Tarifvertrag

Tarifvertragliche Bestimmungen gelten ohne Bezug im Arbeitsvertrag

09. Juni 2020 Tarifvertrag
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Quelle: jonasginter_Dollarphotoclub

Bei beiderseitiger Tarifgebundenheit dürfen die Tarifvertragsparteien die Geltung tariflicher Ansprüche nicht zusätzlich von einer Bezugnahme im Arbeitsvertrag abhängig machen. Von Yuliya Zemlyankina.

Darum geht es:

Die zunächst nicht tarifgebundene Arbeitgeberin schloss 2015 mit der Gewerkschaft IG Metall einen Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrag. Dieser enthielt Regelungen, wonach die »Ansprüche aus diesem Tarifvertrag (voraus)setzen..,  dass die Einführung des Tarifwerks auch arbeitsvertraglich nachvollzogen wird.« Dazu sollten in die Arbeitsverträge Bezugnahmeklauseln aufgenommen werden, wonach sich das Arbeitsverhältnis »nach dem jeweils für den Betrieb aufgrund der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers ... geltenden Tarifwerk« richtet.

Eine Arbeitnehmerin, die Mitglied der IG Metall ist, nahm 2016 nicht das Angebot der Arbeitgeberin zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags mit einer Bezugnahmeklausel entsprechend der tariflichen Regelungen an. Sie klagte auf die tarifvertragliche Differenz zu ihrem Gehalt.

Das sagt das Gericht:

Tarifliche Bestimmungen brauchen keinen Bezug im Arbeitsvertrag

Mit Ihrer Klage auf Zahlung von Differenz entsprechend der Regelungen des Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrages hatte die Arbeitnehmerin Erfolg.

Liegt beiderseitige Tarifgebundenheit vor, so stehen dem Arbeitnehmer die Ansprüche aus dem Tarifvertrag zu. Diese können nicht mit einer Klausel nur für die Beschäftigten anerkannt werden, die ihre Arbeitsverträge entsprechend neu abgeschlossen haben.

Tarifliche Regelung war unwirksam

Die tarifliche Regelung, die eine »arbeitsvertragliche Nachvollziehung« verlangte, erklärte das BAG für unwirksam.

Die Unwirksamkeit begründet das BAG mit der Regelung des § 4 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG). Dieser regelt, dass die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen gelten, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. Eine solche Regelung verstößt auch gegen das in § 4 Abs. 3 TVG geregelte Günstigkeitsprinzip.

Das heißt, dass die Ansprüche aus dem Tarifvertrag nicht von einer individualrechtlichen Umsetzungsmaßnahme der Arbeitsvertragsparteien abhängig gemacht werden dürfen.

Überschreiten der Regelungsmacht

Aus diesem Grund waren die tarifvertraglichen Regelungen, die eine arbeitsvertragliche Nachvollziehung verlangten, unwirksam. Sie liegen eindeutig außerhalb der tariflichen Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien.

Praxistipp:

Nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) soll der Betriebsrat darüber wachen, dass alle zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetzte, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Dabei hat er die Aufgabe, zu überprüfen und sicherzustellen, dass diese tatsächlich eingehalten und umgesetzt werden.

Anders als Tarifverträge sind die Arbeitsverträge in § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht explizit genannt. Deshalb hat der Betriebsrat diesbezüglich ein eingeschränktes Überwachungsrecht und kann die individuelle Vertragsgestaltung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer und deren Einhaltung nicht kontrollieren. Der Betriebsrat kann jedoch vom Arbeitgeber die Vorlage der von diesem verwendeten Formulararbeitsverträge verlangen und die darin enthaltenen Vereinbarungen auf ihre rechtliche Zulässigkeit überprüfen.

Stellt er Verstöße fest, muss er die betroffenen Arbeitnehmer informieren. In dem vorliegenden Fall hätte der Betriebsrat die Arbeitgeberin und die beteiligten Arbeitnehmer darauf hinweisen sollen, dass den tarifgebundenen Gewerkschaftsmitgliedern die Ansprüche auch ohne Umsetzung in den Arbeitsverträgen zustehen.

Yuliya Zemlyankina, DGB Rechtsschutz GmbH

Quelle

BAG (13.05.2020)
Aktenzeichen 4 AZR 489/19
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