Corona-Maßnahmen

Einführung von 12-Stunden-Schichten nur mit Personalrat

26. Februar 2021
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Quelle: fotomek_Dollarphotoclub

Bei der Umstellung der Schichtzeiten verändern sich Beginn und Ende sowie die Dauer der täglichen Arbeitszeit – dies bringt eine Mehrbelastung der Beschäftigten mit sich, weswegen die Mitbestimmung des Personalrats erforderlich ist, so das VG Sigmaringen.

Das war der Fall

Nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie erhielt der Personalrat eines Universitätsklinikums in Baden-Württemberg von der Klinikleitung die Mitteilung, dass sie Kapazitäten für die Versorgung und für Notfälle im Kontext mit Covid-19 vorhalten müsse. Dafür sollten in den Intensivbereichen (IOI), in der Zentralen Interdisziplinären Notaufnahme (ZINA), der Anästhesie sowie in der Radiologie 12-Stunden-Schichten eingeführt werden – bei Bedarf solle dieses Arbeitszeitmodell weitere Bereiche einbeziehen.

Die Klinikleitung war der Auffassung, dass die geplante Umstellung auf 12-Stunden-Schichten durch Tarifvertrag in Verbindung mit dem Arbeitszeitgesetz geregelt sei und somit gemäß § 74 Abs. 2 Nr. 2 LPVG nicht der Mitbestimmung unterliege. Der Personalrat sollte mit dem Schreiben lediglich über die geplante Maßnahme informiert werden. Nach und nach kehrten alle Stationen außer der Bereich IOI zu dem vor der Pandemie eingeführten Schichtmodell zurück. Dies könne für Ärzte auf der IOI nicht verantwortet werden, da dieses Schichtmodell nicht den ab 1. Oktober 2020 geltenden tariflichen Regelungen zu Bereitschafts- und Wochendiensten des einschlägigen Tarifvertrags für Ärzte entspräche. Es sein nicht angezeigt, zu einem Dienstmodell zurückzukehren, das mit den tarifrechtlichen Vorgaben in Konflikt gerate, so die Auffassung der Klinikleitung. Der Personalrat verweigerte seine Zustimmung zur Weiterführung der 12-Stunden-Schichten für Ärzte auf der Intensivstation IOI.

Das sagt das Gericht

Wie auch der Personalrat vertrat das VG Sigmaringen diese Rechtsauffassung nicht. Es stellte klar: »Die pandemiebedingte Verlängerung der Schichtzeit auf zwölf Stunden weist den erforderlichen kollektiven Bezug auf und unterliegt der Mitbestimmungskompetenz des Personalrats gemäß § 74 Abs. 2 Nr. 2 und 3 LPVG.« Die Einführung von 12-Stunden-Schichten habe das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers gemäß § 74 Abs. 2 Nr. 2 und 3 LPVG verletzt. Zudem stellte das VG klar, dass die Fortführung der 12-Stunden-Schichten auf der Intensivstation IOI als vorläufige Regelung gemäß § 88 Abs. 4 LPVG rechtswidrig ist.

Das Gericht begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass die Schichtzeiten-Verlängerung die Einführung eines neuen Arbeitszeitmodells bedeute. Die neuen 12-Stunden-Schichten in bestimmten Abteilungen unterliegen dem Mitbestimmungsrecht des Personalrats. Denn die Umstellung von den früheren Dienstzeiten, in der Regel 8-Stunden-Schichten, auf 12-Stunden-Schichten verändern sich sowohl Beginn und Ende als auch die Dauer der täglichen Arbeitszeit, so das Gericht. Das habe erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung und die persönliche Lebensgestaltung der Belegschaft. Der Mitbestimmungstatbestand des § 74 Abs. 2 Nr. 2 LPVG ist einschlägig. Bei der Umstellung auf 12-Stunden-Schichten handelt es sich außerdem um die Einführung eines neuen Arbeitszeitmodells, das nach § 74 Abs. 2 Nr. 3 LPVG ebenfalls mitbestimmungspflichtig ist.

Wichtig: Kollektivbezug darf nicht fehlen

Diese Umgestaltung weist auch den notwendigen kollektiven Bezug auf: Die Mitbestimmung gemäß § 74 Abs. 2 Nr. 2 und 3 LPVG setzt voraus, dass die Dienststelle Anordnungen erlässt, die sich an alle Beschäftigten oder an eine abgrenzbare Gruppe richten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Mehrheit der Beschäftigten nach den bisherigen Regelungen arbeitet, also in 8-Stunden-Schichten eingeteilt ist. Da die neue Schichtregelung sämtliches ärztliche Personal auf der Intensivstation IOI, den Bereich Innere Medizin II sowie sämtliche Ärzt*innen und das Pflegepersonal in der Zentralen Interdisziplinären Notaufnahme betroffen hat, ist ein kollektiver Bezug zweifellos vorhanden. Der Personalrat hätte beteiligt werden müssen.

Die Mitbestimmungsrechte des Personalrats sind auch nicht durch tarifliche oder gesetzliche Bestimmungen, insbesondere durch die Covid-19-Arbeitszeitverordnung, außer Kraft gesetzt. Zwar ist die Regelung Rechtsnorm im materiellen Sinne und wird damit von § 74 Abs. 2 LPVG erfasst. Die Verordnung gibt allerdings keine konkreten Arbeitszeiten vor, sondern ermöglicht Ausnahmen von den im Arbeitszeitgesetz festgeschriebenen Höchstarbeitszeiten. Die Mitbestimmung des Personalrats werde davon nicht berührt, da eine finale Umsetzung durch die Dienststelle beziehungsweise Klinikleitung nötig ist.

Die Weiterführung der 12-Stunden-Schichten war auch nicht als vorläufige Maßnahme im Sinne des § 88 Abs. 4 LPVG rechtmäßig. Denn eine darauf beruhende Regelung darf weder dazu führen, dass die gesetzlich vorgeschriebene Mitbestimmung des Personalrats tatsächlich verhindert wird, noch dazu, dass hinsichtlich der (vorläufigen) Maßnahme kein Raum mehr Modifikationen im im Beteiligungsverfahren bleibt.  Eine nach § 88 Abs. 4 LPVG getroffene Regelung muss sich daher sachlich wie zeitlich auf das unbedingt Notwendige beschränken. Das ist hier nicht der Fall. 

Das muss der Personalrat wissen

Entscheidend dafür, dass der Personalrat mitzubestimmen hat, ist die Einordnung der Umstellung des Schichtsystems: Maßnahmen, die eine Vielzahl von Mitarbeitern betreffen, und die den Beginn, das Ende und die Dauer der Arbeitszeit regeln, unterliegen der Mitbestimmung. Und auch die rechtliche Einordnung der Covid-19-Arbeitszeitverordnung und ihr Verhältnis zum Mitbestimmungsrecht des Personalrats ist wissenswert – vor allem vor dem Hintergrund, dass Corona noch eine ganze Weile für Unruhe sorgen könnte. 

© bund-verlag.de (mst)

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Quelle

VG Sigmaringen (23.11.2020)
Aktenzeichen PL 11 K 2474/20

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