Schwerbehinderung

Entschädigung für unterbliebenes Vorstellungsgespräch

24. Januar 2020
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Quelle: © Doris Heinrichs / Foto Dollar Club

Wer sich als schwerbehinderter Mensch bei einem öffentlichen Arbeitgeber bewirbt, hat zumindest Anspruch auf ein Vorstellungsgespräch, wenn er für die Stelle nicht offensichtlich ungeeignet ist. Bleibt die Einladung trotz korrekter Bewerbung aus, kann dies einen Anspruch auf Entschädigung begründen – so das Bundesarbeitsgericht.

Der Kläger bewarb sich Anfang August 2015 per E-Mail auf eine Stelle für den Gerichtsvollzieherdienst im Oberlandesgerichtsbezirk Köln. Die Bewerbung war mit dem deutlichen Hinweis auf seinen Grad der Behinderung (GdB) von 30 und seine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen versehen.

Der Bewerber wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, obwohl er fachlich für die Stelle nicht offensichtlich ungeeignet war. Daraufhin erhob er Klage auf eine Entschädigung gegen das Land Nordrhein-Westfalen.

Im Prozess machte das Land geltend, die Bewerbung des Klägers sei aufgrund eines schnell überlaufenden Outlook-Postfachs und wegen ungenauer Absprachen unter den befassten Mitarbeitern nicht in den Geschäftsgang gelangt. Schon aus diesem Grund sei der Kläger nicht wegen der (Schwer)Behinderung bzw. Gleichstellung benachteiligt worden.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger eine Entschädigung iHv. 3.717,30 Euro wegen einer Beachteiligung nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zugesprochen (LAG Köln, 23.8.2018 - 6 Sa 147/18).

Das sagt das BAG

Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied zugunsten des Klägers. Der Bewerber habe Anspruch auf eine Entschädigung aus § 15 Abs. 2 AGG in der zugesprochenen Höhe.

Das Land hätte den Kläger nach Zugang von dessen Bewerbung zu einem Vorstellungsespräch einladen müssen (§ 165 SGB IX; bis 31.12.2017: § 82 Satz 2 SGB IX).  Das Unterbleiben dieser Einladung begründet nach Auffassung des BAG die Vermutung, dass der Kläger wegen seiner Gleichstellung mit einer schwerbehinderten Person benachteiligt wurde.

Das beklagte Land hat diese Vermutung nicht widerlegt. Das Land konnte sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Bewerbung sei nicht in den Geschäftsgang gelangt, oder .dass den zuständigen Stellen trotz Zugangs der Bewerbung ausnahmsweise eine tatsächliche Kenntnisnahme nicht möglich war. Auch die Höhe der Entschädigung war im Ergebnis nicht zu beanstanden, entschied das BAG.

Hinweise für die Praxis

Geht dem öffentlichen Arbeitgeber die Bewerbung einer fachlich nicht offensichtlich ungeeigneten schwerbehinderten oder dieser gleichgestellten Person zu, muss er diese zu einem Vorstellungsgespräch einladen (§ 165 Satz 2 SGB IX).  

Ein Entschädigungsanspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat allerdings noch weitere Voraussetzungen. Das AGG soll Benachteiligungen aufgrund bestimmter persönlicher Merkmale bekämpfen, z. B. aufgrund einer Behinderung. Deshalb sanktioniert das Gesetz eine gerichtlich festgestellte Benachteiligung mit Ansprüchen auf Schadenersatz und Entschädigung (§ 15 AGG).

Das Unterlassen der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch ist vorerst nur ein Indiz für eine Benachteiligung aufgrund der Behinderung. Das Indiz kann aber die Vermutung begründen, dass der/die Bewerber/in wegen seiner/ihrer Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung nicht eingestellt wurde (§ 22 AGG).

Diese Vermutung kann der Arbeitgeber widerlegen – allerdings nicht durch den allgemeinen Verweis auf ein überfülltes E-Mail-Postfach oder die Überlastung von Sachbearbeitern.

Die Entschädigung eines abgelehnten Stellenbewerbers, der im Sinne des AGG benachteiligt wurde, ist in der Regel auf drei Monatsgehälter beschränkt (§ 15 Abs. 2 AGG). Ein Anspruch auf Einstellung oder Beförderung ergibt sich aber auch bei einer festgestellten Benachteiligung nicht (§ 15 Abs. 6 SGB IX).

© bund-verlag.de (ck)

Quelle

BAG (23.01.2020)
Aktenzeichen 8 AZR 484/18
BAG, Pressemitteilung vom 23.1.2020
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