufsbegleitenden Qualifizierung in Unternehmen, das 2006 von der Bundesagentur für Arbeit initiiert wurde. Die Abkürzung WeGebAU steht dabei für »Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen«. Damit konnte insgesamt sechs Hewing-Mitarbeitern die Weiterbildung zum Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik ermöglicht werden. Nicht nur mit Blick auf die demografische Entwicklung und die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens eine Maßnahme mit Weitblick. Doch auch hier mussten viele Rädchen ineinandergreifen – von der Einbindung der berufsbildenden Schule bis hin zur Ansprache weiterer Interessenten und Unternehmen, um eine ausreichende Anzahl von Schüler*innen für die Bildung einer Ausbildungsklasse zusammen zu bekommen.

Aus Leiharbeitnehmer*innen werden Festangestellte

Alle bei der Hewing GmbH befristeten Arbeitnehmer* innen erhielten zunächst ein Angebot zur Verlängerung des befristeten Arbeitsverhältnisses bis zum 31.12.2019. Im Rahmen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes hat das Unternehmen vier Mitarbeiter an benachbarte Unternehmen verliehen. Aber auch bei dieser Arbeitnehmerüberlassung, naturgemäß kein »Lieblingsthema« von Betriebsräten, schaffte es das Gremium, eine faire Regelung für die betroffenen Kolleg*innen zu vereinbaren. Dazu zählt die Freiwilligkeit, das jederzeitige Rückkehrrecht und die Vermeidung von finanziellen Nachteilen für die Mitarbeiter*innen. Zusätzlich dazu unterbreitete das Unternehmen insgesamt drei Mitarbeiter*innen ein Angebot zur Frühverrentung. Im Laufe des Jahres 2019 zog die Auftragslage dann bereits wieder deutlich an. Durch die flexiblen Vereinbarungen konnte das Unternehmen vorzeitig zur 37,5-Stunden-Woche zurückkehren. Angesichts der vollen Auftragsbücher bestand sogar von Unternehmensseite der Wunsch auf eine weitere Stundenerhöhung, was der Betriebsrat aber ablehnte. Alle von Entlassung betroffenen Mitarbeiter*innen konnten im Unternehmen verbleiben und wurden nachfolgend sogar in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen. Die an benachbarte Unternehmen verliehenen Kolleg*innen sind vollzählig wieder in die Hewing-Produktion zurückgekehrt. Im Rahmen der Weiterbildungsmaßnahmen legten alle Kolleg*innen eine erfolgreiche Abschlussprüfung ab und sorgten damit zusätzlich für einen Qualifizierungsschub im Unternehmen.

► Zum Beitrag "Sicher arbeiten" von Christof Herrmann in AiB 4/2021, S. 44f.

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