Kündigung

Compliance-Verstoß: Kündigungsfrist läuft erst nach Abschlussbericht

06. September 2022 Compliance, Kündigung
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Bei großen Compliance-Untersuchungen beginnt die Frist zur Erklärung der außerordentlichen Kündigung erst mit dem abschließenden Bericht – so nun das BAG. Eine Verzögerung des Zugangs des Berichts und damit Verhinderung des Fristbeginns ist nur dann beachtlich, wenn es absichtlich oder grob fahrlässig geschieht.

Geklagt hatte ein Arbeitnehmer, der als Vertriebsleiter in einem auf den Bau von Militärflugzeugen spezialisierten Unternehmen tätig war. Bei mehreren Mitarbeitern sind geheimhaltungsbedürftige Dokumente des Verteidigungsministeriums aufgetaucht. Infolge unternehmensinterner Untersuchungen lagen am 27.6.2019 erste Erkenntnisse über strafrechtlich relevante Vorgänge (Weiterleitung geheimhaltungsbedürftiger Dokumente des Verteidigungsministeriums) in Form von E-Mail-Verlaufsfunden vor. Dies betraf insgesamt 89 Mitarbeiter. Geheime Verschlusssachen wurden an die Vertriebsabteilung, unter anderem den klagenden Arbeitnehmer weitergeleitet.

Am 16.9.2019 erhielt die Unternehmensführung den abschließenden Ermittlungsbericht und hörte den Arbeitnehmer zu den Vorwürfen an. Am 27.9.2019 kündigte sie ihm. Der Vertriebsleiter war im Kündigungsschutzprozess vor dem ArbG Ulm und dem LAG Baden-Württemberg erfolgreich. Den Gerichten zufolge habe die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des Arbeitgebers nach § 626 Abs. 2 BGB bereits im Juni 2019 zu laufen begonnen und war demnach im September abgelaufen.

Das sagt das Gericht

Der Arbeitgeber hat die Frist zur Erklärung der Kündigung eingehalten und die Kündigung ist wirksam – so das Urteil des BAG.

Nach Ansicht des BAG kann sich der Arbeitgeber auf den Zeitpunkt des Erhalts des Ermittlungsberichts am 16.9.2019 stützen. Erst zu diesem Zeitpunkt fing die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB an zu laufen. Die Frist begann nicht schon am 27.6.2019 zu laufen, als die ersten unternehmensinternen Untersuchungsergebnisse vorlagen. 

Dass der Leiter der Compliance-Abteilung früher Kenntnis von den kündigungsrelevanten Tatsachen hatte, spielt keine Rolle. Für den Fristbeginn kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem die zur Kündigung berechtigten Personen, hier die Unternehmensführung, Kenntnis von den Tatsachen erhielt. Und erst mit Erhalt des abschließenden Berichts, lagen alle Tatsachen vor, die für die Einordnung der Schwere der Pflichtverletzung und somit für die Entscheidung über die Kündigung von Bedeutung waren.

Das BAG stellte zudem keine rechtsmissbräuchliche Verzögerung bei der Weiterleitung der Tatsachen von der Compliance-Abteilung zur Unternehmensführung fest. Eine unzulässige Verzögerung könnte nur bei Absicht oder grober Fahrlässigkeit, nicht aber bei einfachem Organisationsmangel angenommen werden.

Hinweis für die Praxis

Bei fristlosen Kündigungen von Betriebsratsmitgliedern ist § 103 BetrVG und von Personalratsmitgliedern ist § 55 Abs. 1 Satz1 BPersVG zu beachten. Eine außerordentliche Kündigung ist nur möglich, wenn der Betriebsrat bzw. der Personalrat zustimmt.

© bund-verlag.de (ca)

Quelle

BAG (05.05.2022)
Aktenzeichen 2 AZR 483/21
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