Lohn und Gehalt

Anspruch auf Insolvenzgeld

06. Juni 2023
Pleite Insolvenz Bankrott Zahlungsunfähigkeit
Quelle: www.pixabay.com/de

Folgen bei einem Unternehmen mehrere Insolvenzereignisse aufeinander, ist für den Insolvenzgeldanspruch das zeitlich erste maßgebend. Etwas anderes gilt nur, wenn der Arbeitgeber zwischenzeitlich wieder zahlungsfähig wurde – so das Sozialgericht Gießen.

Darum geht es

Der Kläger begehrt die Zahlung von Insolvenzgeld. Er war von Mai 2010 bis März 2020 und dann ab Juli 2022 als Teamleiter der Elektrowerkstatt bei einer Maschinenfabrik beschäftigt. Mit Beschluss vom 27.11.2019 eröffnete das Amtsgericht Wetzlar das Insolvenzverfahren (Erstinsolvenzverfahren) über das Vermögen des Arbeitgebers. Der Insolvenzplan (13.07.2020) sah vor, dass zur Befriedigung der Gläubiger zwei Ausschüttungszahlungen i. H. v. insgesamt 750.000,00 € erfolgen. Bis dahin sollte ein Treuhänder das Geld verwalten und dessen ordnungsgemäße Auszahlung überwachen (Planüberwachung). Daraufhin hob das Amtsgericht Wetzlar das Insolvenzverfahren auf.

Am 16.11.2022 wurde erneut ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitsgebers eröffnet, u.a. weil die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld ablehnte. Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch weniger als zwei Prozent des hinterlegten Betrages zur Auszahlung offen, da noch ein Gutachten des Pensionssicherungsvereins ausstand. Alle 67 Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz. Den Antrag auf Insolvenzgeld lehnte die BA mit Bescheid vom 07.12.2022 ab: Sie wies darauf hin, dass kein erneutes arbeitsförderungsrechtliches Insolvenzereignis eingetreten sei. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg. Mit der Klage vom 05.01.2023 verfolgen der Kläger sowie eine Vielzahl seiner Kolleginnen und Kollegen ihren Antrag auf Insolvenzgeld weiter.

Die Arbeitnehmer:innen sind der Meinung, ein neues Insolvenzereignis mit Anspruch auf Insolvenzgeld komme auch in Betracht, wenn die Überwachung des Insolvenzplans formal noch fortbestanden habe - zumal die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers beseitigt gewesen sei. 

Das sagt das Gericht

Das Sozialgericht (SG) hat die BA zur Zahlung des Insolvenzgeldes im streitgegenständlichen Zeitraum verurteilt.

Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers sei § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Als Insolvenzereignis gelte nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III u. a. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitsgebers.

Dieses arbeitsförderungsrechtlich relevante Insolvenzereignis sei nach Ansicht des Gerichts mit der Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am 16.11.2022 eingetreten. Das erste Insolvenzereignis aus 2019 habe keine Sperrwirkung entfaltet. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei bei der Frage nach dem Bestehen eines Anspruchs auf Insolvenzgeld im Falle des Aufeinanderfolgens mehrere Insolvenzereignisse grundsätzlich das zeitlich erste für den Insolvenzgeldanspruch maßgebend.

Ein neues arbeitsförderungsrechtlich relevantes Insolvenzereignis trete nicht ein, solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitsgebers noch andauere. Wenngleich das BSG vertrete, dass bei andauernder Planüberwachung „besonders deutlich“ erkennbar werde, dass die Zahlungsunfähigkeit fortbestehe, sei diese formale Betrachtungsweise aber nicht in jedem Falle zur Abgrenzung geeignet. Denn habe der Arbeitgeber den Gesamtausschüttungsbetrag treuhänderisch gesichert, stehe fest, dass die Gläubiger entsprechend des Insolvenzplans befriedigt werden.

Zahlungsfähigkeit ist im Einzelfall zu prüfen

Ob der Arbeitgeber seine Zahlungsfähigkeit wiedererlangt hat, müsse daher auch bei andauernder Planüberwachung im konkreten Einzelfall beurteilt werden. Hier habe der Arbeitgeber die Fähigkeit wiedergewonnen, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Hierfür spreche u.a. eine Sondertilgung von über 1,2 Millionen Euro Ende 2021 auf ein erst 2020 aufgenommenes Darlehen über mehr als 2 Millionen Euro.

Insolvenzgeld ist arbeitsförderungsrechtlich geboten

Im Übrigen sei es arbeitsförderungsrechtlich geboten, Insolvenzgeld auch bei laufender Planüberwachung nicht von vornherein auszuschließen. Denn bei einer laufenden Sanierung bestünde sonst die Besorgnis, dass die Arbeitnehmer abwandern, da sie Gefahr laufen, bei Scheitern der Sanierung auf ihren Arbeitsentgeltansprüchen (ersatzlos) sitzen zu bleiben.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

© bund-verlag.de (ck)

Lesetipp für AiB-Abonnentinnen und Abonnenten:

»Insolvenz des Arbeitgebers« in Ihrem Online-Lexikon für den Betriebsrat – Auf den Punkt (Nr. 3 c).

 

Quelle

SG Gießen (15.05.2023)
Aktenzeichen S 14 AL 4/23
SG Gießen, Pressemitteilung vom 17.5.2023

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