Schwerbehinderung

Nachschieben von Kündigungsgründen verboten

24. November 2020
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Quelle: Coloures-pic_Dollarphotoclub

Bei einer fristlosen Kündigung schieben Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess oft noch Tatsachen oder Gründe nach. Die Gerichte lassen dies zu, wenn der Betriebsrat nachträglich angehört wurde. Nicht nachholbar ist aber die Zustimmung des Integrationsamts. Kündigt der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Menschen, kann er vor Gericht nur die Umstände geltend machen, die er dem Integrationsamt mitgeteilt hat - so das LAG Köln.

Darum geht es

Der Arbeitgeber ist ein international tätiger Hersteller von Drogerieartikeln mit rund 2.000 Mitarbeitern und mehreren Niederlassungen. Bei ihm bestehen ein Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung (SBV). Der Arbeitnehmer ist seit 2006 bei ihm beschäftigt, zuerst als Personalreferent, seit 2013 im Qualitätsmanagement mit einem monatlichen Bruttoverdienst von zuletzt 7.452,00 Euro. Er ist seit dem 7.6.2013 bei einem GdB von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Der Arbeitgeber warf ihm vor, zwischen Mai und Juli 2019 mehrfach Wagen aus dem Fahrzeugpool des Unternehmens unerlaubt privat genutzt zu haben Er sprach deshalb zum 27.8.2020 eine außerordentliche Kündigung aus. Der Qualitätsmanager wehrte sich mit einer Kündigungsschutzklage und gewann vor dem Arbeitsgericht (ArbG Aachen 12.11.2019 – 4 Ca 2303/19).

Dagegen legte der Arbeitgeber Berufung zum Landesarbeitsgericht (LAG) Köln ein. Im Verfahren reichte er weitere Beweise für eigenmächtige Privatfahrten des Klägers im April 2019 nach und nannte als zusätzliche Belege für die anderen Fahrten Widersprüche zwischen dem Fahrtenbuch und den erfassten Arbeitszeiten des Klägers. Der Arbeitgeber gab an, den Kläger dazu schriftlich angehört und auch den Betriebsrat und die SBV nachträglich mit schriftlichen Anhörungen beteiligt zu haben.

Das sagt das Gericht

Das LAG Köln wies die Berufung des Arbeitgebers zurück. Es komme nicht darauf an, ob die vom Arbeitgeber erhobenen Vorwürfe wahr sind. Der Arbeitgeber habe nur außerordentlich gekündigt. Diese Kündigung war bereits unverhältnismäßig.

Denn auch wenn die Vorwürfe als wahr unterstellt werden, sei allenfalls eine ordentliche Kündigung angebracht. Dem Arbeitgeber sei bei Abwägung der aller Umstände zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist, die hier etwa fünf Monate betragen hätte, fortzusetzen.

Dafür spricht unter anderem die lange Beschäftigungsdauer des Klägers, seine Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind und der Umstand, dass der Vorwurf nicht die beruflichen Aufgaben des Klägers betraf. Es hätte dem Arbeitgeber freigestanden, dem Kläger für diese Zeit die Nutzung des Fahrzeugpools generell zu untersagen.

Das LAG stellt klar, dass der Arbeitgeber die ordentliche Kündigung nicht für unzumutbar halten dürfe, weil das zuständige Integrationsamt für seine Entscheidung regelmäßig länger benötigt als die gesetzliche Soll-Frist von einem Monat (§ 171 Abs. 1 SGB IX).

Arbeitgeber ist auf Angaben gegenüber dem Integrationsamt beschränkt

Der Arbeitgeber konnte auch in zweiter Instanz keine Kündigungsgründe mehr nachschieben. Zwar könne die vorgeschriebene Anhörung des Betriebsrats zu Kündigungsgründen nachgeholt werden, aber nicht die Anhörung des Integrationsamts, wenn ein schwerbehinderter oder gleichgestellter Arbeitnehmer betroffen ist, betont das LAG.

Bei einer außerordentlichen Kündigung gilt die Zustimmung als erteilt, wenn das Integrationsamt nicht binnen zwei Wochen entscheidet (§ 174 Abs. 3 Satz 2 SGB IX). Allerdings tritt diese gesetzliche Fiktion nur ein, wenn der Arbeitgeber dem Amt eine detaillierte Darstellung des gesamten Kündigungssachverhalts vorlegt. Denn in einem späteren Kündigungsschutzprozess kann die Arbeitgeberin nicht mitgeteilte Sachumstände auch nicht zur Begründung der Kündigung heranziehen.

Würde das Arbeitsgericht solche nicht dem Integrationsamt mitgeteilten Gründe berücksichtigen, würde gesetzlich vorgegebene strikte Trennung von Verwaltungs- und Arbeitsgerichtsverfahren durchbrochen. Gesetzeskonform ist daher allein ein generelles Verbot des Nachschiebens von Kündigungsgründen, betont das LAG Köln.

Hinweis für die Praxis

Das LAG hat gegen sein Urteil keine Revision zugelassen. Ob das BAG in diesem Verfahren noch über eine Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers entscheiden wird, bleibt abzuwarten.

Wichtig für schwerbehinderte und gleichgestellte Arbeitnehmer ist aber schon jetzt der Hinweis, dass der Arbeitgeber, mag der Kündigungsschutzprozess auch lange dauern, auf die Gründe beschränkt ist, die er dem Integrationsamt ganz zu Anfang mitgeteilt hat.

Für alle Arbeitnehmer ist wichtig: Wenn der Arbeitgeber noch Gründe nachschieben will, muss er den Betriebsrat und die SBV unterrichten und anhören. Unterbleibt einer dieser Schritte, kann das Gericht das Vorbringen des Arbeitgebers nicht verwerten.

© bund-verlag.de (ck)

Quelle

LAG Köln (15.07.2020)
Aktenzeichen 3 Sa 736/19

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