Leiharbeit

EuGH: Ungleiche Bezahlung von Leiharbeitern muss ausgeglichen werden

30. Januar 2023
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Quelle: magele_Dollarphotoclub

Ein Tarifvertrag darf festlegen, dass Leiharbeitnehmer nicht das gleiche Entgelt erhalten wie die Stammbelegschaft. Der Tarifvertrag muss dann aber einen Ausgleich für das geringere Entgelt vorsehen. Das hat der europäische Gerichtshof nun entschieden.

Das war der Fall

Die Arbeitnehmerin war von Januar bis April 2017 bei einer Leiharbeitsfirma als Leiharbeitnehmerin beschäftigt. Die Firma überließ sie in dieser Zeit einem Einzelhandelsunternehmen als Kommissioniererin. Die Stammarbeitnehmer des Einzelhandelsunternehmens erhielten auf Grundlage des Tarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer in Bayern einen Stundenlohn von 13, 64 Euro. Die Arbeitnehmerin bekam nach dem Tarifvertrag für Leiharbeitnehmer nur einen Stundenlohn von 9,32 Euro brutto. Die Arbeitnehmerin klagte deshalb auf rückständigen Lohn. Sie machte geltend, dass ein Verstoß gegen den in Art. 5 der Richtlinie 2008/1042 verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer vorliege. Das Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab. Das Bundesarbeitsgericht legte den Fall dem EuGH vor.

Das sagt das Gericht

Leiharbeitnehmer sollen grundsätzlich die gleichen Arbeitsbedingungen haben wie die Stammbelegschaft des Unternehmens. Von diesem Grundsatz können die nationalen Tarifverträge aber abweichen. Der europäische Gerichtshof erklärt in seinem Urteil unter welchen Voraussetzungen das geht:

Gesamtschutz muss eingehalten sein

Der Gerichtshof stellt klar, dass Leiharbeitnehmer den gleichen Schutz verdienen, wie die unmittelbar angestellten Mitarbeiter. Weichen nationale Tarifverträge von dem Gleichstellungsgrundsatz ab, müssen sie den Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer achten. Das sei nur dann der Fall, wenn der Tarifvertrag den Leiharbeitnehmern im Gegenzug Vorteile gewährt, die die Auswirkungen der Ungleichbehandlung ausgleichen sollen. Das können zum Beispiel mehr Urlaubstage oder mehr Freizeit sein.

Konkrete Prüfung des Gesamtschutzes

Ob der Gesamtschutz beachtet ist, ist bezogen auf den konkreten Einzelfall zu prüfen. Hierfür müssen die Tarifvertragsparteien zunächst die wesentlichen Arbeitsbedingungen des entleihenden Unternehmens mit den wesentlichen Arbeitsbedingungen, die für den Leiharbeitnehmer gelten, vergleichen. Dann ist zu prüfen, ob die gewährten Ausgleichsvorteile auch geeignet sind, die Ungleichbehandlung zu kompensieren. Arbeitgeber können zum Beispiel ein deutliches geringeres Entgelt nicht mit bloß einem zusätzlichen Urlaubstag ausgleichen.

Die Pflicht zur Achtung des Gesamtschutzes besteht sowohl gegenüber Leiharbeitnehmern mit einem unbefristeten als auch solchen mit einem befristeten Arbeitsverhältnis. Denn eine Abweichung vom Grundsatz der Gleichstellung der Leiharbeitnehmer ist bei unbefristeten und befristeten Arbeitsverträgen möglich.

Gerichtliche Kontrolle

Laut dem europäischen Gerichtshof verfügen die Tarifvertragsparteien im Rahmen der Aushandlung und des Abschlusses von Tarifverträgen über einen weiten Beurteilungsspielraum. Sie müssen dabei aber das geltende Unionsrecht beachten. Zwar müssten die Tarifverträge keine Kriterien dazu enthalten, wie der Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer gewährleistet wird. Die Mitgliedsstaaten sind aber dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Tarifverträge, die Ungleichbehandlungen in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zulassen, insbesondere den Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern gemäß Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104 achten. Deshalb unterliegen solche Tarifverträge auch der vollen gerichtlichen Kontrolle.

Praxishinweis

Mit seinem Urteil stärkt der EuGH die Rechte von Leiharbeitnehmern. Die nationalen Gerichte können Tarifverträge für unwirksam erklären, wenn sie den Leiharbeitnehmer nicht ausreichend vor schlechteren Arbeitsbedingungen schützen.

© bund-verlag.de (cs)

Quelle

EuGH (15.12.2022)
Aktenzeichen C‑311/21
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