Betriebsratswahl

Keine Briefwahl ohne Wahlvorstands-Beschluss

23. Juli 2021
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Quelle: © Gina Sanders / Foto Dollar Club

Verstöße gegen Wahlvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes und der Wahlordnung haben nur dann die Nichtigkeit der Wahl zur Folge, wenn jeder Verstoß für sich genommen so schwerwiegend ist, dass der Anschein einer gesetzeskonformen Wahl nicht mehr vorliegt.

Das war der Fall

Für den Regionalbereich eines Konzerns hatte der vom bisherigen Betriebsrat eingesetzte Wahlvorstand ein Wahlausschreiben zur Betriebsratswahl herausgegeben. 38 wahlberechtigte Mitarbeiter beantragten die Briefwahl, für die sie die Unterlagen erhielten – allerdings ohne vorherigen Beschluss des Wahlvorstandes. Nachdem drei dieser Mitarbeiter trotz eingereichter Briefwahlunterlagen an der Urnenwahl teilgenommen hatten, beschloss der Wahlvorstand, die übrigen 35 Briefwahlstimmen nicht zur Wahl zuzulassen, und stellte schließlich das Wahlergebnis ohne diese Stimmen fest. Die Antragsteller haben die Betriebsratswahl angefochten. Das Arbeitsgericht hat die Betriebsratswahl für nichtig erklärt.

Das sagt das Gericht

Die Betriebsratswahl ist nicht nichtig. Dafür wäre ein offensichtlich und besonders grober Verstoß gegen Wahlvorschriften erforderlich. Zwar liegt ein Verstoß gegen § 24 Abs. 1 WahlO Betriebsverfassungsgesetz vor, da eine Beschlussfassung des Wahlvorstands über die einzelnen Anträge der Wahlberechtigten auf Zulassung zur Briefwahl fehlt. Dieser Verstoß genügt laut LAG Hessen jedoch nicht für die Nichtigkeit der Wahl. Der Fehler im Verfahren hat deren Anfechtbarkeit zur Folge.

Zum einen durften die Briefwahlstimmen nach Auszählung der im Wahllokal bei der Urnenwahl abgegebenen Stimmen nicht mehr berücksichtigt werden, § 26 Abs. 1 WahlO. Auch die weiteren gerügten Verstöße wie die seitens des Wahlvorstands vorgenommene Druckausübung auf die Wahlberechtigten und die (streitigen) Mängel am Wahltag, insbesondere die differierende Zahl der Wahlumschläge in der Wahlurne im Verhältnis zur Wählerliste, führen nur zur Anfechtbarkeit der Wahl.

Wahl nicht nichtig, aber unwirksam

Die Betriebsratswahl ist jedoch nach § 19 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Aufgrund des Rechtsirrtums des Wahlvorstandes hinsichtlich der erforderlichen Beschlussfassung für die Zulassung der Briefwahl konnte das Wahlergebnis negativ beeinflusst werden. Hätte der Wahlvorstand ordnungsgemäß gehandelt, hätten die abgegebenen 35 Briefwahlstimmen berücksichtigt werden können und wären geeignet gewesen, dass festgestellte Wahlergebnis zu beeinflussen, was sich aus der Stimmenanzahl ergibt: Auf die Vorschlagsliste 1 entfielen 84 Stimmen und auf die Vorschlagsliste 2 52 Stimmen.

Das muss der Betriebsrat wissen

Die Einhaltung der Vorgaben zur Betriebsratswahl und zur Wahlvorbereitung sind genauestens zu prüfen, damit – wie hier – die Betriebsratswahl nicht gekippt werden kann. Die Nichtigkeit der Wahl ist eine Ausnahme, die nur unter den im Beschluss genannten strengen Kriterien denkbar ist. Anders die Anfechtbarkeit. Daher ist größte Sorgfalt oberstes Gebot – und bei Unsicherheiten unbedingt genaustens zu überprüfen, ob sich Fehler eingeschlichen haben.

Wichtig: Zwischenzeitlich aus dem Unternehmen ausgeschiedene Beschäftigte verlieren ihre Anfechtungsberechtigung. Daher ist vor einer gerichtlichen Überprüfung die tatsächliche Anzahl von drei Anfechtungsberechtigten nach § 19 Abs. 2 S. 1 BetrVG unbedingt zu prüfen.

© bund-verlag.de (mst)

Quelle

Hessisches LAG (27.01.2020)
Aktenzeichen 16 TaBV 48/19
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