Prof. Wolfgang Däubler zum EuGH-Urteil

»Ein guter Betriebsrat verträgt auch Liebesentzug«

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Künftig müssen Unternehmen die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer vollständig erfassen – so das neue EuGH-Urteil. Prof. Wolfgang Däubler sieht das Hauptproblem darin, wie man die häusliche Arbeit und die Arbeit unterwegs behandelt. Vertrauensarbeitszeit könne es aber weiter geben, so die Meinung des Arbeitsrechtsexperten.

Wie finden Sie das Urteil?

Wolfgang Däubler:

Sehr positiv. Ich habe den Eindruck, der EuGH hat entdeckt, dass er etwas für die Menschen tun muss, sonst wird die Skepsis gegenüber der Europäischen Union immer stärker.

 

 

Gilt das Urteil unmittelbar auch in Deutschland oder muss der Gesetzgeber handeln?

Wolfgang Däubler:

Der Gerichtshof hat die Arbeitszeitrichtlinie interpretiert. Diese richtet sich nur an die Mitgliedstaaten, die sie in ihr nationales Recht umsetzen müssen. Aber: Oft reicht es, dass man das deutsche Recht »richtlinienkonform«, d. h. so interpretiert, dass es mit der Richtlinie übereinstimmt. Man muss sich also fragen, ob dies auch beim Arbeitszeitgesetz möglich ist. Ich sehe da keine Hindernisse.

Welche Gestaltungsmöglichkeiten gibt es für die Zeiterfassung in den Unternehmen? Ist es wirklich nur die Stechuhr – wie alle argwöhnen – oder gibt es Alternativen?

Wolfgang Däubler:

Der Arbeitgeber kann selbst entscheiden, wie er die Arbeitszeit erfassen will. Da gibt es schon heute unterschiedliche Formen und Systeme. Arbeitet jemand praktisch nur am Computer, reicht es aus, wenn man die Aktivierung des Geräts erfasst. Das Hauptproblem wird darin liegen, wie man die häusliche Arbeit und die Arbeit unterwegs behandelt.

Sehen Sie nicht einen großen Fortschritt für den Arbeits- und Gesundheitsschutz?

Wolfgang Däubler:

Doch. Gesundheitliche Probleme hängen oft mit zu langer Arbeitszeit zusammen, und da gibt es nun eine wichtige Bremse: Wenn die gesamte Arbeit erfasst wird, lässt sich auch kontrollieren, ob die Obergrenze der täglichen und der wöchentlichen Arbeitszeit eingehalten ist.

Ist die Vertrauensarbeitszeit jetzt Vergangenheit?

Wolfgang Däubler:

Nein. Schon bisher hat das Bundesarbeitsgericht gesagt, der Arbeitgeber müsse den Betrieb auch bei der Vertrauensarbeitszeit so organisieren, dass der Betriebsrat seiner Kontrollfunktion nachkommen könne. Er müsse feststellen können, ob die Tarifverträge und die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten sind. Das ist jetzt nochmals von höchster Stelle bekräftigt worden. Man kann weiter Vertrauensarbeitszeit praktizieren, aber man muss die tatsächlichen Arbeitsstunden erfassen.

Kann der einzelne Arbeitnehmer künftig auf die Zeiterfassung verzichten?

Wolfgang Däubler:

Nein. Die Arbeitszeit zu erfassen, ist Aufgabe des Arbeitgebers. Die Dinge liegen nicht anders als im Arbeitsschutzrecht: Wer aus Gründen des Unfallschutzes einen Schutzhelm tragen muss, kann nicht sagen »Ich arbeite ohne Helm«. Nicht mal ein in der Wolle gefärbter Neoliberaler würde diese These vertreten.

Was ändert sich an den Unterrichtungspflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat (§ 80 Abs. 2 BetrVG)?

Wolfgang Däubler:

Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat darüber informieren, wie lange der einzelne Arbeitnehmer gearbeitet hat. Der einzige Unterschied besteht darin, dass der Arbeitgeber jetzt besser informiert sein muss.

Wie sollten Betriebsräte jetzt vorgehen?

Wolfgang Däubler:

Sie sollten darauf achten, dass der Arbeitgeber das EuGH-Urteil ernst nimmt. Gibt es nicht erfasste Arbeitszeiten oder werden Ruhezeiten nicht eingehalten, so sollte der Betriebsrat Unterlagen verlangen. Auch sollte er fragen, wie denn mobile Arbeit und Arbeit zu Hause erfasst werden. Das wird in der Direktionsetage keine Freudenstürme auslösen, aber das ist nun mal so. Ein guter Betriebsrat verträgt auch »Liebesentzug«. Nach einiger Zeit normalisieren sich die Dinge wieder. Und dann könnte sich ergeben, dass plötzlich bei vielen Beschäftigten das Zeitkonto einen Sprung nach oben macht.

Der Interviewpartner

Daeubler_Wolfgang_neuDr. Wolfgang Däubler

Professor für Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht, Bürgerliches und Wirtschaftsrecht an der Universität Bremen. Er ist einer der bekanntesten Arbeitsrechtler.

 

 

 

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