Sexuelle Diskriminierung

Keine Renten-Nachteile durch Geschlechtsumwandlung

12. Juli 2018 Rentenversicherung
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Eine Person, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat, darf nicht gezwungen sein, ihre zuvor geschlossene Ehe für ungültig erklären zu lassen, wenn sie eine Ruhestandsrente ab dem für Angehörige des erworbenen Geschlechts geltenden Alter in Anspruch nehmen möchte.

Am 26. Juni 2018 erging ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Klägerin MB und dem Secretary of State for Work and Pensions (Minister für Arbeit und Renten im Vereinigten Königreich Großbritannien).

Der Minister hatte sich geweigert, der Klägerin MB, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hatte, ab dem gesetzlichen Rentenalter für Frauen eine staatliche Ruhestandsrente zu gewähren. MB wurde 1948 geboren, bei der Geburt als männlich eingetragen und ist seit 1974 mit einer Frau verheiratet. 1991 begann MB, als Frau zu leben und unterzog sich 1995 einer operativen Geschlechtsumwandlung. MB verfügt jedoch über keine vollständige Bescheinigung über ihre Geschlechtsumwandlung. Diese wäre nach der damals geltenden nationalen Regelung nur nach Ungültigerklärung ihrer Ehe ausgestellt worden. MB und ihre Ehefrau wollten aus religiösen Gründen verheiratet bleiben.

Klägerin will nach Geschlechtsumwandlung verheiratet bleiben

Im Jahr 2008 vollendete MB das 60. Lebensjahr und stellte daher einen Rentenantrag. Dieser wurde mit der Begründung abgelehnt, dass sie mangels einer vollständigen Bescheinigung über die Anerkennung ihrer Geschlechtsumwandlung in Bezug auf das Rentenalter nicht als Frau behandelt werden könne. Gegen diese Entscheidung erhob MB Klage bei den britischen Gerichten. Sie ist der Ansicht, die Bestimmung, wonach sie nicht verheiratet sein dürfe, stelle eine gegen das Unionsrecht verstoßende Diskriminierung dar.

Der Supreme Court (oberstes Gericht im Vereinigten Königreich) legte die Sache dem EuGH vor, und dieser erkannte, dass die Regelung in der Tat eine unzulässige Diskriminierung darstellt.

Zuständigkeit des EuGH

Zwar fällt die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsumwandlung und die Eheschließung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, diese müssen jedoch bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit in diesem Bereich das Unionsrecht beachten, insbesondere den Grundsatz der Nichtdiskriminierung.

Der EuGH bestätigt seine Rechtsprechung, wonach die Richtlinie 79/7/EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit in Anbetracht ihres Gegenstands und der Natur der Rechte, die sie schützen soll, auch für Diskriminierungen gilt, die ihre Ursache in der Geschlechtsumwandlung des Betroffenen haben.

Gleichstellungsrichtlinie erfasst auch Geschlechtsumwandlung

Dabei ist von einer Geschlechtsumwandlung auszugehen, wenn eine Person während eines erheblichen Zeitraums in einer anderen Geschlechtszugehörigkeit als der bei ihrer Geburt eingetragenen gelebt und sich einer operativen Geschlechtsumwandlung unterzogen hat.

Die EuGH stellt fest, dass die Voraussetzung, wonach die Ehe für ungültig erklärt werden muss, damit eine staatliche Ruhestandsrente ab dem für Personen des erworbenen Geschlechts geltenden gesetzlichen Rentenalter gewährt werden kann, nur auf Personen anwendbar ist, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen haben.

Folglich wird nach der streitigen britischen Regelung eine Person, die sich nach ihrer Eheschließung einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat, weniger günstig behandelt als eine Person, die ihr bei der Geburt eingetragenes Geschlecht beibehalten hat und verheiratet ist.

Vergleichbarkeit bejaht

Der Gerichtshof kommt in Anbetracht des Gegenstands und der Voraussetzungen für die Gewährung der britischen Ruhestandsrente zu dem Schluss, dass die Situation einer Person, die sich nach ihrer Eheschließung einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat, mit der einer verheirateten Person vergleichbar ist, die ihr bei der Geburt eingetragenes Geschlecht beibehalten hat.

Das Ziel der Voraussetzung der Ungültigerklärung der Ehe (das darin besteht, gleichgeschlechtliche Ehen zu verhindern) hat mit dem System der Ruhestandsrente nichts zu tun. Folglich ändert dieses Ziel nichts daran, dass in Anbetracht des Gegenstands und der Voraussetzungen für die Gewährung der Rente die Situation der beiden genannten Personenkategorien vergleichbar ist.

Britisches Recht erkennt mittlerweile gleichgeschlechtliche Ehe an

MB hatte insofern Pech, als das Gesetz zu der Zeit, als sie in Rente gehen wollte, eine unüberwindliche Hürde aufstellte: Sie hätte eine Bescheinigung über ihre Geschlechtsumwandlung gebraucht, um in den Genuss der frühen Rente für Frauen zu kommen, jedoch wurde eine solche Bescheinigung erst nach Auflösung der Ehe ausgestellt. Die Rechtslage im Vereinigten Königreich hat sich in der Zwischenzeit geändert. Das Gesetz von 2013 über die gleichgeschlechtliche Ehe (Marriage [Same Sex Couples] Act 2013) trat am 10. Dezember 2014 in Kraft und erlaubt gleichgeschlechtlichen Paaren mittlerweile die Eheschließung. Sein Schedule 5 änderte Section 4 des Gesetzes von 2004 über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit (Gender Recognition Act 2004): Die Ausschüsse für die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit müssen nunmehr jedem verheirateten Antragsteller eine vollständige Bescheinigung über die Anerkennung der neuen Geschlechtszugehörigkeit erteilen, wenn dessen Ehepartner zustimmt.

Andererseits hatte sie auch Glück, denn die günstigere Rentenaltersregelung für Frauen läuft aus. Das Renteneintrittsalter von 60 galt nur noch für vor dem 6. April 1950 geborene Frauen. Das Renteneintrittsalter wird ähnlich wie in Deutschland sukzessive angehoben. Für im Januar 1961 Geborene beispielsweise, seien sie Mann oder Frau, ist es zur Zeit 66 Jahre und 10 Monate.

Autor:

Torsten Walter, LL.M. (Leicester), DGB Bundesvorstand, Abteilung Recht

Quelle

EuGH (26.06.2018)
Aktenzeichen C-451/16 (MB / Secretary of State for Work and Pensions)
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