Betriebsrat

Kein Nachrücken in die Freistellung

05. November 2019
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Quelle: © Marco2811 / Foto Dollar Club

Wer für ein ausscheidendes Mitglied in den Betriebsrat nachrückt, »erbt« nicht automatisch die Freistellung seines Vorgängers. Nur bei einer Verhältniswahl steht die Reihenfolge fest. Sonst entscheidet das Gremium in einer eigenen Abstimmung, wer freigestellt wird. Von Margit Körlings.

Darum geht es:

Der Betriebsrat besteht aus elf Mitgliedern. Dem Gremium stehen zwei Freistellungen zu. Bei der Wahl der freizustellenden Mitglieder beteiligen sich zwei Listen mit jeweils zwei Kandidaten. Die Liste 1 erhält sieben Stimmen, die Liste 2 erhält drei Stimmen. Nach dem Grundsatz der Verhältniswahl werden die beiden Kandidaten der Liste 1 freigestellt.

Am 25.2.2015 scheidet eins der freigestellten Mitglieder aus dem Betriebsrat aus. Am 3.3.2015 wählt der Betriebsrat im Wege der Mehrheitswahl ein ersatzweise freizustellendes Mitglied mit sechs Stimmen bei drei Gegenstimmen. Damit ist ein Mitglied des Betriebsrats von Liste 2 nicht einverstanden und klagt gegen die Freistellungswahl.

Stichwort: Wahlanfechtung

Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) kann eine Wahl angefochten werden, wenn bei der Wahl gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde, es sei denn, der Verstoß konnte das Wahlergebnis nicht beeinflussen (§ 19 BetrVG). Dies gilt in entsprechender Anwendung auch für die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder (BAG 20.04.2005 – 7 ABR 47/04). Die Anfechtung der Wahl muss innerhalb von zwei Wochen nach der Wahl erfolgen (§ 19 Absatz 2 BetrVG).

Stichwort: Freistellungswahl

Die Zahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder regelt § 38 Abs. 1 BetrVG. Mit dem Gesetzeswortlaut »sind mindestens freizustellen« ist davon auszugehen, dass die Freistellung für die gesamte Amtszeit erfolgen soll. Das Gremium wählt die Freigestellten nach Beratung mit dem Arbeitgeber aus seiner Mitte in geheimer Wahl. Die Wahl erfolgt als Verhältniswahl, wenn es mehr als einen Wahlvorschlag gibt (§ 38 Abs. 2 BetrVG). Allerdings gibt es eine Regelungslücke im Gesetz: Was passiert, wenn ein freigestelltes Betriebsratsmitglied aus dem Gremium ausscheidet, ist nicht geregelt.

Das sagt das BAG:

Das BAG wies die Wahlanfechtung des übergangenen Betriebsratsmitglieds zurück. Die Nachwahl des freizustellenden Betriebsratsmitglieds sei rechtmäßig verlaufen. Für diese Nachwahl stellt das BAG einige Grundsätze auf:

  • Sind die freigestellten Betriebsratsmitglieder per Verhältniswahl gewählt worden, rückt das ersatzweise freizustellende Mitglied derjenigen von derjenigen Vorschlagsliste nach, der auch das ausscheidende Mitglied angehört hat. Dies ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 25 Absatz 2 Satz 1 BetrVG (BAG 25.04.2001 – 7 ABR 26/00).
  • Ist allerdings wie im hier entschiedenen Fall, diese Liste erschöpft, soll – so das BAG – das Ersatzmitglied nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl zu wählen sein. Das bedeutet, die einfache Stimmenmehrheit genügt.

Die von vielen vertretene Meinung, der Ersatzkandidat sei wie bei der Betriebsratswahl der Vorschlagsliste zu entnehmen, auf die bei der ursprünglichen Freistellungswahl die nächste Höchstzahl entfallen wäre (§ 25 Absatz 2 Satz 2 BetrVG analog), lehnt das BAG ab.

Hinweis für die Praxis

Mit seiner Auslegung von § 38 Abs. 2 BetrVG nimmt das BAG in Kauf, dass der Minderheitenschutz der kleineren Listen zurücktritt. Ist die ursprüngliche Liste der Kandidaten für die Freistellung erschöpft, kann der Betriebsrat über jede Ersatzfreistellung per Mehrheitswahl abstimmen.

Einstimmig muss die Wahl nicht sein. Es könnte ansonsten die Folge eintreten, dass keine ersatzweise Freistellung erfolgt. Auch eine Dreiviertelmehrheit wie bei der Abberufung eines freigestellten Betriebsratsmitgliedes ist nicht erforderlich (§ 38 Abs. 2 Satz 8, § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG).

Schutz freigestellter Betriebsratsmitglieder

Das Gehalt eines freigestellten Betriebsratsmitgliedes muss sich entsprechend demjenigen vergleichbarer Arbeitnehmer ohne Freistellung entwickeln. Dies gilt auch für die Teilnahme an beruflichen Fortbildungen und Schulungen. Betriebsratsmitglieder dürfen während ihrer Amtszeit und ein Jahr danach im Hinblick auf Arbeitsentgelt einschließlich aller Zuwendungen sowie der zugewiesenen beruflichen Tätigkeit nicht schlechter gestellt werden als vergleichbare Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung (§ 37 Absatz 4 und 5 BetrVG). Die Darlegungs- und Beweislast liegt allerdings beim freigestellten Betriebsratsmitglied.

Urlaub und Elternzeit in der Freistellung

Auch freigestellte Betriebsratsmitglieder müssen Urlaub beim Vorgesetzten beantragen. Insoweit erfolgt keine Unterscheidung zu den nicht freigestellten Betriebsratsmitgliedern. Bei der Elternzeit ist ein Betriebsratsmitglied zeitweise verhindert. Es kommt daher zum Nachrücken. Es sei denn das Betriebsratsmitglied erklärt ausdrücklich, an den Sitzungen auch während der Elternzeit teilzunehmen. In diesem Fall unterbleibt ein Nachrücken.

Margit Körlings, DGB Rechtsschutz GmbH.

Quelle

BAG (21.02.2018)
Aktenzeichen 7 ABR 54/16
Diese Entscheidungsbesprechung ist Teil des Newsletters AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat vom 6.11.2019.
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