Virtuelle Betriebsratsarbeit

»Ein Wir-Gefühl im Betrieb lässt sich so nicht erzeugen«

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Quelle: pixabay

Die Pandemie ist nicht vorbei. Die Ausnahmeregelungen im BetrVG laufen in Kürze ab. Wie geht es dann mit den digitalen Betriebsratssitzungen und den Versammlungen weiter? Dr. Johanna Wenckebach, wissenschaftliche Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht (HSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, fand es wichtig, dass der Gesetzgeber Betriebsräten während des Lockdowns digitale Sitzungen ermöglicht hat. Auf die Dauer hält sie Präsenz im Betrieb aber für unverzichtbar.

1. Wie ist Ihre Einschätzung zu digitalen Betriebsratssitzungen?

Es war gut und wichtig, dass während des Lockdowns ermöglicht wurde, Gesundheitsschutz und betriebliche Interessenvertretung zu vereinbaren.

Aber dieser Ausnahmezustand ist ja zum Glück nicht die Realität und aus der Erleichterung über die Möglichkeit, in Pandemiezeiten auf Präsenztermine verzichten zu können, kann nicht geschlossen werden, dass alle begeistert von virtueller Betriebsratsarbeit waren und darin die Zukunft sehen. Wir beginnen jetzt erst damit, die Betriebsrätinnen und Betriebsräte dazu zu befragen, wie es ihnen mit den digitalen Sitzungen und Beschlussfassungen ergangen ist. Ich höre die Forderung der Arbeitgeberseite nach einem Ausbau der für die Pandemie geschaffenen Sonderregeln und mache mir Sorgen, ob es in Wirklichkeit um die Schaffung von »Mitbestimmung light« und Kostenersparnis geht, nicht um bestmögliche Interessenvertretung der Beschäftigten und gut funktionierende Gremien. Die Antwort auf die Frage, was gute digitale Betriebsratsarbeit ist, lässt sich nicht vom Zaun brechen. Erst Recht nicht aufgrund der Erfahrungen in diesen letzten, außergewöhnlichen Monaten.

2. Was sind Vorteile/Was sind Nachteile?

Wenn Fahrtzeiten wegfallen, spart das ohne Zweifel Zeit – die auch bei Betriebsräten ganz sicher ein knappes Gut ist – und Geld. Das schont auch die Umwelt. Auch Betriebsratsarbeit sollte sich digitale Technik zunutze machen können, wo dies die Bedingungen für Interessenvertretung verbessert.

Aber wir reden hier über vertrauliche Zusammenarbeit, über soziale und demokratische Prozesse, die ja nicht ohne Grund gesetzlich geschützt sind. Ich persönlich kann sagen, dass ich den Unterschied zwischen Austausch auf digitalem Wege und persönlichen Treffen riesig finde – gerade, wenn strittige Themen diskutiert werden. Was die soziale Dimension (ausschließlich) virtueller Kommunikation angeht, wissen wir noch zu wenig darüber, wie sich das auswirkt. Ich denke, für vertrauensvolle Zusammenarbeit und demokratische Meinungsfindung ist direkter Austausch unverzichtbar. Zumal die Zahl an Betrieben, in denen Betriebsräte aktiv bekämpft werden, leider größer wird. Gerade in solchen Betrieben, wo Mitbestimmung nicht gelebt sondern nach Möglichkeit behindert wird, sehe ich Risiken: Wer eigentlich gar keinen Betriebsrat haben will, hat vermutlich am liebsten noch einen, der nur im Homeoffice ist und nicht vor Ort. Aber überall gilt doch: Um erfolgreich zu sein, müssen Betriebsräte als Ansprechpartner der Beschäftigten vor Ort sein, im Betrieb, ihrem Handlungsfeld, bei ihren Wählerinnen und Wählern. Präsenz bleibt deshalb meiner Meinung nach sehr wichtig.

3. Wie konnten Betriebsräte den Datenschutz und die Nichtöffentlichkeit sicher stellen?

Die verwendeten Systeme mussten genau geprüft werden. Es sind ja auch hier im Bund-Verlag sehr hilfreiche Hinweise erschienen dazu, wie Abläufe gestaltet werden sollten, aber: Sicherheit, dass die Personen an Endgeräten alleine im Raum sind und sich an die nötigen Absprachen zur Vertraulichkeit halten, gibt es eben leider nicht. In Betrieben, wo Mitbestimmung bekämpft wird, halte ich das für ein Risiko virtueller Betriebsratsarbeit.

