Einigungsstelle

Keine Einigungsstelle bei nachwirkender Betriebsvereinbarung

07. August 2018 Mitbestimmung, Einigungsstelle
Dollarphotoclub_38678589_160503
Quelle: © Gina Sanders / Foto Dollar Club

Bei einem Verstoß des Arbeitgebers gegen eine nachwirkende Betriebsvereinbarung ist ein Einigungsstellenverfahren unzulässig. Eine betriebliche Regelung über die Zuständigkeit der Einigungsstelle wirkt nur dann nach, wenn die Nachwirkung ausdrücklich vereinbart wurde. Von Matthias Beckmann.

In diesem Verfahren stritten Arbeitgeber und Betriebsrat um die Einsetzung einer Einigungsstelle.

Die Beteiligten hatten im Jahr 2010 eine Betriebsvereinbarung zur Einführung und zum Betrieb eines Zeiterfassungssystems abgeschlossen. Darin war unter anderem geregelt, dass das System nicht für eine Verhaltens- und Leistungskontrolle der Beschäftigten genutzt werden dürfe.

Für Streitfälle war eine betriebliche Schlichtung vorgesehen. Im Falle des Scheiterns der Schlichtung, sollte die Einigungsstelle angerufen werden dürfen.

Der Arbeitgeber hatte diese Betriebsvereinbarung allerdings schon seit längerem gekündigt.

Verhaltenskontrolle trotz Verbot

Der Betriebsrat warf nun dem Arbeitgeber vor, auf der Grundlage der durch die Zeiterfassung gewonnenen Erkenntnisse eine Leistungs- und Verhaltenskontrolle gegenüber einem konkreten Beschäftigten durchgeführt zu haben.

Der Arbeitgeber hatte diesem Beschäftigten schriftlich das vorzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes vorgeworfen.

Nachdem die innerbetriebliche Schlichtung gescheitert war, hat der Betriebsrat beim Arbeitsgericht die Einrichtung der Einigungsstelle beantragt.

Einigungsstelle offensichtlich unzuständig

Der Antrag des Betriebsrates blieb indes erfolglos. Sowohl Arbeitsgericht als auch Landesarbeitsgericht wiesen den Antrag mit der Begründung zurück, dass die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig sei.

Die Einigungsstelle ist ein Organ der Betriebsverfassung (§ 76 BetrVG) und hat die Funktion einer innerbetrieblichen Schlichtungsstelle.

Insbesondere im Bereich der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 2 BetrVG ist ein Einigungsstellenverfahren auch auf einseitigen Antrag erzwingbar.

Die streitige Einrichtung der Einigungsstelle scheitert aber dann, wenn sie offensichtlich unzuständig ist.

Betriebsvereinbarung wirkt nach

Vorliegend lag durchaus ein Fall der betrieblichen Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG vor. Danach hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht der Einführung von technischen Einrichtungen (Zeiterfassungssystem), die zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle geeignet sind.

Allerdings hatten die Betriebsparteien hierzu bereits eine verbindliche Regelung durch die Betriebsvereinbarung getroffen.

Da es sich dabei um eine erzwingbare Regelung handelte, wirkte die Vereinbarung trotz Kündigung des Arbeitgebers gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach. Dies gilt solange, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt wird.

Verstößt der Arbeitgeber gegen eine bestehende Regelung, kann ein solcher Verstoß aber nicht im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens durch den Betriebsrat gerügt werden. Der Betriebsrat muss dann vielmehr ein Beschlussverfahren einleiten, durch das dem Arbeitgeber aufgegeben wird, weitere Verstöße zu unterlassen.

Regelung über Zuständigkeit der Einigungsstelle wirkt nicht nach

Zwar war in der Betriebsvereinbarung darüber hinaus vorgesehen, dass in Streitfällen die Einigungsstelle angerufen werden könnte. Gerade diese Regelung war aber durch die Kündigung durch den Arbeitgeber beendet worden und befand sich nach Auffassung der Arbeitsgerichte auch nicht in der Nachwirkung.

Nachwirkung entfalten nur solche Regelungen, die Gegenstand der erzwingbaren Mitbestimmung sind. Auch wenn eine Betriebsvereinbarung im Wesentlichen Regelungen der erzwingbaren Mitbestimmung zum Gegenstand hat, wirken weitere Bestimmungen, die keinen Gegenstand der erzwingbaren Mitbestimmung regeln, nach der Beendigung nicht kraft Gesetzes nach. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

Etwas anderes würde allenfalls dann gelten, wenn die Nachwirkung ausdrücklich auch für diese Regelungen in der Betriebsvereinbarung vereinbart wurde.

Praxistipps

Das Beschlussverfahren ist für den Betriebsrat sicher unglücklich verlaufen. Unterstellt, dass der Verstoß der Arbeitgebers tatsächlich vorlag, wäre ein anderer Weg erfolgversprechender gewesen.

Eine Möglichkeit wäre es gewesen, ein Beschlussverfahren auf Unterlassen weiterer Verstöße gegen die nachwirkende Betriebsvereinbarung unter Androhung eines Zwangsgeldes einzuleiten.

Eine andere wäre es gewesen, eine Beschwerde im Sinne von § 85 BetrVG von dem betroffenen Beschäftigten aufzunehmen. Der Betriebsrat hätte dann durch Beschluss die Berechtigung der Beschwerde feststellen können. Sofern der Arbeitgeber dann nicht eingelenkt hätte, wäre die Anrufung der Einigungsstelle nach § 85 Abs. 2 BetrVG möglich gewesen.

Dessen ungeachtet muss natürlich der Arbeitnehmer auf individualrechtlicher Ebene unterstützt werden, um eine Kürzung seines Entgelts oder andere arbeitsrechtliche Maßnahmen abzuwehren.

Matthias Beckmann, DGB Rechtsschutz GmbH

Quelle

LAG Köln (09.04.2018)
Aktenzeichen 9 TaBV 8/18
Diese Entscheidungsbesprechung ist Teil des Newsletters AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat vom 8.8.2018.
AiB-Banner Viertel Quadratisch - Anzeige -

Das könnte Sie auch interessieren