Entschädigung

Altersdiskriminierung bei Assistenz?

01. März 2022
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Quelle: www.pixabay.com/de

Persönliche Assistenzen helfen Menschen mit Behinderung bei der eigenständigen Bewältigung ihres Alltags, oft auch bei der Arbeit. Das BAG hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob eine Diskriminierung nach dem AGG vorliegt, wenn ein Mensch mit Behinderung bei der Auswahl einer persönlichen Assistenz nach dem Alter differenziert.

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Das war der Fall

Beklagter in diesem Rechtsstreit ist ein Assistenzdienst. Dieser bietet Menschen mit Behinderungen Beratung, Unterstützung sowie Assistenzleistungen in verschiedenen Bereichen des Lebens (sog. Persönliche Assistenz) an.

Im Juli 2018 veröffentlichte der Assistenzdienst ein Stellenangebot. Darin suchte eine 28jährige Studentin »weibliche Assistentinnen« in allen Lebensbereichen des Alltags, die »am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein« sollten. Die im März 1968 geborene Klägerin bewarb sich am 5. August 2018 ohne Erfolg auf diese Stellenausschreibung.

Die Klägerin meint, die Beklagte habe sie im Bewerbungsverfahren entgegen den Vorgaben des AGG wegen ihres Alters benachteiligt. Sie verlangt deshalb eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

Die ausdrücklich an Assistentinnen im Alter „zwischen 18 und 30“ Jahren gerichtete Stellenausschreibung lasse vermuten, dass sie, die Klägerin, bei der Stellenbesetzung wegen ihres – höheren – Alters nicht berücksichtigt und damit wegen ihres Alters diskriminiert worden sei. Die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters sei bei Leistungen der Assistenz nach § 78 SGB IX nicht gerechtfertigt.

Der Assistenzdienst war anderer Meinung: Die Ungleichbehandlung wegen des Alters sei nach dem AGG gerechtfertigt. Dabei seien die Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zu berücksichtigen, die schwerbehinderten Menschen die Teilhabe garantiert. Zudem bestehe ein Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten, wie ihre Leistungen zur Teilhabe ausgeführt werden (§ 8 SGB IX). Dieses müsse auch ein Wahlrecht im Hinblick auf das Alter der Assistenten/innen bedeuten. Nur so sei eine selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu erreichen.

Das sagt das Gericht

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hatte die Klage vollständig abgewiesen (LAG Köln, 27.5.2020 – 11 Sa 284/19).  Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Zahlung einer Entschädigung weiter.

Das BAG hat entschieden, dass die Entscheidung des Rechtsstreits davon abhängt, ob die durch die Stellenausschreibung bewirkte unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters nach den Bestimmungen des AGG gerechtfertigt ist.

Das bestimmt sich wiederum nach höherrangigem Recht. Vorgaben liefern die Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie (2000/78/EG vom 27.11.2000) und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta). Relevant für die Auslegung ist zudem Art. 19 UN-BRK, der die Staaten verpflichtet, das Recht von Menschen mit Behinderung auf eine unabhängige und selbstbestimmte Lebensführung durchzusetzen.

Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts ersucht daher den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), die folgende Frage zu beantworten:

Können Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 und/oder Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG – im Licht der Vorgaben der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) sowie im Licht von Art. 19 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) – dahin ausgelegt werden, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt werden kann?

Hintergrund

Assistenzleistungen nach § 78 SGB IX werden für Menschen mit Behinderungen zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags einschließlich der Tagesstrukturierung erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen.

Sie beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen. Assistenzleistungen, die oft von mehreren Personen in Schichten, teilweise rund um die Uhr, geleistet werden, können von einem Assistenz- oder Pflegedienst erbracht oder durch die leistungsberechtigte assistenznehmende Person – im sog. Arbeitgebermodell – selbst organisiert werden. Die Kosten werden in beiden Fällen vom zuständigen öffentlich-rechtlichen Leistungs-/Kostenträger getragen.

© bund-verlag.de (ck)

Quelle

BAG (24.02.2022)
Aktenzeichen 8 AZR 208/21 (A)
BAG, Pressemitteilung vom 24.2.2022
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