Betriebsratswahl

Neutralitätspflicht des Wahlvorstandes

20. Mai 2020
betriebsratswahl
Quelle: Eva Kahlmann_Dollarphotoclub

Verschickt der Wahlvorstand mit den Briefwahlunterlagen Wahlwerbung für eine Kandidatenliste, verstößt er gegen seine Neutralitätspflicht. Das unzulässige Bevorzugen einer Liste macht die Wahl ungültig. Von Yuliya Zemlyankina.

Darum geht es:

Wahlvorstand versendet Wahlwerbung

Der Wahlvorstand versandte an Mitarbeiter des Betriebes mit den »amtlichen« Briefwahlunterlagen einen Wahlwerbebrief mit der Vorstellung der beiden kandidierenden Listen. In dem Schreiben wurden beide Listen so vorgestellt, dass man sich nicht dem Eindruck entziehen konnte, nur die Bewerber der zweiten Liste seien in der Lage, die Mitglieder des Betriebs angemessen zu vertreten.

Die angeblichen Vorzüge der Kandidaten der zweiten Liste wurden großzügig auf elf Zeilen und mit schönen Wörtern angepriesen. Dem gegenüber erfolgte eine vergleichende Vorstellung der ersten Liste auf knappen vier Zeilen und mit offensichtlich negativer Zweideutigkeit, die dazu von den Kandidaten der »Liste zwei« selbst verfasst wurde.

Das sagt das Gericht:

Betriebsratswahl unwirksam

Auf Antrag mehrerer wahlberechtigter Arbeitnehmer erklärte das Landesarbeitsgericht (LAG) die angefochtene Betriebsratswahl gemäß § 19 Abs. 1 BetrVG für unwirksam. Denn § 20 Abs. 2 BetrVG verbietet es jedermann die Wahl des Betriebsrates durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen zu beeinflussen. Die Wahlwerbung ist nur dann zulässig, wenn dabei keine unzulässigen Mittel verwendet werden. Hier hat der Wahlvorstand der »Liste zwei« unzulässig den Vorteil einer Wahlwerbung verschafft und das dazu auf eine unredliche Art und Weise.

Gerichtliche Unterrichtsstunde zur Amtsführung des Wahlvorstandes

Das LAG Baden-Württemberg erläuterte in der Entscheidung die Grundsätze zur Amtsführung des Wahlvorstandes. Der Wahlvorstand hat in seiner Amtsführung das Gebot der Chancengleichheit der Wahlbewerber nicht nur zu beachten, sondern auch zu sichern. Der Wahlvorstand unterliegt der Neutralitätspflicht und muss die Wahlvorschläge und die konkurrierende Bewerber gleich behandeln.

Es versteht sich von selbst, so das Landesarbeitsgericht, dass der Wahlvorstand seine Hauptaufgabe der Leitung der Wahl nach Wahlvorschriften durchzuführen hat. Dabei darf er auf keinen Fall durch einseitige Bevorzugung der Bewerber oder der Listen die Wahl beeinflussen. Jede Form von »Sympathiebekundung« für einzelne Bewerber oder Listen ist dabei ein tabu.

Vorteilsgewährung

In dem hier zu entscheidenden Fall hat der Wahlvorstand das Neutralitätsgebot grob missachtet. Er nutzte die »amtlichen« Briefwahlunterlagen zu einer möglichst weiten Verbreitung der Werbung der Liste zwei. Denn die Briefwahlunterlagen erreichten 90 Prozent der Mitarbeiter. Dabei kritisierte das Gericht insbesondere den »pseudooffiziellen Anstrich« der Verbreitung. Denn bei den Empfängern entstand der Eindruck, dass der Wahlvorstand die angepriesene Liste unterstützt. Es handelte sich deshalb um eine die Gleichheit der Wahl missachtende Bevorzugung der »Liste zwei« und somit um eine gesetzlich unzulässige Vorteilsgewährung.

Kein neutraler Wahlaufruf

Die Verteidigung des Betriebsrates mit der Argumentation, es handelte sich lediglich um einen neutralen Wahlaufruf, ging ins Leere. Das Gericht  teilte die Auffassung nicht, dass zwei Listen lediglich vorgestellt wurden. Die Listen wurden offensichtlich vergleichend und zwar zu Lasten der Liste eins und zugunsten der Liste zwei dargestellt.

Instrumentalisierter Wahlvorstand

Zudem kritisierte das Gericht, dass der Wahlvorstand durch die einzelne Betriebsratsmitglieder sich instrumentalisieren ließ. Denn die Wahlwerbung wurde auf dem Briefbogen des Betriebsrates und mit diesem als Absender verfasst. Dadurch entstand der Eindruck, dass der Betriebsrat offiziell dahintersteht. In Wirklichkeit waren es lediglich die einzelne Betriebsratsmitglieder und zwar diejenigen der Liste zwei.

Der Verstoß hatte Einfluss auf das Wahlergebnis

Der Verstoß muss geeignet sein, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Kann ein Verstoß das Wahlergebnis weder ändern noch beeinflussen, reicht es für die Anfechtung nicht aus. Hier prüfte das Gericht, ob bei einer hypothetischen Betrachtung die Wahl ohne den Verstoß gleich ausgefallen wäre und kam zum Ergebnis, dass die Wahl ohne der Werbung anders ausgefallen wäre.

Praxistipp:

Neutralitätsgebot folgt aus dem Grundsatz der Chancengleichheit und verlangt, dass der Wahlvorstand bei der Ausübung des Amtes alle Wahlvorschläge und die darauf kandidierenden Bewerber neutral und gleich behandelt. Er hat alles zu unterlassen, was die Chancen der Bewerber im Wettbewerb um Stimmen beeinflussen könnte. Hingegen ist ein neutraler Wahlaufruf zulässig. So wurde die Verletzung der Neutralitätspflicht in den Fällen angenommen, in denen der Wahlvorstand das Gewerkschaftslogo auf dem Wahlausschreiben platzierte (ArbG Frankfurt (Oder), 26.06.2014 - 6 BV 11/14).

Eine Neutralitätspflichtverletzung wurde auch in einem Fall angenommen, in dem der Wahlvorstand die Bilder der Kandidaten einiger Listen in den Filialen des Betriebes aushängen ließ. Der Wahlvorstand ist nicht befugt, tatsächliche oder vermeintliche Defizite, die einzelne Listen gegenüber anderen in ihrer Werbemöglichkeit haben, durch eigene Handlungen auszugleichen (LAG Nürnberg, 20.09.2011 – 6 TaBV 9/11). Anders wäre der Fall zu entscheiden, wenn der Wahlvorstand dies gleichmäßig für alle Listen und alle Bewerber getan hätte.

Yuliya Zemlyankina, DGB Rechtsschutz GmbH

Quelle

LAG Baden-Württemberg (27.11.2019)
Aktenzeichen 4 TaBV 2/19
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