4. Sind virtuelle Sitzungen auf GBR-/KBR-Ebene eher als erforderlich zu bewerten als auf BR-Ebene?

Natürlich ist bei GBR- und KBR Sitzungen oft der Aufwand für persönliche Treffen größer, weil Wege in der Regel weiter sind und Menschen aus verschiedenen Himmelsrichtungen zusammengebracht werden müssen. Aber gerade weil Kolleginnen und Kollegen auf dieser Ebene eher selten zusammen kommen, sind persönliche Treffen wichtig, um eine vertrauensvolle Arbeitsebene entwickeln zu können. Da geht es doch auch um Beziehungsarbeit, Teambuilding. Eine Digitalisierung der Betriebsratsarbeit darf nicht dazu führen, dass Gremien z.B. aus Kostengründen daran gehindert werden, persönlich zusammen zu kommen.

5. Wie sind Ihre Einschätzungen zu virtuellen Betriebsversammlungen?

Diese Versammlungen sollen eigentlich Austausch und Diskussion ermöglichen. Hier geht es auch um Stimmungen, Zwischentöne. Auch sind Betriebsversammlungen Orte, um mit Beschäftigten über Gewerkschaftsthemen im direkten Kontakt zu sein. Ich kenne aus der Praxis viele interaktive Formate und Aktionen. All dies ist wichtig für Demokratie und Gewerkschaftsrechte im Betrieb und ich sehe nicht, dass virtuelle Formate das annähernd gleichwertig bieten können, wie ein echtes Zusammenkommen. Über einen Bildschirm können sicher Informationen übermittelt werden, aber ein »Wir-Gefühl« im Betrieb lässt sich so nicht erzeugen. Für Mitbestimmung und Gewerkschaftsrechte ist das aber unverzichtbar. Allerdings gilt das aus meiner Sicht ebenso für ein erfolgreiches Unternehmen aus Arbeitgebersicht.

6. Wie wird dort das Thema der Nichtöffentlichkeit (Aufzeichnungsverbot) sichergestellt?

Ich habe Zweifel, ob sich das wirklich sicherstellen lässt.

7. Wünschen Sie sich in irgendeiner Form für die Zukunft gesetzliche Regelungen für digitale Sitzungen oder Versammlungen?

Die geltenden Grundsätze zur Nichtöffentlichkeit und dem Grundsatz von Beschlüssen in Präsenz sind gut und wichtig. Änderungen braucht es in Sachen gewerkschaftlicher Zugangsrechte. Betriebe, die sich im Wesentlichen in den digitalen Raum verlagert haben, sind keine Zukunftsvision sondern bereits Realität. Schwarze Bretter oder eine Kantine zum Flyer verteilen gibt es dann nicht mehr. Es muss gesetzlich sichergestellt werden, dass Interessenvertretungen auf demselben Wege mit den Beschäftigten kommunizieren können, wie die Arbeitgeber dies tun: per App, Mail und sms. Dort, wo es keinen physischen Ort zum Austausch mehr gibt, muss der Gesetzgeber Gewerkschaften und Betriebsräten digitale Zugangsrechte sichern. Das ist aus meiner Sicht Zukunftssicherung der Interessenvertretung.

Die Interviewpartnerin

Dr. Johanna Wenckebach, wissenschaftliche Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht (HSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Zuvor u.a. Tarifjuristin der IG Metall. Zahlreiche Veröffentlichungen im Arbeits- und Sozialrecht.

Lesetipp:

Ein Interview zur virtuellen Betriebsratsarbeit mit Kerstin Jerchel, Leiterin des Bereichs Mitbestimmung bei ver.di, lesen Sie hier.

Ein Interview zur virtuellen Betriebsratsarbeit mit Isabel Eder, Leiterin der Abteilung Mitbestimmung/Betriebsverfassung, Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), lesen Sie hier.

© bund-verlag.de (fro)

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