Aus »Der Personalrat«

Frustfaktor Demokratie

27. November 2019
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Quelle: Robert Kneschke_Dollarphotoclub

Heinz Stapf-Finé, Professor für Sozialpolitik an der Alice Salomon Hochschule Berlin, hat am Beispiel Marzahn-Hellersdorf Ursachen für Demokratiedistanz untersucht. Er erklärt in der Fachzeitschrift »Der Personalrat« 11/2019, was Politik und Verwaltung nun erledigen müssen.

Sie schreiben im Abschlussbericht Ihrer Studie, dass der Politik der Vorteil von Partizipation klar werden muss. Wie kann das aussehen?

Demokratie lebt von der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, gegenwärtig erleben wir jedoch vermehrt Anzeichen dafür, dass Menschen sich enttäuscht von der Demokratie abwenden, nicht zuletzt, weil wichtige soziale Sicherungsversprechen für viele Menschen nicht eingehalten worden sind. Daher regen wir an, auf kommunaler Ebene die repräsentative Demokratie durch vielfältige Formen partizipativer Demokratie zu ergänzen. Von einer solchen Stärkung wird nicht zuletzt die Politik profitieren. Sie plädieren für mehr »Geh-Strukturen« anstelle von »Komm-Strukturen«. 

Was ist darunter zu verstehen?

Wir haben bei unseren Untersuchungen die Erfahrung gemacht, dass die Menschen gleichsam darauf warten, dass Ihre Meinung gehört wird, es aber Hürden gibt, selbst aktiv zu werden. Daher regen wir an, dass aufsuchende Formen politischer Ar- beit erprobt werden, von Bürgersprechstunden über Stadtteilkonferenzen und Hausbesuche bis hin zu digitalen Formen der Beteiligung. Wie ist es um die Digitalisierung der Verwaltung bestellt? Das ist ein weites Feld. Wichtig wäre, dass die Angebote verständlich und übersichtlich sind und dass Angebote der aktiven Mitwirkung auf einem gemeinsamen Auftritt gebündelt werden. In Barcelona hat man gute Erfahrungen damit gemacht, ältere Menschen zu beteiligen, indem ihnen die Stadt ein Tablet zur Verfügung stellt. Die Menschen berichten, dass sie damit stärker am sozialen Leben teilnehmen können. 

Sind Ihre Ergebnisse der Demokratiestudie in Marzahn-Hellersdorf auf die Verwaltung anderer Kommunen übertragbar?

Prinzipiell kann das Verfahren sozialräumlicher Demokratieentwicklung überall angewendet werden; es geht darum, den Menschen die Erfahrung von Selbstwirksamkeit zu geben. Hierzu ist das Umfeld des Stadtteils beziehungsweise der Kommune am besten geeignet. 

Welche Erkenntnisse können Interessenvertreter wie Personalräte aus der Studie ziehen?

Gewerkschafter und Interessenvertreter könnten sich künftig stärker in Prozesse sozialräumlicher Demokratieentwicklung einbringen, um die Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft voranzutreiben. Dies ist umso wichtiger, da der Organisationsgrad in manchen Branchen gering ist und Tarifflucht ein zunehmendes Problem wird. Somit muss klassische Gewerkschaftsarbeit durch neue Formen ergänzt werden.

© bund-verlag.de (mst)

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