Arbeitszeit

Arbeitszeit: »Arbeitnehmer müssen garantierte Freizeiten haben«

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Durch die Digitalisierung sind Arbeitnehmer heute ständig erreichbar. Wie lassen sich da Ruhezeiten überhaupt noch einhalten? Was sind die wichtigsten Punkte bei der Arbeitszeit, auf die Betriebsräte achten sollten? Rudolf Buschmann, Autor unseres neuen »Kompaktkommentars zum Arbeitszeitrecht«, gibt Antworten.

Arbeitszeitrecht ist stark durch das Europarecht geprägt. Was waren die brisantesten Entscheidungen des EuGH zur Arbeitszeit in den letzten Monaten?

Europarecht existiert auf verschiedenen Ebenen. Alle sind von Bedeutung: Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta formuliert das Grundrecht auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub. Dazu gibt es eine allgemeine und diverse sektorale Arbeitszeitrichtlinien. Gerade hat der EuGH entschieden, dass sich Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber unmittelbar auf dieses Grundrecht berufen können. Um seine Einhaltung zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten, ein verlässlicher System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit einzurichten, also nicht nur der Überstunden. Das gilt auch für Teilzeitbeschäftigte.

Wichtig auch das aktuelle Urteil zu den Bezugszeiträumen für die Berechnung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit. Nach Europarecht sind dies maximal 4 Monate, die auch durch geschickte Aneinanderreihung nicht verlängert werden dürfen. Damit ist eine alte Streitfrage im Arbeitszeitgesetz endgültig geklärt.

Durch die Digitalisierung sind Arbeitnehmer heute ständig erreichbar. Wie lassen sich da Ruhezeiten überhaupt noch einhalten?

Arbeitnehmer müssen nicht ständig erreichbar sein. Mit 8, maximal 10 Stunden am Tag ist die Arbeitsverpflichtung erschöpft. Weitere Erreichbarkeit gibt es dann nur bei förmlicher betrieblicher Vereinbarung von besonderen Bereitschaftsformen, die im »Kompaktkommentars zum Arbeitszeitrecht« beschrieben werden. Diese sind auf ein Minimum zu beschränken.

In Frankreich gibt es ein besonderes gesetzliches Recht auf Nichterreichbarkeit. Aber auch das Arbeitszeitgesetz lässt sich in diesem Sinne interpretieren. Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen Ruhezeitverkürzungen unmittelbar folgende Ausgleichsruhezeiten nach sich ziehen. Da hat Deutschland noch Anpassungsbedarf. Und das belegt die Notwendigkeit der Dokumentationspflicht.

Was sind die wichtigsten Punkte bei der Arbeitszeit, auf die Interessenvertretungen achten sollten?

Die Arbeitnehmer müssen vor allem garantierte Freizeiten haben. Diese müssen sich aus den betrieblichen Regelungen selbst ergeben und dürfen nicht ins Ermessen des Arbeitgebers gestellt werden. Vorsicht ist bei allen Systemen von Vertrauensarbeitszeit geboten, bei denen Arbeitszeiten offiziell nicht erfasst und statt dessen Zielvereinbarungen getroffen werden. Nach der europäischen Rechtsprechung sind Abweichungen von den gesetzlichen Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten auf das unbedingt Notwendige zu beschränken. Das gilt auch für Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft und Abrufarbeit. Und vergesst nicht die Teilzeitbeschäftigten!

Der Interviewpartner:

Rudolf Buschmann, Jurist, Gewerkschaftliches Centrum für Revision und Europäisches Recht, Lehrbeauftragter für (europäisches) Arbeitsrecht, Universität Kassel, langjähriger verantwortlicher Redakteur der Fachzeitschrift »Arbeit und Recht« und ehrenamtlicher Richter am BAG.

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