Personalgespräch

Keine Pflichtteilnahme des Betriebsrats

15. April 2019
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Quelle: © Jeanette Dietl / Foto Dollar Club

Beim Vorwurf eines Fehlverhaltens führt der Arbeitgeber häufig ein Personalgespräch mit dem jeweiligen Arbeitnehmer. Eine Betriebsvereinbarung darf jedoch nicht die zwingende Teilnahme des Betriebsrats vorschreiben. Der Arbeitnehmer muss frei wählen können, ob und welches Betriebsratsmitglied er hinzuzieht. Von Matthias Beckmann.

Die Betriebsparteien hatten eine freiwillige Betriebsvereinbarung geschlossen. Darin war geregelt, dass der Betriebsrat zu disziplinarischen Gesprächen mit dem Arbeitnehmer grundsätzlich parallel einzuladen war. Auf ausdrücklichen Wunsch konnte der Arbeitnehmer auf die Teilnahme des Betriebsrates verzichten.

Einladungspflicht für Arbeitgeber

Der Arbeitgeber stellte die Beteiligung des Betriebsrats an diesen Gesprächen ein, weil er zu der Überzeugung gelangt war, dass die Regelung unwirksam sei. Der Betriebsrat leitete daraufhin ein Beschlussverfahren ein. Das BAG hat dem Arbeitgeber Recht gegeben. Der Betriebsrat könne trotz der vereinbarten Regelung nicht verlangen, an disziplinarischen Personalgesprächen grundsätzlich beteiligt zu werden. Die vereinbarte Regelung verstoße gegen die einschlägigen Vorschriften des BetrVG.

Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers missachtet

Nach § 75 Abs. 2 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Die verpflichtende Beteiligung des Betriebsrats in disziplinarischen Personalgesprächen verletzt diese Norm – so das BAG.

Der Arbeitnehmer könne im hiesigen Fall nicht selbst darüber entscheiden, ob und gegebenenfalls welches Betriebsratsmitglied von seinem angeblichen Fehlverhalten Kenntnis erlangt. Die Einladung des Betriebsrats hatte laut Betriebsvereinbarung parallel zur Aufforderung an den Arbeitnehmer zu erfolgen. Die dadurch bewirkte Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers sei nicht verhältnismäßig.

Recht zur Hinzuziehung des Betriebsrates aus BetrVG

Die im Interesse des Arbeitnehmers liegende Teilnahme des Betriebsrats am disziplinarischen Gespräch sei bereits dann gewährleistet, wenn er ein Recht zur Hinzuziehung des Betriebsrates habe. Dies sei auch gesetzlich vorgesehen in § 81 Abs. 4 Satz 3 BetrVG sowie in § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Nach der gesetzlichen Konstruktion kann der Arbeitnehmer entscheiden, ob und gegebenenfalls welches Betriebsratsmitglied er hinzuziehen möchte. Die Umkehrung der Initiativlast, wie in der vorliegenden Betriebsvereinbarung, übe unzulässigen Druck auf den Arbeitnehmer auf.

Nach der Betriebsvereinbarung waren die Betriebsparteien auch verpflichtet, im Streitfall eine paritätisch besetzte Kommission anzurufen. Dies sollte eine arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung vermeiden. Das hiesige Beschlussverfahren wurde ohne vorherige Anrufung der paritätischen Kommission geführt. Das BAG hat dies jedoch als unproblematisch angesehen. Die Regelung zur Streitschlichtung sei generell ungeeignet, da bei einer paritätischen Besetzung eine Pattsituation vorhersehbar sei. Die Regelung sei damit kein geeigneter Lösungsmechanismus. Der dauerhafte Ausschluss des Ganges zum Arbeitsgericht aber ist ein Verstoß gegen § 4 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG).

Praxishinweise

Der konkrete Praxisbezug dieser Entscheidung dürfte eher gering sein, da es wohl nur wenige freiwillige Betriebsvereinbarungen wie in der hiesigen Form gibt. Die Entscheidung zeigt aber, dass die Betriebsparteien nicht ohne weiteres von dem gesetzlichen Rahmen des BetrVG abweichen können. Schon in einer früheren Entscheidung aus dem Jahr 2012 hat das BAG festgestellt, dass die organisatorischen Bestimmungen des BetrVG grundsätzlich zweiseitig zwingend ausgestaltet sind. Abweichungen hiervon sind nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen zulässig. 

Ein genereller Anspruch des Arbeitnehmers darauf, bei jedem mit dem Arbeitgeber geführten Gespräch ein Betriebsratsmitglied hinzuzuziehen, folgt aus dem Betriebsverfassungsgesetz nicht. Es kommt nach den §§ 81 ff. BetrVG auf Anlass und Gegenstand des Gesprächs an.

Gespräch über Aufhebungsvertrag

Nach der Rechtsprechung des BAG kann der Arbeitnehmer auch bei Gesprächen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages Anspruch darauf haben, dass ihn ein Betriebsratsmitglied begleitet- wenn auch nicht in allen Fällen. Das BAG leitet diesen Anspruch aus § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG her (BAG 16.11.2004 – 1 ABR 53/03).

Das BAG nennt dafür die Voraussetzung, dass das Gespräch über den Aufhebungsvertrag überhaupt eins oder mehrere der im Gesetz genannten Themen zum Gegenstand hat. Dies sind die Beurteilung der Leistungen, das Berechnen des Arbeitsentgelts und die Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung im Betrieb. Einer oder mehrere dieser Aspekte dürften bei vielen Gesprächen über Aufhebungsverträge eine Rolle spielen (BAG 16.11.2004 – 1 ABR 53/03 - Rn. 27,28).

Matthias Beckmann, DGB Rechtsschutz GmbH

Quelle

BAG (11.12.2018)
Aktenzeichen 1 ABR 12/17
Diese Entscheidungsbesprechung erhalten Sie als Teil des Newsletters AiB Rechtsprechung für den Betriebsrat vom 17.4.2019.
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